In einer Sondersitzung soll das Parlament über die Zukunft des ukrainischen Regierungschef Nikolai Asarow (rechts) entscheiden. Foto: dpa

Nach dem Gewalttod von Demonstranten soll das Parlament in Kiew über einen Rücktritt der Regierung entscheiden. Ein Ausweg aus der Krise dürfte aber nicht leicht werden.

Nach dem Gewalttod von Demonstranten soll das Parlament in Kiew über einen Rücktritt der Regierung entscheiden. Ein Ausweg aus der Krise dürfte aber nicht leicht werden.

Kiew - Nach den ersten Todesfällen bei den Protesten von Regierungsgegnern in der Ukraine hat das prorussische Machtlager ein Einlenken signalisiert. Parlamentspräsident Wladimir Rybak kündigte am Donnerstag eine Sondersitzung an, in der auch über den Rücktritt von Regierungschef Nikolai Asarow entschieden werden soll. Die Proteste Tausender Regierungsgegner hielten nach blutigen Straßenschlachten mit mindestens drei Toten unvermindert an. Kommentatoren betonten, dass Präsident Viktor Janukowitsch den unbeliebten Asarow opfere.

„Die Situation erfordert eine sofortige Lösung“, sagte Janukowitsch. In der Sitzung sollten auch umstrittene Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit und des Versammlungsrechts besprochen werden. Damit geht das Machtlager nach Sicht von Beobachtern auf eine Hauptforderung der Regierungsgegner um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko ein.

In Kiew kam es bei eisiger Kälte vereinzelt zu Zusammenstößen. Beide Seiten hatten einen „Waffenstillstand“ vereinbart. Trotzdem bewarfen Regierungsgegner die Polizei mit Steinen, die Uniformierten reagierten mit Tränengas und Blendgranaten. Klitschko forderte von den Sicherheitskräften, den „Terror gegen Aktivisten“ einzustellen. Über dem Protestlager lag schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen.

Merkel setzt auf Gespräche

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält Sanktionen gegen die Ukraine derzeit nicht für angebracht. Dies sei „nicht das Gebot der Stunde“, sagte sie nach Ende der Kabinettsklausur in Meseberg. Es müsse vielmehr darum gehen, in Kiew „Gesprächskanäle zu eröffnen“. Die Bundesregierung sei „aufs Äußerste besorgt und empört“, wie Gesetze „durchgepeitscht“ würden, die Grundfreiheiten infrage stellten.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso boten an, in dem blutigen Machtkampf zu vermitteln. Die Opposition um Klitschko und andere Parlamentsabgeordnete wollten sich erneut mit Vertretern der ukrainischen Führung treffen, um über einen Ausweg aus der Krise zu beraten. Nach dem Tod von mindestens drei Demonstranten waren erste Gespräche mit Janukowitsch am Mittwoch ohne Ergebnis geblieben.

Opposition fordert Janukowitsch' Rücktritt

Die Opposition hatte den Präsidenten aufgefordert, bis zum Donnerstagabend zurückzutreten. Ein solcher Schritt des Staatschefs galt aber als unwahrscheinlich. Beobachter erwarten eine lange und schwierige Krisenlösung in der früheren Sowjetrepublik.

Die zersplitterte Opposition, die aus prowestlichen Kräften um Klitschko sowie unkontrollierten gewaltbereiten Ultranationalisten besteht, will sich der Polizeigewalt nicht beugen. Die Regierungsgegner sprechen von fünf Erschossenen sowie zwei weiteren Toten. Das Innenministerium bestätigte den Tod zweier Demonstranten durch Schüsse sowie eines dritten Aktivisten durch Erfrieren. Juri Werbizki sei in einem Wald gefunden worden, teilten die Behörden mit. Die Leiche wies der Opposition zufolge Folterspuren auf.

Wladimir Klitschko unterstützt seinen Bruder

Nach Informationen des NDR ist inzwischen auch Wladimir Klitschko wieder nach Kiew gereist, um seinen Bruder Vitali zu unterstützen. Die Opposition gründete zudem ein Alternativparlament - die Volksrada -, um geschlossener zu handeln. Auch der frühere Parlamentschef Arseni Jazenjuk führt die Bewegung mit an. Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow forderte US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Wladimir Putin zur Vermittlung in dem Machtkampf aus.

Die Führung in Moskau warf dem Westen aber erneut eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vor. „Wir können nicht begreifen, dass Botschafter anderer Länder in Kiew der ukrainischen Regierung sagen, was sie zu tun und zu lassen hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“.

Die Lage in der Ukraine war eskaliert, nachdem Janukowitsch neue Gesetze zur Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit unterzeichnet hatte. Die Proteste dauern seit zwei Monaten an. Auslöser waren Janukowitschs Ablehnung einer Annäherung an die EU und die Hinwendung zum Nachbarn Russland. Putin gewährte dem klammen und krisengeschüttelten Nachbarn Ukraine Milliardenhilfen.