Im Süden Hemmingens will die Gemeinde Wohnraum für 260 Menschen schaffen. Foto: Simon Granville

Die Pläne für den Schöckinger Weg im Süden Hemmingens lösen bei Bürgerinnen und Bürgern reichlich Unmut aus. Ihrer Meinung nach wird zu hoch und zu dicht gebaut, fehlt ein Verkehrskonzept – und wer könne sich dort überhaupt ein Haus oder eine Wohnung leisten?

Im Süden der Gemeinde rumort es. Wohnraum für 260 Menschen will sie südlich der Bebauung entlang der Pestalozzistraße schaffen, zwischen der Theodor-Heuss-Straße und Alten Schöckinger Straße Richtung Kaiserstein. Einstimmig hat der Gemeinderat im April beschlossen, den Entwurf des Bebauungsplans für das Gebiet „Schöckinger Weg“ auszulegen. Auf dem fast drei Hektar großen Acker- und Wiesengelände sind verschiedene Arten von Einfamilienhäusern plus Mehrgeschossbau vorgesehen. Zahlreiche Anwohner kritisieren die Pläne massiv. Aus ihrer Sicht wird zu hoch und zu dicht gebaut, stellt sich die Frage, wer sich angesichts der „Abwärtsentwicklung auf dem Immobilienmarkt“ dort Wohnraum leisten kann, fehlt ein Verkehrskonzept.

Die Anwohner, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, fühlen sich weder gehört noch ernstgenommen, vom Bürgermeister nicht und auch nicht vom Gemeinderat. Über einen Anwalt hätten sie im Zuge der Auslegung juristisch relevante Punkte eingebracht. Die Gemüter seien erhitzt. Die Anwohner finden klare Worte: „Es ist konzeptlos, wie man planungstechnisch so was erstellen kann. Das Projekt ist nicht zu Ende gedacht“, meint einer der Hemminger und betont, sie seien nicht grundsätzlich gegen ein Baugebiet und Verdichtung. „Aber gegen Hochhäuser haben wir etwas, zumal Hemmingen schon genug davon hat.“ 15,50 beziehungsweise 12,50 Meter hoch werden die höchsten Gebäude, die Mehrfamilienhäuser. Die Anwohner können nicht nachvollziehen, dass die höchsten Häuser in unmittelbarer Nähe der bestehenden Gebäude liegen. „Fünf Etagen passen nicht hierher.“

Anwohner fürchten „sozialen Brennpunkt“

Geht es nach den Bürgern, lässt man eine Etage zumindest bei den höchsten Häusern weg. Das reduziere die „extreme Höhendifferenz“ der Neubauten zum Bestand und gestalte die Bruttowohndichte erträglicher. 88 Einwohner je Hektar seien fast so viele, wie für das Oberzentrum Stuttgart gelten würden. Dabei lägen die regionalplanerischen Vorgaben für einen Ort wie Hemmingen bei 55 Einwohnern je Hektar Bruttobauland – alle Grundstücke samt Grün-, Verkehrs- und Wasserflächen. Die Anwohner sind überzeugt: Letztlich werde es an Wohnqualität mangeln, auch wegen zu wenig Grün.

Sorgen bereitet auch der Verkehr. Warum in das Gebiet drei Straßen führen müssen, fragen sich die Anwohner. Wieso werde der Verkehr nicht nur über die bloß rund 110 Meter lange Abfahrt zur Neuen Schöckinger Straße als nächster Hauptstraße geführt? Wieso lasse man die Abfahrt aus dem Gebiet über die Alte Schöckinger Straße beziehungsweise Blohnstraße zu – einer vier bis fünf Mal längeren, schon jetzt engen und zugeparkten Strecke zur entfernteren Hauptstraße? Wieso akzeptiere man die zusätzlichen Verkehrsrisiken für Kirchgänger und Kinder von zwei an der Strecke liegenden Gemeinden und den Kindergärten Blohngärten? „Das lässt keine sinnvolle Planung erkennen“, monieren die Anwohner, die eine Straßenentwicklung für den ganzen weil verkehrsreichen Ort vermissen. Im Neubaugebiet seien Schleifenlösungen und Anliegerfreigaben etwa durch Schilder nötig, um den Verkehr gebündelt auf das nächste Hauptverkehrsstraßennetz zu führen. Das vermeide zugleich „Schleichwegefahrer“.

Wohnbau steckt in der Krise

Dass das Areal zügig bebaut und besiedelt wird, bezweifeln die Anwohner. „Das wird nichts, da muss man realistisch sein.“ Sie fürchten Baulärm über viele Jahre, weil sich die Entwicklung ziehen könnte. Wegen so hoher Kreditzinsen wie Baupreise steckt der Wohnbau in der Krise: Kommunen bleiben auf Bauplätzen sitzen, Bauträger auf Wohnungen oder sie vertagen ihre Vorhaben gar. „Es fehlen für Normalverdiener bezahlbare Wohnungen“, sagen die Anwohner. Dieses Problem werde mit einem neuen Baugebiet allerdings nicht gelöst, da die Preise dort noch weiter steigen würden.

Der Rathauschef weist die Kritik zurück. „Wohnraum wird gesucht. Wir haben gefühlt täglich Anfragen, auch von Leuten aus dem Ort“, berichtet Thomas Schäfer (CDU). Freilich sei man nun ein anderes Zinsniveau gewohnt, doch auch früher seien drei, vier Prozent nicht ungewöhnlich gewesen. Der Bürgermeister blickt vielmehr kritisch auf die bisherige Niedrigzinsphase: Sie habe den Eindruck erweckt, sich mehr leisten zu können, weshalb viele Menschen die Gunst der Stunde genutzt und gebaut hätten. Und auch im Baugebiet Hälde sei die Sorge groß gewesen, dass nicht alle Bauplätze weggehen. Sie habe sich als unbegründet erwiesen.

Gemeinde plant Bauverpflichtung

Dem Ruf nach bezahlbarem Wohnraum komme Hemmingen mit Geschossbau nach. Knapp ein Hektar Fläche gehört der Gemeinde. Hier ist laut dem Bürgermeister ein Hebel für günstigen Wohnraum. Im neuen Viertel wolle die Gemeinde einerseits einen Bevölkerungsmix haben, andererseits Flächen schonen, indem „wir lieber in die Höhe als in die Breite bauen“. Unterm Strich sei die Einwohnerdichte vergleichbar mit der in der Hälde. Darüber hinaus sieht Thomas Schäfer auch Land und Bund in der Pflicht. Sie müssten die entsprechenden Bedingungen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ermöglichen. Der Bürgermeister spricht von einer „Gemengelage aus verschiedenen Faktoren“. Und betont, die Grundstücke zeitnah zu bebauen, sei ein erklärtes Ziel. „Es gibt eine Bauverpflichtung“, so Schäfer: Entsteht binnen einer Frist kein Wohnraum, gehen die Grundstücke zurück an die Gemeinde.

Die Forderung der Anwohner, den Verkehr nicht über die Alte Schöckinger Straße abzuführen, bezeichnet der Bürgermeister als Sankt-Florian-Prinzip: Das Problem wird damit nur auf andere abgewälzt. „Wir haben ein Verkehrskonzept. Ich wüsste nicht, wie der Verkehr anders zu lösen wäre“, sagt Thomas Schäfer. Aus seiner Sicht bleibt neben der Zahl der Bewohner auch der Verkehr im Rahmen des Verträglichen. Die Falkenstraße zum Beispiel, die als ruhige Straße gelte, würden täglich 600 Fahrzeuge nutzen. Mit Blick auf den Verkehr generell gibt der Bürgermeister allerdings auch zu: Abhilfe gebe es nicht. Da bräuchte es schon einen Kordon um Hemmingen, um die Verkehrsentlastung im großen Maße zu erhalten, eine geschlossene Umgrenzung aus Zähl- oder Mautstellen.

Gericht kippt Passus im Baugesetzbuch: Wie geht es weiter mit dem Schöckinger Weg?

Das Urteil
Eigentlich sollten die drei Hektar im Süden des Orts 2024 erschlossen und 2025 bebaut werden. Noch dieses Jahr wollte der Gemeinderat den Bebauungsplan für den Schöckinger Weg festzurren, nachdem der Entwurf schon ausgelegen hat. Doch der Zeitplan ist nun dahin: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die seit 2017 bestehende befristete Ausnahmeregelung im Baurecht gekippt, wonach eine Kommune ohne Umweltprüfung und Ausgleich für den Naturschutz Wohnraum ausweisen kann, auch wenn das Gebiet nicht im Flächennutzungsplan enthalten ist, es also keinen rechtlichen Rahmen gibt für die Aufstellung eines Bebauungsplans. Bedingung für die Nutzung des umstrittenen Paragrafen 13b war, dass das Gebiet an Bestandssiedlungen anschließt. Laut den Richtern ist der Passus für vereinfachtes Bauen nicht mit EU–Standards beim Umweltschutz zu vereinbaren.

Die Folgen
In Hemmingen sind 1,6 Hektar betroffen. Der Bürgermeister Thomas Schäfer (CDU) hält am Projekt fest. Würde man nur die 1,4 Hektar nehmen, müsse man neu planen, begründet er dies. Rund 200.000 Euro habe die Gemeinde schon investiert. Er sei froh, dass sie mit dem Gebiet noch nicht weiter sei. Und schüttelt angesichts der Lage so sprachlos wie verärgert den Kopf. Mit der Urteilsbegründung und den Rahmendaten wird die Verwaltung mit den Planern klären, wie es weitergeht. Schäfer rechnet unter anderem damit, dass die Erschließungskosten steigen und Ausgleichsflächen her müssen. Die Anwohner hoffen nach dem Urteil auf einen Ausgang zu ihren Gunsten. Walter Bauer, der Chef der CDU-Fraktion, brachte als erste Reaktion ein „Innehalten“ ins Gespräch. Das Gremium hatte die Anwohner enttäuscht: Trotz auch kritischer Äußerungen zur Höhe der Gebäude oder wegen der Lage auf dem Immobilienmarkt stimmte das Gremium im April unisono pro Baugebiet.