Dietrich Wagner hat nie eine führende Rolle im Kampf gegen Stuttgart 21 inne gehabt. Und doch wurde er nach dem Schwarzen Donnerstag zur Symbolfigur. Jetzt ist er im Alter von 79 Jahren gestorben.
Es ist der 30. September 2010, als Dietrich Wagners Leben eine Wendung nimmt, die vieles verändert. Mit zahlreichen anderen Demonstranten stellt sich der Stuttgarter Ingenieur im Schlossgarten den für das Bahnprojekt Stuttgart 21 geplanten Baumfällungen entgegen. Der Strahl eines Wasserwerfers der Polizei trifft ihn im Gesicht. Mit blutenden Augen führen Helfer den Verletzten aus der Gefahrenzone. Das Foto, das dabei entsteht, geht um die Welt, der Tag geht als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte ein. Wagner ist danach das bekannteste Gesicht des Widerstands – und fast vollständig blind.
Die neue Symbolfigur bleibt präsent in den Prozessen, die auf den hoch umstrittenen Polizeieinsatz mit vielen Verletzten folgen – gelegentlich auch mit leicht skurrilen Aussagen. Wagner tritt als Kläger und Nebenkläger auf. Jahre dauert es, bis das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit des Einsatzes feststellt. 2015 schließlich sitzt Wagner mit anderen Geschädigten in der Villa Reitzenstein. Ministerpräsident Winfried Kretschmann entschuldigt sich offiziell für die Ereignisse im Schlossgarten, die in der Verantwortung der Vorgängerregierung passiert sind. „Das war sehr wichtig für ihn damals“, erinnern sich Weggefährten.
Mit Dietrich Wagner ist einer zum Gesicht des Widerstandes geworden, der eigentlich nie eine aktive Rolle in den Gruppierungen des Aktionsbündnisses gespielt hat. In den vergangenen Jahren zog er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Bis zuletzt allerdings besuchte er die jährlichen Kundgebungen aus Anlass der Jahrestage des Schwarzen Donnerstags. Und er erlebte noch einen privaten Höhepunkt: Vor wenigen Monaten heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin. Diverse Mitstreiter aus dem Kreis der Stuttgart-21-Gegner waren dabei.
Die Gesundheit jedoch machte schon länger nicht mehr mit. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist Dietrich Wagner im Alter von 79 Jahren in einem Stuttgarter Krankenhaus an einer Lungenentzündung gestorben. Wann und in welchem Rahmen die Beisetzung stattfinden wird, wollen die Hinterbliebenen noch entscheiden.