Pauline hat mit ihrer Kamera Flüchtlingsschicksale dokumentiert. Foto: Lg/Piechowski

Eine Stuttgarter Schülerin hat auf einer Konferenz der OSZE vor den Ländervertretern gesprochen. Sie war eingeladen worden, um ihre Projekt „Refugee Kids of Stuttgart“ vorzustellen. Darin macht sie auf die Schicksale von Flüchtlingskindern aufmerksam.

Stuttgart - Am 5. September, einem Montag, hat Pauline Dörrich eine E-Mail von einem ungewöhnlichen Absender bekommen: Die OSZE, also die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, fragte bei ihr an, ob sie als Sprecherin bei einer Konferenz in Warschau über Menschenrechte und Demokratie teilnehmen wolle. Dazu muss man wissen, dass Pauline nicht etwa Wissenschaftlerin ist, sondern Schülerin. Sie besucht die neunte Klasse der Waldorfschule Uhlandshöhe. „Ich habe als erstes nachgeguckt, was die OSZE eigentlich ist“, erinnert sich die 15-Jährige einige Tage nach ihrer Rückkehr aus Warschau. Dann habe sie sich gefreut.

Dermata Seta, die OSZE-Mitarbeiterin, die die E-Mail verfasst hat, war im Internet auf Paulines Seite „Refugee Kids of Stuttgart“ gestoßen: Auf dieser stellt Pauline Flüchtlingskinder aus Stuttgarter Unterkünften vor, in Bild und Text, ergänzt wird das Ganze durch einen Blog. Es ist ihr Jahresprojekt aus der achten Klasse – und es hat Dermata Seta, die selbst einen Flüchtlingshintergrund hat, begeistert. So kam es, dass Pauline ausgewählt wurde, vor den Vertretern von 57 Ländern zu sprechen. Denn erstmals sollen ausgewählte Kinder bei dem Menschenrechteforum zu Wort kommen.

Farsaneh will Pilotin werden, Fida ist schon verheiratet

In Paulines Waldorfschule sind Jahresprojekte üblich, die selbstständig verwirklicht werden. Jeder darf sich ein Thema aussuchen. Ihre Zwillingsschwester hat ein Kochbuch verfasst, ein Schulkamerad eine Holzmaske geschnitzt, andere drehten einen Film. Pauline entschied sich im September 2015 – zu Beginn der großen Flüchtlingskrise – dafür, auf das Schicksal der geflüchteten Kinder aufmerksam zu machen. Wie das der achtjährigen Farzaneh: Sie ist mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern aus Afghanistan geflohen und hat den Traum, Pilotin zu werden. Oder des sechsjährigen Laith aus Syrien, der mit seinem Vater nach Stuttgart geflohen ist, und der seinen Zwillingsbruder und seine Mutter vermisst: Sie sind noch in Damaskus. Aber auch die Geschichte von Fida, 17, die mit ihrem Cousin verheiratet wurde und mit ihm aus Syrien floh. Das Gespräch mit ihr ist der zwei Jahre jüngeren Pauline besonders nah gegangen.

Insgesamt hat sie mit rund 55 Kindern gesprochen. Drei Unterkünfte hat sie nacheinander besucht: zuerst einen Systembau in Plieningen, dann die große Hallenunterkunft bei der Schleyerhalle, schließlich eine Turnhalle in Birkach. Bei den letzten beiden Unterkünften wurde sie von derselben Dolmetscherin unterstützt, was ein Zufall war. Die Dolmetscherin war versetzt worden. Als Pauline in die Turnhalle kam, die sie vom Volleyballtraining gut kennt, habe sie plötzlich vor ihr gestanden.

Die Kinder wollten ihre Geschichten erzählen

Nicht jeder fand die Idee der Schülerin übrigens gut. Sie solle die Kinder lieber in Ruhe lassen, die seien doch traumatisiert, habe man ihr im weiteren Umfeld entgegen gehalten. Doch ihre Erfahrung war dann eine ganz andere: In der Halle II bei der Schleyerhalle hätten sie die Kinder regelrecht umringt, alle wollten ihre Geschichte erzählen. „Ich hatte das Gefühl, dass es ihnen gut getan hat, mit mir zu sprechen“, sagt Pauline. Bis auf zwei Kinder, die sich gemalt haben, hat sie alle fotografiert. Die starken Porträts stehen auf der Startseite von „Refugee Kids of Stuttgart“.

Im April hatte sie in nur wenigen Tagen 15 000 Klicks auf ihrer Seite: Ein Radiojournalist aus Spanien hatte ihr Projekt vorgestellt und dazu auf dem Weg nach Straßburg einen Abstecher über Stuttgart gemacht, um sie zu interviewen. Das war für sie schon ein besonderes Erlebnis. Nun also Warschau.

Für drei Tage ist sie mit ihrer Mutter, Veerle Ullrick, in die polnische Hauptstadt gereist. Während ihres rund achtminütigen Vortrags saß diese neben ihr und konnte stolz hören, wie die Moderatorin ihre Tochter ankündigte: als „ein unglaubliches Kind, von dem wir alle viel lernen können“. Pauline hatte ihre Aufregung gut im Griff: „Ich spreche gerne vor Leuten, durch die Referate ist man das ja auch gewohnt“, meint sie. Den Vortrag hielt sie auf Deutsch, ihr Blog ist auf Englisch. Im Sommer hat sie das Projekt, das sie vorwiegend am Wochenende und abends verwirklichte, abgeschlossen. Bei der OSZE-Konferenz erntete sie großen Applaus. Die Schulnote steht noch aus. http://refugeekidsofstuttgart.org/