Tatsächlich so skeptisch, wie er schaut: Samuel Weiss im Wilhelma-Theater. Klicken Sie sich durch die Bildergalerie. Foto: Max Kovalenko

Samuel Weiss ist wieder in Stuttgart. Aber nicht als Schauspieler. Er inszeniert die Komödie „Was ihr wollt“ mit Studierenden der Staatlichen ­Schauspielschule Stuttgart. Ein Probenbesuch und ein Spaziergang durch die Wilhelma.

Stuttgart - Am Wasserbecken, wo die Pelikane ihren Schnabel ins Wasser stecken und ihr Kehlsack sich imposant bläht, bleibt Samuel Weiss (45) abrupt stehen. Hochgezogene Augenbrauen, bestürzter Blick. Wo man hindenke. Ensemblegeist und so weiter? Also wirklich. Theater ist kein Kuschelverein. Eher schon ein Piranhabecken. Überhaupt, die Eifersucht, der Konkurrenzdruck. Probe mal eine Szene, sagt er, während der Kollege da sitzt, auf die Uhr blickt und so guckt: Samuel Weiss schaut wie jemand, der üblen Käsegeruch in die Nase bekommen hat.

Nie hat der Schauspieler und Regisseur Lust auf diplomatisches Nettsein, wenn er sich über das Theater allgemein und speziell am Deutschen Schauspielhaus Hamburg unterhält, wo er engagiert ist. Er gibt gern Schwäche zu, das ist seine Stärke und seine Kunst auch beim Spielen. Er zeigt sie, zelebriert sie, dabei beteuernd, absolut nicht zu übertreiben. Selbst während eines Spaziergangs durch die Wilhelma schätzt man diese Ambivalenz, seine robust und mutwillig wirkende Provokationsfreude, hinter der sich eine feine Empfindlichkeit verbirgt.

Samuel Weiss wirkt schon so, als meine er, was er sagt, und doch nimmt man es ihm nicht ganz ab, wenn er vom Ausgespieltsein redet. Davon, dass er nichts mehr zu erzählen habe und dass er sich am meisten „bei sich seiend“ fühle, wenn er inszeniere. Da kann er noch so lustig davon seiner Kindheit erzählen, wie er als Chef eines Spielzeugzirkusses glücklich war. Wenn man den Mann sieht, wie elastisch er über die Bühne springt, wenn man sieht, wie er für eine kranke Schauspielschülerin einspringt und mit bösem Lächeln einem Schauspielstudenten einen so langen festen Kuss auf den Mund drückt, dass der junge Mann verdutzt aus der Wäsche schaut, dann sieht man, dieser Mensch ist nicht ausgespielt.

Weiss bleibt jetzt noch zwei Jahre

Das mit dem Ausgespieltsein hat er übrigens gleich wieder relativiert. Eine Zeit lang war die Situation in Hamburg schwierig, kontinuierliches Arbeiten mit Regisseuren hat Samuel Weiss vermisst. Und doch ist er geblieben. „Friedrich Schirmer hatte mir angeboten, spielen und inszenieren zu dürfen, da habe ich einen Vertrag bis zum Schluss unterschrieben.“ Daher bleibt Samuel Weiss jetzt noch zwei Jahre an dem Haus, das von 2013 an die hochgelobte Karin Beier leiten wird. Und dann? Mal sehen.

Wie wichtig es ist, mit einem Regisseur eine Strecke zu gehen, merke er bei den Proben mit den Studenten im Wilhelma Theater. So eine Szene wie vorher, das wäre zu Beginn, als man sich kaum kannte, nicht möglich gewesen, sagt er. „Spiel, was du spielen willst, aber spiel es!“, herrschte Samuel Weiss einen Schauspieler an, nachdem er mehrmals engelsgeduldig eine Szene erklärt hatte. „Ich möchte sehen, der steht kurz vor dem Herzinfarkt! Du spielst das, als hättest du ein Surfbrett dabei. Gib mal alles, was du hast. Mach Rabatz!“ Weiss rauft sich das stoppelkurze Haar, lacht aber schon wieder und setzt sich. Und bitte: Es funktioniert.

Auch wenn Weiss beim Pausenspaziergang sagt, wenn man sich gut genug kenne, nehme man heftige Kritik nicht persönlich, hat er den Surfbrett-Freund doch besonders nett verabschiedet. Geprobt wird „Was ihr wollt“ von Shakespeare, Samuel Weiss’ Wahl. „Es ist ein schwieriges Stück. Eigentlich unspielbar“, sagt Samuel Weiss mit einem kurzen Lachen.

Eine Frau, die einen Mann liebt, der in Wirklichkeit eine Frau ist

Er kennt die Komödie gut. In Stuttgart, wo er von 1993 bis 2000 engagiert war, spielte er 1999 Olivia. Eine Frau, die einen Mann liebt, der in Wirklichkeit eine Frau ist. Regisseur Krzysztof Warlikowski sei so perfekt gewesen, wenn er bei den Proben Olivia vorgemacht habe, darauf sei er so eifersüchtig gewesen und sich so klein vorgekommen. Jetzt, wo Samuel Weiss es nachmacht, kurz bevor das Affenhaus mit den Babygorillas erreicht ist, zeigt er: Er hat es noch drauf. Bei der Premiere schrieb der Kritiker unserer Zeitung, Horst Lohr: „Samuel Weiss pendelt mit feinsten Nuancen zwischen männlichem Kommandoton, mädchenhafter Zärtlichkeit und damenhaft gedämpftem Liebeshunger.“

2008 in Hamburg war Samuel Weiss in Klaus Schumachers „Was ihr wollt“-Inszenierung Malvolio. Ein Haushofmeister, eitel und borniert, der unglücklich in Olivia verliebt ist und dem übel mitgespielt wird. Weiss sieht unzufrieden aus. Keine tolle Arbeit findet er, und das obwohl seine Interpretation des Pechvogels sehr gelobt wurde. Als er kürzlich in Stuttgart seine Kollegin Ute Hannig getroffen hat, die im November im Schauspielhaus in Lars von Triers „Dancer in the Dark“ mitspielt, fragte die ihn: „Inszenierst du es also zum zweiten Mal?“ „Ute war die Olivia. Ich bin den Kollegen sicher ziemlich auf die Nerven gegangen“, sagt Samuel Weiss. Er hatte halt andere Vorstellungen als der Regisseur. „Es ist ein dreckiges, ein ans Existenzielle gehendes Stück. Allein, wie die Figuren mit ihrer Liebe sich verrennen und was für ein eigenartiger Schluss das ist. Es ist eigentlich überhaupt nicht lustig.“ Also nur ernst spielen? Funktioniert nicht.

Samuel Weiss hadert mit sich. „Ich bin ein ganz guter Coach für die Studierenden, aber ein Regisseur?“ Denkt man an seine Stuttgarter Inszenierungen wie Roland Schimmelpfennigs „Arabische Nacht“, kann er sich beruhigen, er ist’s. Es sind eben nur ein paar Tage bis zur Premiere, Verzweifeln gehört dazu, es ist kein schlechtes Zeichen.

„Was ihr wollt“: Premiere an diesem Samstag, 20 Uhr. Karten: 07 11 / 95 48 84 95.