Stadtdekan Christian Hermes will Jenkins’ Friedensmesse nicht in der Kirche St. Eberhard in Stuttgart hören Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sollte die Friedensmesse von Karl Jenkins auch in der katholischen Kirche St. Eberhard in Stuttgart aufgeführt werden oder ist das Verbot von Stadtdekan Christian Hermes nachvollziehbar, um die Kirche als Kultraum zu schützen? Ein Pro und Kontra.

Stuttgart - Nicht alles, was religiös gemeint ist, passt deshalb in eine Kirche. Und der Ruf des Muezzin ist seit jeher abgrenzend gemeint und wirkt in einer christlichen Kirchen wie eine Provokation. So argumentiert der eine. Karl Jenkins’ Werk ist ein Zeichen der Versöhnung, des Friedens und des religiösen Dialogs. Es zu verbannen, setzt ein Zeichen der Intoleranz. Es sollte deshalb unbedingt in der Kirche – auch der katholischen – aufgeführt werden. Meinen die anderen. Ein Pro und Kontra von Bayern-Korrespondent Paul Kreiner und Lokalchef Holger Gayer.

Pro: „Die Friedensmesse stört den Frieden“

Die Argumentation von Stadtdekan Hermes ist nachvollziehbar. Eine Kirche ist nicht primär Konzertsaal, sondern Kultraum. Da ist – bei Katholiken auch noch durch Tabernakel und ewiges Licht optisch signalisiert – anwesend, was diese Kultgemeinschaft als ihr Allerheiligstes ansieht. Davor darf Respekt verlangt werden. Papst Franziskus sagt das mit Verweis auf Mose und den brennenden Dornbusch so: „Alle müssen lernen, sich vor dem heiligen Boden des anderen die Sandalen von den Füßen zu streifen.“

Der rituelle Ruf zum muslimischen Gebet („Es gibt keinen Gott außer Allah!“) ist seit jeher ausschließend gemeint. Im öffentlichen Raum hat er seinen Platz. In einer christlichen Kirche aber, wenn er wie bei Jenkins’ „Friedensmesse“ auch noch im Original vorgetragen wird, wirkt er wie eine Provokation. Dialog – zwischen Menschen wie zwischen Religionen – bedeutet gerade um des Friedens willen nicht, dass alles immer und überall in stets der gleichen Weise gesagt werden kann. Es passt auch nicht alles, was im weiteren Sinne religiös ist, in eine Kirche. Wagnerianer pilgern für ihre Karfreitagsliturgie, den „Parsifal“, nicht ohne Grund ins Opernhaus. Obwohl Wagner christliche Elemente verarbeitet, käme keiner auf die Idee, das „Bühnenweihfestspiel“ vor einem realen Hochaltar zu zelebrieren. Ein allgemeines religiöses Gefühl und das Erlösungsdogma der konkreten Religion sind zu unterschiedlich.

Jenkins passt in einen stillgelegten Kirchenbau. Davon gibt es mangels Christen immer mehr. Durch solche Räume weht noch sakrale Aura – und eine Erkenntnis, was diese Gesellschaft zunehmend verliert. (Paul Kreiner)

Kontra: Diese Messe gehört in die Kirche

Zugegeben: Es wirkt auf den ersten Blick befremdlich, wenn ein Muezzin von der Kanzel einer christlichen Kirche herab zum muslimischen Gebet aufruft. Doch spätestens auf den zweiten Blick dürfte dem Betrachter klar werden, dass es sich hier nicht um die feindliche Übernahme von St. Eberhard gehandelt hätte, sondern um eine Art von Kunst, die geradezu nach einem sakralen Raum verlangt.

Karl Jenkins’ Friedensmesse The armed man folgt im Grundsatz der katholischen Messliturgie, bedient sich aber auch anderer Texte und Religionen, um die universelle Grausamkeit des Kriegs und den allumfassenden Wunsch nach Frieden zu verdeutlichen. So hat der walisische Komponist den Ruf des Muezzins gleich an die zweite Stelle seiner Messe gestellt: nach dem französischen Soldatenlied L’homme armé und vor dem Kyrie, das jenem Herrn huldigt, den die Christen anbeten. Im weiteren Verlauf des Werks werden alttestamentarische Psalmen ebenso vertont wie Auszüge aus dem hinduistischen Mahabharata.

Nun die gesamte Aufführung zu verhindern, weil ein einziger Teil der Messe stören könnte, zeugt von einer Engstirnigkeit, die einer Kirche, die weltoffen sein will, nicht gut zu Gesicht steht. Dass ausgerechnet der Stuttgarter Stadtdekan Hermes diese fundamentale Position einnimmt, verwundert umso mehr, als er sonst gerne den Erneuerer in seiner Kirche gibt. Mit dem Aufführungsverbot setzt Hermes aber ein Zeichen der Abgrenzung, das noch unverständlicher wird, wenn man bedenkt, dass er dem Rat der Religionen vorsteht – und die Speerspitze des interreligiösen Dialogs in der Stadt sein müsste. (Holger Gayer)