An der Seitenlinie kochen die Emotionen hoch: Trainer Mikel Arteta beim Spiel gegen den FC Chelsea Anfang November, das Arsenal am Ende für sich entscheiden konnte. Foto: imago//ark Pain

Nach drei wechselhaften Jahren hat Mikel Arteta es geschafft, den FC Arsenal London neu aufzustellen. Der Club steht in der laufenden Saison auf Tabellenplatz eins der Premier League. Allerdings muss der Trainer nun verletzungsbedingt auf Schlüsselspieler Gabriel Jesus verzichten.

Für einen Moment gab Mikel Arteta seine Zurückhaltung auf. Der FC Arsenal hatte gerade das Londoner Derby gegen den FC Chelsea gewonnen, 1:0. Anfang November war das, kurz vor der WM-Pause. Ob seine Mannschaft ein ernsthafter Kandidat auf die Meisterschaft in England sei, wurde Arteta (40) gefragt. Zum ersten Mal in dieser Saison gestand der spanische Trainer: „Heute sind wir das“, schob aber vorsichtshalber hinterher: „Im Fußball können die Dinge morgen schon wieder anders aussehen.“ Bescheiden bleiben, nicht übermütig werden, von Spiel zu Spiel denken – das ist Arteta wichtig.

Die Träume auf den ersten Titel seit 2014 sind real

Dabei ist es ja so: Wenn die Premier League am zweiten Weihnachtstag, dem Boxing Day, aus der WM-Unterbrechung zurückkehrt, gibt die Tabelle eine eindeutige Antwort auf die Frage nach Arsenals Titel-Aussichten. Die „Gunners“ haben in dieser Saison erst eine Niederlage kassiert und führen die Rangliste souverän an. Der Vorsprung auf Serienmeister Manchester City beträgt schon solide fünf Punkte. Das sind klare Indizien: Der Club aus dem Norden Londons muss ernst genommen werden im Rennen um die Meisterschaft. Die Träume vom ersten Titel seit 2004, als Arsenals „Invincibles“ unter Trainer-Ikone Arsène Wenger keine einzige Partie verloren hatten, sind real.

Das ist das Werk von Mikel Arteta. Der einstige Arsenal-Kapitän ist in diesen Tagen seit genau drei Jahren im Amt. Er hat es geschafft, die Irrfahrt des Clubs nach Wengers Abschied im Frühjahr 2018 zu beenden. Das brauchte allerdings Zeit. Zu Beginn der vergangenen Saison war Artetas Projekt fast schon gescheitert: Nach drei Niederlagen, unter anderem einem 0:5 gegen Manchester City, waren die Londoner Tabellenletzter. Die öffentliche Meinung drehte sich gegen den unerfahrenen Trainer, doch dieser erklärte wie ein Mantra, dass die Neuerfindung des FC Arsenal ein Prozess sei, dem es zu vertrauen gelte: „Trust the process.“

Arteta hat eine perfekt harmonierende Mannschaft geschaffen

Was damit gemeint war, wird mittlerweile sichtbar. Arteta hat eine perfekt harmonierende Mannschaft geschaffen, die konstant gute Leistungen abruft und in dieser Saison endlich auch in der Lage ist, namhafte Gegner zu besiegen. Eine Vielzahl junger Profis wie Kapitän Martin Ødegaard (mit sechs Toren bester Arsenal-Schütze), der brasilianische Außenstürmer Gabriel Martinelli oder Englands Nationalspieler Bukayo Saka haben einen Reifeprozess durchlebt und sind zu Schlüsselspielern aufgestiegen.

Vor allem Sakas Fall ist imposant. Viele Beobachter hatten befürchtet, dass seine Kariere einen Knick erleiden würde, nachdem er im Elfmeterschießen im EM-Finale gegen Italien im vergangenen Jahr seinen Versuch vergeben hatte und danach im Internet rassistisch beleidigt wurde. Das Gegenteil ist eingetreten: Saka ist stärker denn je.

Arteta stellt Disziplin und Teamgeist über alles. Er glaubt an „den Kult des Kollektivs“, wie der „Guardian“ es kürzlich formulierte. Namhafte Problem-Profis wie Mesut Özil und Pierre-Emerick Aubameyang hat der Trainer ausrangiert, den zwischenzeitlich in Ungnade gefallenen Granit Xhaka integrierte er wieder in die Gemeinschaft. Schlüssel zum Erfolg war auch die Verpflichtung von Linksverteidiger Oleksandr Zinchenko und Mittelstürmer Gabriel Jesus von Manchester City zu dieser Saison. Sie waren unter Pep Guardiola zu gestandenen Premier-League-Profis gereift, spielten im Milliarden-Ensemble aus dem Etihad-Stadion aber nur eine Nebenrolle. Bei Arsenal sind sie Eckpfeiler des Aufschwungs.

Die WM brachte eine Hiobsbotschaft

Die Weltmeisterschaft in Katar brachte dann eine Hiobsbotschaft. Der Brasilianer Gabriel Jesus verletzte sich im Vorrundenspiel gegen Kamerun am rechten Knie. Arteta muss mehrere Monate ohne seinen zweitbesten Torschützen (fünf Treffer) und besten Vorbereiter (sechs Vorlagen) auskommen. „Das ist natürlich ein schwerer Schlag für uns“, sagt der Trainer.

Eine Möglichkeit wäre, den Ausfall mit Bordmitteln zu kompensieren. Eddie Nketiah und Martinelli kommen als Ersatz infrage. Möglicherweise bedienen sich die Londoner aber auch auf dem Transfermarkt, der im Januar wieder seine Tore öffnet. Fest steht, dass die Verletzung von Gabriel Jesus eine ernsthafte Prüfung für Arsenals Meisterschaftsambitionen ist.

Ein weiterer Test ist das Programm nach den Feiertagen: Am Boxing Day geht es gegen West Ham United, an Silvester wartet Brighton & Hove Albion. Zu Beginn des neuen Jahres trifft Arsenal nacheinander auf die Champions-League-Kandidaten Newcastle United, Tottenham und Manchester United. Dann wird sich zeigen, ob die Londoner weiter von der ersten Meisterschaft seit den Wenger-Jahren träumen können.