Der dreifache Thalbach: Nellie Thalbach (rechts), Mutter Anna (Mitte) und Oma Foto:  

In Berlin erkennen sie viele, dabei fängt ihre Karriere gerade erst an. Eine Begegnung mit Nellie Thalbach.

Berlin - s muss an ihren Augen liegen. Riesig groß sind sie. Braun-grüne Seen, die melancholisch glänzen oder schelmisch funkeln. An diesen Augen erkennt man sie. Sie sagt, es komme vor, dass sie an der Kasse im Supermarkt angestarrt werde. Manche Leute quatschten sie auch an: „Kiek an, die kleene Thalbach.“ Wobei, das mit dem „kleen“ will sie so nicht stehen lassen. Denn Nellie Thalbach ist zwar die jüngste Thalbach, Tochter von Anna und Enkelin von Katharina, dritte Generation von Berlins bekanntester Theater- und Schauspielerfamilie. Doch sie legt Wert darauf, dass sie von allen dreien die Größte ist. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Denn mit 1,60 Meter überragt sie die anderen beiden nur um vier, fünf Zentimeter. Kleiner Unterschied, große Wirkung. Nellie Thalbach sagt: „Neben Kathi und Anna bin ich ein Riese.“

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr also nicht. Keine schlechte Voraussetzung, um die Tradition der Familie fortzusetzen. Zusammen mit ihrer Mutter und Oma hat die 21-Jährige jetzt ihren ersten Spielfilm gedreht: „Wir sind die Rosinskis.“ Und man tritt den Thalbachs nicht zu nahe, wenn man sagt, sie spielten wieder die Rollen, die ihnen das Fernsehen immer passend zu ihrem Image herauslegt. Der Rosinski-Clan, das ist eine chaotische Patchwork-Familie, regiert von einer Alpha-Oma (Katharina Thalbach). Oma ist egal, was andere über sie denken: Mittags den ersten Martini kippen, einen halb so alten Geliebten herumkommandieren – Oma kann sich das leisten, denn sie hat Geld. Sie ist die weibliche Version von Don Vito Corleone aus dem Mafia-Epos „Der Pate“.

Oma Angelika und ihre Enkelin Angelique (Nellie Thalbach) sind ein Herz und eine Seele. Nur mit ihrer Tochter Peggy (Anna Thalbach) gibt es ständig Krach. Oma wurmt es, dass Peggy in einer verlotterten Bruchbude haust und drei Kinder von drei Vätern hat. Sie findet, die Tochter habe etwas Besseres verdient als ihren Mann Torben (Milan Peschel). Als Torben dann seinen Job verliert, setzt sie alle Hebel in Bewegung, damit der Clan wieder zusammenrückt. Blut, so die Botschaft dieses Beitrags zu der ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit“, ist dicker als Wasser.

Die Familie: fast zu harmonisch, um wahr zu sein

Im richtigen Leben ist das offenbar nicht anders. Nellie Thalbach lächelt, wenn man sie fragt, ob es zu Hause genauso sei wie bei den Rosinskis. Laut, chaotisch und zerstritten? Das mit dem „laut“ lässt sie zwar stehen. „Kommt drauf an, wie man ‚laut’ definiert.“ Aber von dicker Luft will sie nichts wissen. Sie sagt, alle drei hätten ihre eigene Wohnung in Berlin, sie treffen sich aber regelmäßig. Und gestritten werde selten, denn Unstimmigkeiten kämen immer gleich auf den Tisch. Sogar in den Urlaub fahre man zu dritt. Und gelegentlich teile man sich dabei sogar ein Bett. Das klingt beinahe zu harmonisch, um wahr zu sein. Aber sonst scheinen alle Thalbach-Klischees zu stimmen, mit denen die sozialkritische Komödie spielt. Eine Alpha-Oma als Familienoberhaupt. Frauen, die es gewohnt sind, sich alleine durchzuboxen. Männer, die nur in Nebenrollen auftauchen. Ein Matriarchat, wie man es heute nur noch aus Biene-Maja-Filmen kennt.

Hat sie gar keine Angst gehabt, dass sie schon in der Schublade steckt, bevor sie die Chance gehabt hat, sich als Schauspielerin auszuprobieren? Ach, sagt sie so altersmilde, wie das mit 21 Jahren eben geht. Von solchen Bedenken habe sie sich freigemacht. Und ihre Rolle in dieser Komödie habe doch nichts, aber auch gar nichts mit ihr zu tun. Eine Nageldesignerin, die Angelique heißt. So eine Tussi mit strassbesetzten Jeans und riesengroßen Ohrringen. Sie sei keine von den Tussis, die „Germany‘s Next Topmodel“ guckten, sagt Thalbach.

Die „kleene Thalbach“ sitzt im Konferenztrakt eines Hotels ins Berlin-Tiergarten. Zart, zierlich und ganz in Schwarz gekleidet. Es ist die Lieblingsfarbe der Thalbachs. Schwarz tragen sie am liebsten, alle drei. Schwarz ist keine Farbe. Es ist eine Lebenseinstellung. Die Farbe der Kreativen, der Existenzialisten, der Extracoolen. Aber so ist das eben, wenn man in einer Familie aufwächst, die das Theater in der DNA trägt. „Du kriegst nicht nur das Schauspielern in die Wiege gelegt, sondern auch den Lebensstil.“ Bewusst geworden sei ihr das schon als Kind. Umgeben von Menschen, die anspruchsvolle Bücher lesen und sich für Bilder und Filme interessieren. Erzogen von einer Mutter, die selten zu Hause war, weil sie auf Tournee war. Ein Vater, den sie zwar kennt, zu dem sie aber wenig Kontakt hat.

Bis 30 will sie Mutter werden

Nellie war zwölf, als sie beschloss, die restliche Schulzeit in einem Internat zu verbringen. „Klingt vielleicht verrückt, aber ich mag Regelmäßigkeit.“ Die Jahre im Internat seien eine gute Schule gewesen. Tag und Nacht umgeben von Gleichaltrigen, die ihre Probleme teilten. „Ich bin dankbar dafür, was ich dort an Freundschaften und sozialer Kompetenz mitgenommen habe. In Berlin ist alles schnelllebiger und unverbindlicher.“

Vom Theater wollte sie lange nichts wissen. Mit sieben stand sie zum ersten Mal auf der Bühne, als kleine Polly in Brechts „Dreigroschenoper“. Danach kam lange nichts. Nellie probierte sich selber aus. Arbeitete als Kostümbildnerin, jobbte bei Kaiser’s an der Kasse. Warf nach zwei Wochen wieder das Handtuch. Sich von einer Rentnerin sagen zu lassen, mach hinne, Mädchen, sonst sterbe ich, bevor du fertig bist, das sei nicht ihr Ding gewesen, sagt sie.

Erst 2014 kam sie zurück ins Theater. Oma hatte aus zwei Gerhard-Hauptmann-Dramen eines gemacht und die Hauptrollen mit Tochter und Enkelin besetzt. „Roter Hahn im Biberpelz“. Diesmal hätte sie Blut geleckt, erzählt sie. „Es gibt dir jedes Mal ein unbeschreibliches Gefühl, wenn du merkst, dass du die Leute berührst.“ Sie will sich jetzt um einen Platz auf der Schauspielschule bewerben. Bis 30 will sie Mutter werden. Den passenden Mann dazu habe sie schon. Und auch den Vorsatz, mit einer weiteren Thalbach-Tradition zu brechen: „Ich glaub’, ich hab echt Bock auf so einen kleinen Jungen.“