„Da müssen wir endlich Klartext reden und aufhören, uns mit Wattebällchen zu bewerfen“: Uwe Hück über die Frage, ob Flüchtlinge Arbeitsplätze wegnehmen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Bei VW beginnen im April die Verhandlungen um höhere Entgelte. Uwe Hück, Betriebsratschef bei der VW-Tochter Porsche, will dieses Jahr Sonderkonditionen für Gewerkschaftsmitglieder aushandeln.

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Herr Hück, inwiefern stellen Sie sich vor dem Hintergrund des Abgasskandals bei VW dieses Jahr auf eine besonders harte Tarifrunde ein?
Wir können keine Rücksicht auf den VW-Diesel-Skandal nehmen. Schließlich haben nicht die Arbeiter bei VW oder Porsche die Fehler gemacht. Ich fordere in der kommenden Tarifrunde außerdem, dass die Mitglieder der IG Metall einen zusätzlichen Beitrag zu ihrer betrieblichen Altersvorsorge bekommen. Wir sprechen hier von einem Rentenbaustein für IG-Metall-Mitglieder, der im Durchschnitt zwischen 500 und 800 Euro liegen wird. Die Leistung soll in den Jahren bezahlt werden, in denen es eine Tarifrunde gibt.
Ist dieses Jahr der richtige Zeitpunkt, um Sonderkonditionen für Gewerkschaftsmitglieder auszuhandeln?
Für den Arbeitgeber ist doch nie der richtige Zeitpunkt. Es war auch nicht der richtige Zeitpunkt, als wir 1984 die 35-Stunden-Woche erkämpft haben. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, als ich völlig perspektivlos meine beiden Kinder adoptiert habe. Man muss nicht auf den Zeitpunkt achten, man muss sagen: Entweder ich will es, oder ich will es nicht. Diese Akademiker-Tarifrunden müssen aufhören. Tarifverträge werden mit dem Herzen gemacht und nicht mit dem Taschenrechner.
Das Geld für Rentenbausteine kommt vom Arbeitgeber. Warum sollte der einen Anreiz finanzieren, in die IG Metall einzutreten?
Warum soll der Arbeitgeber einen Tarifvertrag mit uns machen? Warum soll er eine Lohnerhöhung mit uns vereinbaren? Warum sollte er Boni mit uns aushandeln? Der Punkt ist, dass Gewerkschaften für Frieden und Ordnung in einem Betrieb sorgen. Und alles, was ich will, ist, dass die Gewerkschaftsmitglieder, die tagtäglich für die Belange von allen kämpfen, eine Kompensation bekommen. Diejenigen, die Lohnausfälle durch Warnstreiks hinnehmen und ihre Freizeit für Delegiertenversammlungen opfern, sollen einen Rentenbaustein in Höhe von maximal zwei IG-Metall-Jahresbeiträgen erhalten. Ich habe die Lage mit den Arbeitgebern schon besprochen. Am Anfang waren sie nicht begeistert. Dafür habe ich auch Verständnis. Kein Verständnis habe nur, wenn sie sich durchsetzen.
Werden dann nicht diejenigen benachteiligt, die nicht in der IG Metall sind?
Das ist doch keine Benachteiligung. Jeder kann den Rentenbaustein haben – er muss nur einfach Mitglied der IG Metall sein. Und die, die bisher nicht Mitglied sind, wurden ja bisher auch bevorteilt, da sie keine Mitgliedsbeiträge bezahlt und sich nicht engagiert haben, aber die jährlichen Lohnerhöhungen wurden trotzdem eingeschoben.
Das heißt, Sie üben Druck aus, dass die Beschäftigten in die Gewerkschaft eintreten.
Das brauchen wir nicht. Unser Organisationsgrad hier am Standort ist 90 Prozent. Nirgends im Leben bekommt man etwas, ohne zuvor einen Beitrag geleistet zu haben. Außer bei Arbeitskämpfen, an denen man sich nicht beteiligt. Manche Nichtmitglieder beschimpfen die Gewerkschaftsmitglieder, die gestreikt haben, auch noch und sagen: „Bist du blöd, dass du auf die Straße gegangen bist. Ich bekomme jetzt die gleiche Lohnerhöhung wie du.“ Diese Beschimpfung muss aufhören. Das ist unsolidarisch und egoistisch.
Es gibt im Gesetz allerdings die sogenannte negative Koalitionsfreiheit, die besagt, dass jeder Mensch die Freiheit hat, sich einer Organisation wie beispielsweise einer Gewerkschaft nicht anzuschließen. Verstößt diese Regelung nicht gegen genau dieses Gesetz?
Nein, dazu hat die IG Metall extra ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Das Bundesarbeitsgericht erlaubt, eine sogenannte Differenzierungsklausel in den Tarifvertrag zu schreiben, die zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtorganisierten unterscheidet. Beim vergangenen Gewerkschaftstag haben im Oktober weit über 90 Prozent der Delegierten die Entschließung mit dem entsprechenden Antrag angenommen. Und wie gesagt: Es geht nicht um mehr Gehalt für Gewerkschaftsmitglieder, sondern um einen Zuschuss für die Altersvorsorge. Wir grenzen keinen aus. Den Rentenbaustein kann jeder einfordern, der IG-Metall-Mitglied ist.
Wären die Rentenbausteine auch eine Möglichkeit, die Mitarbeiterboni in der Autoindustrie zu deckeln, indem man sagt: Alles, was eine gewisse Summe übersteigt, fließt in die Altersvorsorge? Schließlich sorgen die hohen Sonderzahlungen regelmäßig für Unmut – zum Beispiel bei Zulieferern.
Es ist richtig, dass die Boni in der Autoindustrie nicht ins Unendliche ausufern dürfen. Da müssen wir in den kommenden Jahren eine intelligente Lösung finden. In diesem Jahr werden die Boni wieder sehr ordentlich ausfallen, da bin ich mir sicher. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben schließlich saumäßig dafür geschafft, und es wäre das völlig falsche Signal, wegen Dieselgate an die Boni der Porscheaner zu gehen.
Höher also als vergangenes Jahr?
Das wäre nicht schlecht. Auch da nehme ich keinerlei Rücksicht auf Dieselgate. Denn diejenigen, die betrogen haben, müssen bestraft werden, nicht die Arbeiter. Wir wollen der Belegschaft durch den Bonus Wertschätzung geben. Wir Arbeitnehmervertreter werden für einen intergalaktischen Bonus kämpfen. Das Ergebnis von Porsche wird demnächst auf der Bilanzpressekonferenz verkündet, und ich hoffe, es fällt sehr gut aus. Wenn das so ist, sehe ich keinen Grund zur Zurückhaltung.
Beim Projekt Mission E geht es in nächster Zeit darum, sich für einen Zulieferer für die Batteriezelle zu entscheiden. Ist es richtig, dass der Favorit gerade eher Panasonic als Bosch ist?
Porsche hat den Auftrag ausgeschrieben. Und ich kämpfe für Bosch. Ich finde das Unternehmen einfach großartig. Denn Bosch hat eine hohe Innovationskraft, und mir ist in diesem Fall ein deutscher Zulieferer lieber. Wir können unsere Stückzahlen nicht von Asien abhängig machen. Wenn die nicht liefern, haben wir ein Problem.
Bosch ist jedoch wesentlich teurer.
Selbst wenn Bosch ein paar Cent teurer ist. Dass eine zuverlässige Lieferung gewährleistet ist, halte ich für unbezahlbar. Und bevor wir in den Flieger steigen und 15 Stunden nach Japan fliegen, um ein Problem zu lösen, setzen wir uns doch lieber kurz in die S-Bahn und fahren zum Bosch. Aber Sie haben recht damit, dass der Arbeitgeber oft die billigste Lösung will, was aber nicht immer automatisch die bessere Lösung ist.
Wann wird eine Entscheidung fallen?
Ziel ist, 2019 die Autos zu bauen. Jetzt haben wir 2016. Wir müssen das dieses Jahr entscheiden.
In einer weiteren Frage wird immer nach schnellen Lösungen gerufen: in der Flüchtlingskrise. Porsche hat zugesagt, mit 15 Asylbewerbern ein Förderjahr zu machen. Können das perspektivisch auch mehr werden?
Wir nennen das bei den Flüchtlingen Integrationsjahr. Während dieser Zeit liegt der Schwerpunkt darauf, Deutsch zu lernen und die Spielregeln unseres Zusammenlebens. Die eine Hälfte sind junge Männer, die anderen Frauen. Wer nicht damit klarkommt, dass Männer und Frauen gemeinsam lernen, muss gehen. Für jeden muss klar sein, ob Flüchtling oder nicht: Wer sich bewährt, kann im Anschluss einen Eignungstest für eine Ausbildung machen. Aber nicht, weil er Flüchtling ist, sondern weil er die Fähigkeiten hat. Den Eignungstest muss jeder bestehen, der einen Ausbildungsplatz möchte. Die Zahl unserer Lehrstellenplätze werden wir ausweiten.
Um wie viel?
Das beraten wir gerade mit dem Vorstand vor dem Hintergrund Mission E. Im Moment haben wir 150 Lehrstellenplätze pro Jahr, und ich schätze, es werden mehr als 20 dazukommen. Das müssen wir genau durchrechnen. Denn da wir alle unsere Azubis bei erfolgreichem Abschluss unbefristet übernehmen, sind in den kommenden fünf Jahren 1000 Arbeitsplätze nötig, wenn wir jetzt beispielsweise auf 200 Auszubildende pro Jahr erhöhen. Dabei muss allerdings niemand befürchten, die Flüchtlinge nehmen jemandem den Arbeits- oder Ausbildungsplatz weg. Das ist wie beim Fußballspielen. Der Schlechteste wird halt nicht aufgestellt. Da ist es aber völlig egal, ob er ein Flüchtling ist oder nicht. Es liegt schon an jedem Einzelnen selbst, sich zu engagieren und sich reinzuhängen. Ein Jugendlicher aus Deutschland kann sich nicht hinstellen und sagen, ihm stünde automatisch ein Ausbildungsplatz zu, wenn er nichts dafür tut, nur weil er hier aufgewachsen ist. Wir müssen unseren Jugendlichen sagen: Das Trikot schwitzt nicht von allein. Da müssen wir endlich Klartext reden und aufhören, uns mit Wattebällchen zu bewerfen.
Klartext fordern allerdings auch viele in Bezug auf die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Ich unterstütze Merkel bei ihrem Kurs. Ich bin Sozialdemokrat. Und die Merkel würde mit ihrer Flüchtlingspolitik bei der SPD gut reinpassen. Bei der CDU nicht, bei der CSU schon gar nicht. Ich bin aber auch an einer funktionierenden Wirtschaft interessiert. Darum plädiere ich dafür, bei allen Diskussionen um Grenzschließungen extrem vorsichtig sein. Denn wir sind Exportweltmeister. 90 Prozent der Waren, die wir produzieren, verkaufen wir ins Ausland. Das hat auch die AfD nicht verstanden. Und auch deshalb ist diese Partei eine Gefahr für den Wohlstand in Baden-Württemberg und in Deutschland.