Wintermorgen in Pommern. Foto: Welzhofer

Im hintersten Pommern kann der Winter sehr melancholisch sein, gäbe es da nicht das Schloss Rybokarty, in dem auch gefeiert wird.  

Rybokarty - „ Die Gegend hier liegt so weitab vom Schuß, daß es ganz ungewöhnlicher Tatkraft bedarf, um überhaupt bis hierher zu gelangen. Und ich bleibe auf diese Weise von Gelegenheitsbesuchern verschont . . .“ (Elizabeth von Arnim, 1866-1941) Das Schloss Hell erhebt sich das Schloss Rybokarty aus der pommerschen Nacht. Die Fenster sind bis in den Turm erleuchtet, der Schnee hat sich wie ein weißer Perserteppich darum ausgebreitet, und die alten Bäume, die es umstehen, neigen tief ihre Zweige. Zbigniew Zajac ist mit seinen geschätzten 1,90 Metern eine nicht weniger imposante Erscheinung als sein Schloss. In kariertem Sakko, ein besticktes weißes Einstecktuch in der Brusttasche, begrüßt der Hausherr die Reisenden in der Eingangshalle.

„Wir feiern heute einen Ball“, sagt er halb stolz, halb entschuldigend, weil er ja weiß, dass den deutschen Gästen die Nachtruhe eigentlich heilig ist. Dann führt er sie durch den Saal, in dem gerade der Verstärker aufgebaut wird, an einen großen Tisch, an dem die Frauen aus der Küche bald all jene Spezialitäten auftragen werden, die eine polnische Winternacht erwärmen können: Heringe, Fleisch und Kartoffelpüree, dampfenden Borschtsch, eine Suppe aus Roter Bete, die mit Kraut gefüllten Teigtaschen Piroggen und immer wieder Wodka, den Zbigniew Zajac aus großen Flaschen einschenkt. Spätestens nach dem dritten Glas ist man denn auch mit dem Schlossherrn per Du, und die rund zwölfstündige Anreise vom Südwesten Deutschlands her kommend mit Zug und Kleinbus über Berlin, Angermünde, Stettin ins polnische Hinterland der Ostsee ist vergessen. Längst hat sich auch der Saal gefüllt. Frauen in Glitzerkleidern wirbeln mit Männern in Uniform über die Tanzfläche, Kinder wetzen drum herum im Kreis, und an den Tisch mit den deutschen Gästen gesellen sich ein paar Honoratioren des Ortes auf ein Glas. Es ist Feuerwehrball in Rybokarty, und aus dem Lautsprecher singt einer die polnische Version von „It Never Rains in Southern California“.

Nach dem Krieg musste die deutsche Bevölkerung gehen

„Erinnerung an Pommern Der Vogelscheuche sind die Lumpen weggeweht Nun steht auf dem Hügel ein Kreuz Und eine Mühle dreht sich . . . fern an einem Bahndamm nicht gegen den Hunger für den Wind (Hans Jürgen Heise, *1930) Das Land Ein Spaziergang über die gefrorenen Wiesen und durch die rund 16 000 Hektar Wald, die das Schloss umgeben, ist ein erfrischendes Morgenprogramm nach einer unruhigen Nacht. Aubergine, Braun, Blaugrau sind die Farben des Winters, die durch die Schneedecke blitzen. Die Gruppe stapft vorbei an vereinzelten Häusern und verwilderten Alleen, die ins Nichts führen. Kein Mensch ist zu sehen, nur eine Gruppe Hunde umringt die Spaziergänger kläffend vor einem Gehöft. Ryborkarty ist so eine Art Pommern im Kleinen. Der 250-Seelen-Ort liegt im Nordwesten Polens, gut 20 Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Bis 1945 gehörte dieses Gebiet östlich der Oder zur preußischen Provinz Pommern. Nach dem Krieg musste die deutsche Bevölkerung gehen.

Das Schloss, dessen Spuren ins Mittelalter zurückführen, hat die Geschichte des Landstrichs mitgemacht, war erst Wehranlage, dann Wohnsitz deutschstämmiger Adelsfamilien, deren Grabtafeln noch im Feldsteinkirchlein des Dorfes zu sehen sind. Im Zweiten Weltkrieg fanden hier Kinder aus den zerbombten Städten eine Unterkunft, und nach dem Krieg richteten die Sowjets eine Zeit lang eine Schule ein. Dann verfiel das Gebäude, wie so viele Schlösser in der Umgebung. Es war Zbigniew Zajac, Geschäftsmann aus Danzig, der die Ruine in den 90er Jahren kaufte und mit seiner Frau Dorota und den drei Töchtern wieder zum Leben erweckte. 215 000 Arbeitsstunden und ein Vermögen flossen in den Wiederaufbau. „Es gibt normale Menschen und es gibt Verrückte. Zbigniew ist ein bisschen von beidem“, sagt Reiseleiter Arthur Schnabel. Seit sieben Jahren kommen er und seine Kollegin Iwona Buckowska mit deutschen Reisegruppen ins Schloss. Zufällig hatten sie es auf der Suche nach einer Unterkunft entdeckt und gewusst: Das ist es. Heute ist der Parlac Rybokarty ein Ort für Reisende, Feste, Künstlerworkshops und Konzerte mit Musikern aus der Umgebung.

Das Wasser Rybokarty ist ein guter Ausgangspunkt

Und für die Einheimischen ist es, - neben einer Palettenfabrik - der wichtigste Arbeitgeber im Dorf. Sonst ist da nicht viel in Rybokarty. Wer Geselligkeit sucht, geht in den Tante-Emma-Laden, kauft eine Tüte Karamellbonbons oder trinkt dort ein Bier. Viele junge Leute sind weggezogen, in die nahen Städte oder gleich ins Ausland. „Pommern ist kein Land. Es war eine Provinz. Aber es ist eine Landschaft, eine spezifische vielleicht. Etwas Östliches ist darin und auch etwas Nördliches . . . könnte ich malen, so würde ich sie in lauter grünen und roten Farben malen, die dann ein frostiges, aber anmutiges Blau ergäben, sagen wir ein bäuerliches Marineblau, wenn es so etwas gibt.“ (Hans-Werner Richter, 1908-1993) Das Wasser Rybokarty ist ein guter Ausgangspunkt, um diesen Landstrich zu entdecken. Abends erkunden die Besucher mit Autoren wie Elizabeth von Arnim, Hans-Jürgen Heise oder Uwe Johnson das literarische Pommern. Tagsüber geht es zu Fuß oder mit dem Bus übers Land, etwa entlang des Camminer Haffs, wo Schwäne und Gänse in milchigem Licht über die gefrorene Wasserfläche tapsen, hinein in die Stadt Cammin mit dem gotischen Dom und der berühmten Orgel.

Oder nach Kolberg, wo der Krieg außer der Kirche nicht allzu viel übrig gelassen hat und am Strand Bernsteinsammler im Treibgut ihr Glück suchen. Pommern kommt aus dem Slawischen und bedeutet Land am Meer. Die Ostsee, sagt Arthur Schnabel, sehe jedes Mal ein wenig anders aus. In einem Jahr treiben Eisschollen auf dem Wasser, türmten sich am Strand zu grünblauen, kubistischen Skulpturen, wie aus einem Gemälde Lyonel Feiningers, dem Porträtist dieser Landschaft. Bei diesem Besuch ist die See frei, nur die Gischt ist als Schaum aus Eiskristallen am Strand liegen geblieben. Nach eineinhalb Stunden Strandspaziergang vorbei an den Ostseeorten in tiefem Winterschlaf ist man dann aber so durchgefroren, dass nur noch eine heiße polnische Suppe helfen kann. Eine Gurken- oder Kuddelsuppe vielleicht oder eine säuerliche Zurek. Vielleicht auch ein Gläschen Wodka. Keine Frage, man muss wieder zurück nach Rybokarty.

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Infos zum polnischen Pommern

Der Begriff Pommern
Pommern ist eine Region im Nordosten Deutschlands und im Nordwesten Polens. Sie umfasst die Ostseeküste und reicht bis zu 200 Kilometer ins Hinterland hinein. Bis 1945 wurde mit Pommern das Gebiet der preußischen Provinz bezeichnet, die zwischen 1815 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs existierte: das westlich der Oder gelegene Vorpommern und das östlich der Oder gelegene Hinterpommern. Ersteres gehört heute zu Deutschland, Letzteres zu Polen und wird Polnisches Westpommern oder auch Stettiner Pommern genannt.

Anreise
Vom Südwesten Deutschlands aus fährt man in knapp neun Stunden mit dem Zug über Berlin und Angermünde ins polnische Szczecin (Stettin), mindestens ebenso lange dauert es mit dem Auto. Vor Ort können sich Reisende und Wanderer auch mit Regionalbahnen fortbewegen. Von Süddeutschland aus gibt es keine Direktflüge nach Stettin.

Winterreisen
Der Regensburger Anbieter Begegnung mit Böhmen bietet die im Text beschriebene Winter- und Kulturreise mit Unterkunft im Schloss Rybokarty über Silvester an, vom 28. Dezember bis 4. Januar (nur noch Doppelzimmer verfügbar). Der auf Mittel- und Osteuropa spezialisierte Veranstalter bietet noch weitere Winterprogramme in Polen an: „Winterzauber in Schlesien“ vom 1. bis 8. März 2014, eine Kultur-, Wander- und Entspannungsreise in Niederschlesien von Leubus bis Görlitz.

Ein anderes Winterangebot führt in den Bayerischen Wald: „Weiße Wildnis - zu Besuch bei Künstlern und Rangern“. Die Winterwanderungen finden von 25. Januar bis 1. Februar sowie vom 15. bis 22. Februar 2014 statt. Infos unter Telefon 09 41 / 2 60 80 oder auf der Homepage www.boehmen-reisen.de Mehr zum Schloss Rybokarty: www.rybokarty.pl

So wird das Reisewetter in Europa