Eine Podiumsdiskussion zum Landesjubiläum stellt Fragen zur Heimat und zur Zukunft der Gesellschaft. Badener hatten zuvor protestiert.
Die Veranstaltung „70 Jahre Baden-Württemberg – Wer wir sind! Wer sind wir?“ im Hospitalhof in Stuttgart hatte im Vorfeld hohe Wellen geschlagen, weil die „Landesvereinigung Baden in Europa“ die badische Seite des Bundeslandes nicht vertreten sah. Wie der stellvertretende Direktor der mitveranstaltenden Landeszentrale für politische Bildung, Reinhold Weber, betonte, sei die „Sache dann künstlich hochgezogen worden“ und hatte durch die Resolution der Landesvereinigung „einen sehr schlechten Geschmack angenommen“. Auf die Zusammensetzung der Podiumsgäste hatte der Protest indes keinen Einfluss.
Solche Scharmützel sind nicht produktiv
Deutlich wurde dann am Mittwoch nicht nur in der abschließenden zentralen Podiumsdiskussion: Derlei Scharmützel dürften künftig eher nicht Teil einer produktiven Zukunftsdebatte in Baden-Württemberg sein. In der Diskussion der vier Podiumsgäste – allesamt Frauen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen – zeigte sich an diesem Abend unter dem Titel „Wer wollen wir sein?“ vielmehr: Fragen der Identität, Zugehörigkeit und Diversität verlaufen in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte längst nicht mehr entlang althergebrachter regional-landsmannschaftlicher Konfliktlinien.
Baden-Württemberg ist ein Einwanderungsland
So betonte etwa Landtagspräsidentin Muhterem Aras, dass Baden-Württemberg ein Einwanderungsland sei: Es sei dieses Verständnis von Vielfalt, das uns helfe, „Veränderungen mit positiver Grundhaltung zu begegnen“, so Aras. Dies sei „die Grundvoraussetzung um in einer global vernetzten Welt dauerhaft bestehen zu können“.
Dass „Vielfalt nicht gleichbedeutend mit Harmonie“ ist, wie Aras betont, könnte dabei dann doch ein Wink über die längst nicht mehr vorhandene badisch-württembergische Grenze gewesen sein. Die Politikerin lässt durchblicken, dass letztlich auch zwischen Stuttgart und Karlsruhe die Konkurrenz das Geschäft belebt: „Dass es in der Residenzstadt Karlsruhe einzigartige Forschungs- und Kultureinrichtungen gibt, ist auch eine Folge von Wettbewerb in Augenhöhe mit der Landeshauptstadt“, so die Landtagspräsidentin.
„Viele Heimaten“ seien möglich
Dass in einer multiethnischen und diversen Gesellschaft auch der Heimatbegriff eine Umdeutung erfährt, muss nicht verwundern: Heimat, sagt Aras, sei ein Ort, an dem dieselben Werte geteilt werden. Welche das sind, stehe letztlich im Grundgesetz: In diesem Rahmen sei jede Art von Vielfalt möglich.
Laura Boga, Doktorandin an der Universität Tübingen, glaubt, dass „viele Heimaten möglich sind“. Und die Schriftstellerin Lena Gorelik, die am Mittwoch kurz zuvor ihr neues Buch „Wer wir sind“ vorgestellt hat, betont, dass sie selbst sich Fragen nach der Heimat nie gestellt habe. Diese Fragen würden vielmehr ausschließlich von außen kommen. Was sie suche, sei „ein Zuhausegefühl“, das Geborgenheit vermittle.
Ist Heimat also eine überkommene Formel? Filiz Albrecht, Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin bei Bosch, würde es gerne gelten lassen, „auch die Welt als seine Heimat“ zu begreifen. Gorelik wünscht sich indes, dass in einer „gelasseneren Gesellschaft“ die Frage nach der Heimat sogar letztlich „unbedeutend wird“.
Menschen sollen an ihrer Konfliktkultur arbeiten
Zum Schluss der Podiumsdiskussion will Moderatorin Nicole Köster von den Frauen wissen, wo die baden-württembergische Gesellschaft in fünf Jahren steht. In diesem Zusammenhang betont Albrecht, dass „wir uns in einem globalen Transformationsprozess befinden“. Sie erhofft sich, dass „mit Zuversicht und Vertrauen diese Veränderungen gelingen“.
Laura Boga erwartet von den Menschen, dass sie an ihrer Konfliktkultur arbeiten, damit Streit ohne Hass möglich wird. Und dass Diversität nicht mehr als ein Pro und Contra verhandelt wird, hofft Lena Gorelik. „Sie muss in Zukunft als Zustand verstanden werden.“
Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die sich mit der Landesvereinigung Baden in Europa am 5. Mai zu einem Aussöhnungsgespräch treffen will, wünscht sich, dass jeder der sich mit den Werten dieser Gesellschaft identifiziert, hierzulande auch eine Heimat findet. So gesehen wäre der Heimatbegriff dann doch noch nicht ganz vom Tisch.