Lange hat man der Kanzlerin Konsenspolitik mangelndes Profil vorgeworfen. Nun löst Angela Merkel heftigste Debatten aus. Foto: dpa

Die Union bleibt das wichtigste Kraftzentrum in der deutschen Politik – aber die Kanzlerin polarisiert wie nie zuvor.

Berlin - Sommerpause im politischen Berlin. Der übliche wuselige Parteienbetrieb ruht. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm: Nach dem kleinen Atemholen beginnt der letzte große Abschnitt vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017. Für uns ist das die Gelegenheit zu einem Form-Check der Parteien.

Die Ausgangslage vor der Bundestagswahl

Der Höhepunkt dieser Legislaturperiode war für die Union wohl der Abend der Bundestagswahl 2013. Die 41,5 Prozent waren für Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel eine grandiose Bestätigung. Von solchen Werten ist die Union heute weit entfernt. Umfragen sehen sie seit langem irgendwo zwischen 33 und 35 Prozent. Die Flüchtlingskrise hat die Bürger verunsichert und die Union schwer erschüttert. Im Frühjahr gingen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Landtagswahlen verloren, die eigentlich zu Triumphen für die Kandidaten der Union hätten werden sollen. Aus der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten wurde nichts. Während die CDU wenigstens noch einigermaßen das Bild weitgehender Geschlossenheit vermittelt, hat sich die CSU unter ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer meilenweit von Merkel entfernt. Beim innenpolitisch alles beherrschenden Thema, der Flüchtlingspolitik, vertreten beide Parteien entgegen gesetzte Konzepte. Der Streit wird von der CSU öffentlich zelebriert. Immerhin scheint sich das in Bayern für die CSU auszuzahlen. Eine jüngste Umfrage sieht die Christsozialen dort bei 43 Prozent, während die AfD nur bei 8 Prozent liegt.

Die Machtperspektive

Die Umfragezahlen zeigen zweierlei: Die Union ist nach wie vor die stärkste politische Kraft in Deutschland, und aus heutiger Sicht spricht überhaupt nichts spricht dafür, dass sich das bei der Bundestagswahl ändern könnte. Andererseits nehmen die immer weiter abschmelzenden Werte der Union die Hoffnung, nach der Bundestagswahl aus der ungeliebten großen Koalition aussteigen zu können. Viele in der Union träumen von einem Zweierbündnis mit einer in den Bundestagstag zurückkehrenden FDP. Die Zahlen geben das nicht her. Zumindest derzeit hätte auch eine schwarz-grüne Allianz keine eigene Mehrheit. Will die Union strategische Unabhängigkeit gewinnen, muss sie unbedingt wieder Boden gut machen. Andererseits ist auch klar: Gegen die Union ist absehbar keine Regierungsbildung möglich. Wenn nicht neue krisenbedingte Umwälzungen die Republik erschüttern, hat Angela Merkel deshalb alle Chancen, über 2017 hinaus Kanzlerin zu bleiben.

Die Strategie

Die Union wird auch im kommenden Bundestagswahlkampf ganz auf die Kanzlerin setzen. Sie kann dabei auf die in vielen Wahlkämpfen erwiesene Tendenz setzen, dass sich die Bürger gerade in Krisenzeiten eher um den Regierungschef scharen und ohnehin politisch unsichere Zeiten nicht durch einen herbeigewählten Regierungswechsel noch unüberschaubar machen wollen. Allerdings ist das nicht ungefährlich. Ganz anders als in früheren Wahlkämpfen nämlich ist Merkel zu einer Politikern geworden, die polarisiert. Die CDU muss also auch inhaltliche Angebote machen. Für eine Partei mit auch konservativen Wurzeln liegt es deshalb nahe, dass sie das Thema „Sicherheit“ in den Vordergrund stellen wird. Schutz vor Alltagskriminalität wird sicher in den Blickpunkt rücken. Solidität in der Finanzpolitik wird ein wichtiges Nebenthema werden. Wolfgang Schäuble genießt das Vertrauen der Bürger. Vermutlich wird – wie so oft – das Versprechen größerer Steuerentlastungen in der nächsten Wahlperiode dazukommen. Alles aber steht unter einem ganz großem Vorbehalt: Es muss der Union gelingen, die gewaltige Entfremdung zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU einzudämmen. Noch ist nämlich gar nicht klar, ob die Bayern überhaupt ein gemeinsames Wahlprogramm mit der CDU präsentieren wollen. Dass sie als CSU mindestens eine eigene Ergänzung vorlegen werden, ist dagegen ganz sicher. Oberster strategischer Grundsatz für die Union wird es deshalb im kommenden Jahr sein, zwischen Merkel und Seehofer irgendeine Art des Auskommens hinzubekommen. Das klingt eigentlich machbar. Aber es ist auffallend und irritierend, dass in beiden Parteizentralen inzwischen mit einem Ton über die jeweilige Schwesterpartei geredet wird, der nicht mehr frei von Verachtung und Eiseskälte ist. Das Risiko ist also hoch.

Spitzenkandidatin

Angela Merkel wird sicher wieder antreten, auch wenn sie das in ihrer Sommerpressekonferenz in der vergangenen Woche auch auf Nachfrage offen gelassen hat. Das lag aber wohl nur daran, dass ihr der Ort unpassend schien. Sie wollte die ernsten Themen, von Terror bis Integration, nicht mit Spekulationen zu ihrer persönlichen politischen Zukunft vermischen. Die Union wählt ihre Spitzenkandidaten nicht per Urwahl. Im Klartext: Wenn Merkel antreten will, wird sie antreten. Und sie will. Ein überraschender Stabwechsel, ein Jahr vor der Bundestagswahl angekündigt, würde die CDU ins Chaos stürzen. Es gibt schlicht keinen Nachfolger, der in allen Strömungen der Partei unumstritten wäre. Vielleicht mit Ausnahme von Wolfgang Schäuble. Der aber kommt nicht in Frage. Merkel macht’s.

Auf- und Absteiger

Merkel selbst wird man wohl zu den Absteigern zählen müssen. Die Flüchtlingskrise hat alles verändert. Noch nie in ihrer Amtszeit ist ihr auch (und gerade) aus Kreisen der eigenen Partei so viel Ablehnung entgegen geschlagen. Dass die Union wieder über die 40-Prozent-Marke klettern kann, wie bei der vergangenen Bundestagswahl, glaubt niemand in der Partei. Die beste Zeit als Kanzlerin hat Angela Merkel hinter sich. Ihren Status als neue Hoffnungsträgerin der Partei hat auch Julia Klöckner eingebüßt, die nun schon zum zweiten Mal daran gescheitert ist, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin zu werden. Ganz klar, auch sie ist eine Absteigerin. Insofern gehört sicher auch Guido Wolf dazu, der in Baden-Württemberg nach total vergeigtem Wahlkampf Winfried Kretschmann nicht ablösen konnte.

In einem Krisenjahr nach Aufsteigern zu suchen ist nicht so leicht. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier gehört wohl dazu. Viele schauen darauf, wie die schwarz-grüne Regierung in Hessen funktioniert, weil das ein Modell für den Bund werden könnte – und sie funktioniert gut. In der Bundespolitik und in der CDU gewinnt der 36-jährige Jens Spahn, inzwischen Staatssekretär im Finanzministerium, immer mehr Einfluss.