Im Bild zu sehen ist die Tänzerin Nagisa Hantano in einer Szene aus dem „Triadischen Ballett“. Sie stellt die Figur "Großer Rock" dar. Für mehr Bilder klicken Sie sich durch unsere Galerie. Foto: Bayerisches Staatsballett

Für die Gäste aus München war es doch eine Art Heimspiel: Am Montag und Dienstag tanzten die Junioren des Bayerischen Staatsballetts im Kammertheater das „Triadische Ballett“. 1922 hatte Oskar Schlemmer in Stuttgart seine Figurinen in Bewegung gebracht; viel zu lange mussten sie stillstehen.

Das "Triadische Ballet" von Oskar Schlemmer gilt als Gegenkonzept zum Ausdruckstanz. Oskar Schlemmer begann noch vor dem Ersten Weltkrieg daran zu arbeiten. 1922 fand die Uraufführung in Stuttgart statt. Lesen Sie hier mehr zu Oskar Schlemmers Weg. Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart beschäftigt sich mit dem Werk des modernen Künstlers. Mehr dazu finden Sie hier.

Bekanntes neu entdeckt

Der Taucher, der Scheibentänzer, die Goldkugel, der Abstrakte, die Drahtfigur, der Türke, die Tänzerin im Scheibenrock: Für Stuttgarter Kunstfreunde sind Schlemmers Figurinen alte Bekannte. Die erhaltenen Kostüme, in denen einst das „Triadische Ballett“ getanzt wurde, prägen sich jedem Besucher der Staatsgalerie ein. Wie Relikte eines vergangenen Wunders glänzen sie auch jetzt in der Großen Landesausstellung „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“. Wer ihr erstes, bewegtes Leben erahnen will, braucht viel Fantasie und noch mehr tanzhistorisches Wissen.

Endlich in Bewegung

1989 war die letzte Aufführung des „Triadischen Balletts“. Dann sorgte das Ringen um das Schlemmer-Erbe dafür, dass die choreografische Neufassung, die Gerhard Bohner 1977 im Auftrag der Berliner Akademie der Künste gestaltete, in der Versenkung verschwand. Groß war der Ansturm folglich, als rahmend zur Landesausstellung in der Staatsgalerie das Gastspiel des Bayerischen Staatsballetts angekündigt wurde, das nun Schlemmers „Triadisches Ballett“ an den Ort seiner Entstehung zurückbrachte. Lesen Sie hier mehr zur Inszenierung des Bayerischen Staatsballetts.

Und wer das Glück hatte, eine der raren Karten für die wenigen Aufführungen im Kammertheater zu ergattern, kam tatsächlich in einen besonderen Kunstgenuss. Da ist zu hören, wie sich die Drähte in Drehungen sirrend reiben, der Tütenrock wie ein Blasebalg atmet und die Schnüre an den Beinen der Goldkugel-Männer flirren und vibrieren. Da ist zu bestaunen, welche Dramatik der kurze Auftritt des Abstrakten im Bühnenlicht entfalten kann, wenn er mit Dolch und Keule droht.

Da kommt plötzlich Leben in Schlemmers Theorien von der raumplastischen Figur, die schon durch leichte Bewegung Volumen und Silhouette verändern kann; da ist zu verstehen, wie Schlemmer den in seinen Gemälden idealisierten Menschen auf der Bühne mit Masken sucht und mit Kostümen, die den Körper durch geometrische Formen, durch Wattierungen zum Verschwinden bringen.

Bühne und Kunst im Dialog

Am allerschönsten aber ist der feine Dialog, der sich entspinnt zwischen den jungen Tänzern und den Gemälden, die nebenan in der großen Schlemmer-Retrospektive hängen. Das „Triadische Ballett“ lässt Kompositionen wie die „Fünfzehnergruppe“ oder „Gegeneinander im Raum“ neu sehen. Die Gemälde scheinen in ihrer extremen Ausschnitthaftigkeit Bühnenmomente festzuhalten, sind in ihren präzisen Gesten dem Tanz geschuldet, dessen Bewegung im Raum sie wie eine Summe von Standaufnahmen zur vielköpfigen Gruppenszene addieren.

Entstanden sind sie nach der Malpause, zu der die Entdeckung der Bühne Schlemmer verführt hatte – und die zum Glück nur drei Jahre dauerte. „Ich bin zu modern, um Bilder zu malen. Die Krise der Kunst hat mich erfasst . . . Bühne! Musik! Meine Leidenschaft!“, notierte der Künstler 1925.

Im selben Jahr war das Bauhaus von Weimar nach Dessau übersiedelt, wo Schlemmer nun auch die Bühne leitete. Hier konnte er sich den Kontinent vollends erobern, den er 1922 in Stuttgart mit den Tänzern Elsa Hötsel, Albert Burger und Walter Schippe sowie den 18 gemeinsam gestalteten Figurinen des „Triadischen Balletts“ erstmals entdeckt hatte.

Ballett? Ballett!

Weil Stuttgart heute auch Ballettstadt ist, wirken die Formen, die Schlemmer zu den Kostümen des „Triadischen Balletts“ inspirierten, trotz vieler fantasievoller Abschweifungen vertraut. Das klassische Tutu zum Beispiel gestaltete er in Holz oder Draht aus, Muskeln überspitzte er mit Auspolsterungen. Auch der Kanon an Bewegungen, den die teilweise enorm schweren Kostüme zulassen, ist klassisch inspiriert.

Zwar sind nur wenige Schritte aus dem „Triadischen Ballett“ überliefert. Doch Gerhard Bohners choreografische Neufassung aus dem Jahr 1977 ist ganz im Respekt der von Schlemmer angestrebten Reduktion entstanden. Auch wenn Hans Joachim Hespos neue Musik fast zu sprechend ist, auch wenn nun einfaches Schwarz für die Junioren des Bayerischen Staatsballetts den Hintergrund bildet, entwickelt sich die Folge der Tänze schön vom Heiteren ins Heldenhafte, bleibt das Anekdotische Akzent.

Seit 1912 hatte Oskar Schlemmer in Stuttgart mit Albert Burger und seiner Frau Elsa Hötzel, beide Tänzer der Königlichen Hofoper, an Kostümen wie an Choreografie gefeilt. Das Revolutionäre waren damals die Beschränkungen, mit denen sie den eben durch den modernen Tanz befreiten Körper bedachten. „Ballett? Ballett!“, rief Schlemmer im Programmheft zur Uraufführung regelrecht aus. Er wollte „cultischem Seelentanz“ und „ästhetischem Mummenschanz“ einen neuen, theatralischen Tanz entgegensetzen, „prädestiniert, das Neue sachte, weise in die Sinne zu senken“.

Mehr Kunst

Dass Oskar Schlemmer ein Gegenprogramm zum Ausdruckstanz formulierte, war schon bei den ersten Gastspielreisen, die sein „Triadisches Ballett“ damals bis nach Paris führten, allen klar. Bei einem Gastspiel in Berlin notierte der Kritiker der Zeitschrift „Tempo“ Ende der 1920er Jahre: „Hier wird ein Kampf gegen den Tanz als Rausch, als Kitsch, als Illustration der Musik, als seelisches Problem geführt.“ In diesem Bewusstsein nehmen sich auch die jungen Tänzer aus München zurück, sind mehr Konzeptkünstler und Kostümbeweger als Virtuosen.

Fast hundert Jahre sind Schlemmers Figurinen alt. Doch sie haben bis heute so viele Generationen von Kostümbildnern inspiriert, dass sie gerade in der Bewegung bis heute verblüffend jung wirken.