Tübinges Oberbürgermeister Boris Palmer ist auch in der virtuellen Welt zuhause. Foto: dpa

Der Tübinger Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer spricht im Interview über seine Facebook-Aktivitäten.

Der Tübinger Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer spricht im Interview über seine Facebook-Aktivitäten.
Tübingen - Herr Palmer, Ihre Facebook-Aktivitäten feiern Geburtstag. Was haben Sie mittlerweile im zweiten Lehrjahr in der virtuellen Welt gelernt? Verwenden Sie heute mehr Zeit dafür als noch vor einem Jahr?
Der Aufwand ist etwas größer, ich verwende für Facebook etwa eine halbe Stunde am Tag. Dafür hat sich die Zahl der Leser auf 8000 verdoppelt. Gelernt habe ich, wie man die vielen Rückmeldungen richtig einordnet. Und die Debatten sind besser geworden, seit ich Störer und Pöbler hinauswerfe.
Voriges Jahr hatten Sie noch Ihren baldigen Facebook-Ausstieg angekündigt in der Hoffnung, dass die Stadt eine Stelle dafür schafft. Das hat der Gemeinderat jüngst abgelehnt. Sind Sie nun auf ewig zu Facebook verdammt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gemeinderat seine Ablehnung ewig aufrechterhält. Wir sind mittlerweile die letzte Stadt unserer Größe, die nicht auf Facebook ist.
Sie betonen, das wäre Ihre private Internet-Adresse. Zugleich ist es aber auch der Oberbürgermeister-Zugang. Sind Ihre Äußerungen damit halbamtlich?
Die Seite ist nicht dienstlich, in diesem Sinne also privat. Daher hat die Stadt keinen Zugriff. Umgekehrt ist natürlich nichts, was ich da mache, mein Privatleben. Kinderfotos gibt es keine. Die Seite erlaubt den Leuten, mein öffentliches Leben, Arbeiten und Argumentieren direkt zu begleiten.
Sind Sie der Häme, mit der auf Ihrer Seite bisweilen kommentiert wird, nicht überdrüssig?
Dass viele Leute kommentieren, die meine Politik ablehnen, macht die Seite ja erst spannend. Das soll so bleiben.
Ihre Seite löst allerlei Medienwellen aus. Haben Ihre Oberbürgermeister-Kollegen Fritz Kuhn (Stuttgart) und Dieter Salomon (Freiburg) bereits um Nachhilfe gebeten?
Nein, wir reden eher über Gewerbesteuer oder Kinderbetreuung.
Der Schauspieler Elyas M’Barek hat über eine Million Fans auf Facebook – wäre das eine Planvorstellung für Sie, oder sind Sie mit den 5000 Freunden zufrieden?
Wer? Kenne ich nicht. Macht aber nichts. Für eine politische Seite finde ich 5000 Freunde und 3000 Abonnenten in einer Stadt mit 85.000 Einwohnern nicht schlecht. Ich nutze Facebook auch für die Einladung zu meinem Neujahrsempfang mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann am 24. Januar. Wer „ich komme“ als Kommentar schreibt, bekommt eine Platzkarte – das gilt aber nur für Facebook-Freunde aus Tübingen. Bisher 47 Anmeldungen sind eine stattliche Anzahl. Vielleicht machen wir für die Facebook-Freunde einen eigenen Sitzblock auf . . .
Bei Jugendlichen wird vielfach ein Suchtverhalten bei sozialen Medien festgestellt. Wie süchtig würden Sie sich einschätzen?
Der Griff zum Smartphone hat etwas Affekthaftes. Aber zuerst kommen bei mir die dienstlichen Mails. Im Sommerurlaub habe ich Facebook drei Wochen abgeschaltet. Ging problemlos. Die Seite war dann aber auch tot. Wer nicht jeden Tag etwas einstellt, ist sofort weg.
Was hätte Ihr Vater, der Remstal-Rebell Helmut Palmer, von diesem Medium gehalten?
Erst mal nichts, er konnte das Internet nicht nutzen. Aber die Struktur, dass jeder der Obrigkeit direkt seine Meinung sagen kann, die hätte ihm gefallen. Und mancher deftige Kommentar sicher auch.