Waschen, kämmen, legen – die Nürtinger Friseurin Melisa Arslan beherrscht ihr Handwerk meisterhaft. Foto: Horst Rudel

Melisa Arslan hat ein gutes Gefühl für Ästhetik. Zudem besitzt die 23-Jährige die nötige Geduld für den Beruf.

Sensibilität ist gefragt, wenn sie mit der Schere ansetzt oder Farbe auf die Haare bringt. Denn es geht um Aussehen, um Schönheit. Da darf man sich keine Fehler erlauben, zumal bei Frauen. Melisa Arslan hat das, salopp gesagt, drauf. Sie ist Friseurin. Obwohl gerade mal 23 Jahre alt und kaum fertig mit der Ausbildung, beherrscht sie ihr Handwerk so erstklassig, als hätte sie schon eine lange Berufserfahrung. Bei den Hair-Games in Erfurt holte sich die Nürtingerin den Titel in der Kategorie „Woman Longhair Open & Up Do“, sprich Langhaar- und Hochsteckfrisur. Der vom Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks und vom Landesinnungsverband der Friseure Thüringen/Sachsen-Anhalt in Verbindung mit der Style-Com ausgerichtete Wettbewerb gilt als offizielle deutsche Meisterschaft.

Seit sie vor gut vier Wochen mit der Auszeichnung nach Hause kam, herrscht für sie ungewohnter Rummel um ihre Person. Interview- und Marketinganfragen, Glückwünsche von allen Seiten. Für Melisa Arslan ist das aber kein Grund abzuheben. „Ich habe das für mich gemacht“, sagt sie. Bescheiden, ruhig und gelassen gibt sie sich im Gespräch. Und hätte ihr Chef Pasqual Wieler, zusammen mit Guido Kuhnert Inhaber des Salons Haarraum 8, nicht darauf aufmerksam gemacht, dass seine junge Mitarbeiterin zuvor schon als Kammersiegerin mit der Note 1,6 von sich reden machte, hätte sie selbst diesen Erfolg wahrscheinlich gar nicht erwähnt. Sie ruht in sich, und sie weiß, dass sie trotz Titel noch längst nicht alles kann.

Freundin stand zwei Wochen Modell

Schon in der 11. Klasse wusste sie, dass sie Friseurin werden möchte. Was natürlich auch mit der familiären Vorbelastung zusammenhängt. Ihr Vater arbeitet als Friseur bei Belle Etage in Kirchheim. Und da hat sie als Schülerin, oft mit ihrem jüngeren Bruder, beinahe täglich vorbeigeschaut und ist mit dem Metier in Berührung gekommen. Deshalb war nach dem Abitur klar: Sie macht eine Lehre zur Friseurin. Erst im Juni beendete die 23-Jährige die Ausbildung.

Zur Teilnahme an den Hair-Games ist Melisa Arslan von ihrem Vater und dessen Chef Mike Hoffmann mehr oder weniger überredet worden. Sie hatte vor dem Wettbewerb zwei Wochen Urlaub. Viel Zeit, um sich gezielt auf die Meisterschaft vorzubereiten. Nicht nur an einer Puppe, sondern vor allem am lebenden Modell. Ihre Freundin Giulia musste in der Zeit einiges über sich ergehen lassen. Die Haare heute so, morgen so, immer wieder wechselnde Styles. Die Prüfungsinhalte waren vorab bekannt gegeben worden: erst eine offene Langhaarfrisur gestalten und anschließend daraus eine Hochsteckfrisur machen.

Die Jury verlangt von den Teilnehmern nicht nur eine Frisur, sondern auch ein komplettes Outfit inklusive Make-up und Schmuck. „Neben dem Handwerklichen wird viel auf den künstlerischen Ausdruck geschaut“, berichtet Melisa Arslan. Im Alltag sei das meist anders, da komme es mehr auf die Basics an. Über diese verfügt sie ganz offenbar. Ihr Chef bescheinigt ihr ein „ausgeprägtes Gefühl für Ästhetik“. Und sie sei unheimlich motiviert und lernwillig.

Der Papa ist fast ausgeflippt

Sie selbst sieht in ihrer Geduld eine wesentliche Stärke. Das helfe ihr im Alltag sehr, sagt sie. Denn immer wieder habe man mit schwierigeren Kundinnen und Kunden zu tun, die unzufrieden mit ihren Haaren sind, aber doch nicht so recht wissen, wie sich ihr Look verändern soll. Da heißt es für die Friseurin, Ruhe zu bewahren und jede Veränderung mit Sensibilität anzugehen.

Bei den Hair-Games überließ sie nichts dem Zufall. Bereits am Vortag war sie mit ihrem Modell und ihrem Betreuer Mike Hoffmann angereist, um am Tag der Meisterschaften schon früh mit den Vorbereitungen beginnen zu können. Dass sie gut abgeschnitten hat, spürte sie gleich nach den Prüfungen. Ihre Hoffnung: vielleicht ein Platz unter den ersten drei. Doch war das zu tief gegriffen. So gut habe sie die Frisur im Training zuvor nie hinbekommen, erzählt sie. Natürlich habe sie sich bei der Bekanntgabe des Ergebnisses riesig gefreut. Doch so emotional wie ihr Papa sei sie nicht gewesen. „Der ist vor Freude fast ausgeflippt.“

Und wie sieht sie ihre weitere Zukunft? „Mein Ziel ist, mich in allen Bereichen meines Berufs sicher zu fühlen“, sagt Melisa Arslan. „Schnitte, Farbtechnik – alles muss sitzen.“ Irgendwann möchte sie die Meisterprüfung machen. Ob sie auch von einem eigenen Salon träumt? Diese Frage lässt sie offen. Kein Wunder, denn mit 23 steht sie ja noch ganz am Anfang ihres Berufslebens.

Zur Situation des Friseurhandwerks im Land

Schwierige Jahre
 Die Coronakrise mit ihren Kontaktbeschränkungen hat das Friseurhandwerk schwer gebeutelt. Zweimal mussten die Salons wegen Lockdowns geschlossen werden. Mit der Energiekrise kam die nächste Herausforderung. Vielen Friseuren laufen die Energiekosten davon und bedrohen die Existenz.

Fachkräftemangel
 Bereits vor der Pandemie herrschte bei den rund 2500 Friseurbetrieben im Land ein eklatanter Fachkräftemangel. Das gelte auch für die Auszubildenden, berichtet Matthias Moser, der Geschäftsführer des Fachverbands Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg. Vor Corona gab es 3000 Auszubildende, im Augenblick sind es 2500. Für den zahlenmäßig viertstärksten aller Handwerksberufe sei das eine sehr schwierige Situation.

Mehr Unsicherheit
 Einen Grund dafür sieht Landesgeschäftsführer Moser darin, dass sich viele junge Leute aus Unsicherheit nach der Schule Zeit lassen mit der Berufswahl und gerne noch einmal eine Schleife drehen. Doch die Gesellschaft brauche ein starkes Handwerk. Lehrer und Eltern seien viel mehr gefordert, den jungen Menschen zu vermitteln, dass das Handwerk gute Perspektiven bietet.