Riesiger Andrang beim Arbeitsamt in der Kinderspielstadt. Foto: Torsten Ströbele

In der Kinderspielstadt tauchen rund 160 Kinder in den Alltag der Erwachsenen ein.

Neugereut - In Neuropoli ticken die Uhren anders: Der Vizebürgermeister darf Arbeitsplätze für seinen Bruder und besten Freund schaffen, ohne von Rücktrittsforderungen überhäuft zu werden. Das Gesundheitsamt ruft zur kostenpflichtigen Zwangsimpfung auf, um sich eine goldene Nase zu verdienen, und das Stadtoberhaupt würde sich freuen, die eine oder andere Spielhalle eröffnen zu können.

Was Stuttgarts Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle am Mittwoch bei seinem Besuch in der Kinderspielstadt immer mal wieder zum Schmunzeln bringt, gehört im umfunktionierten Kinder- und Jugendhaus Jim-Pazzo, mitten im Mühlhäuser Stadtteil Neugereut, zum Alltag. Hier muss nicht alles so ernst wie im Stuttgarter Rathaus genommen werden. Der Spaß steht im Vordergrund – und das seit mittlerweile elf Jahren.Die Vorteile in Neuropoli liegen allerdings auch eindeutig auf der Hand: Es wird das eigene Geld gedruckt, in Infrastruktur muss nicht investiert werden, und nach einer Woche werden die Zelte der Kinderspielstadt wieder abgebrochen. Aber das Konzept kommt an. „Innerhalb von einer halben Stunde waren wir wieder ausgebucht“, sagt Mühlhausens Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler.

Auch in diesem Jahr können sich rund 160 Mädchen und Buben im Alter zwischen sechs und 13 Jahren glücklich schätzen, einen der begehrten Plätze ergattert zu haben. Mit dabei sind auch sechs Kinder mit Behinderung, die einen Paten zur Seite gestellt bekommen, der sich um sie kümmert. Der sechsjährige Julian hat gleich zwei junge Damen, die ihm zur Seite stehen. Michelle und Miriam sind zwei von insgesamt rund 40 ehrenamtlichen Helfern, die eine Woche lang mit den Kindern aus Hofen, Neugereut, Mühlhausen und Steinhaldenfeld in die Arbeitswelt in Neuropoli eintauchen. Die Mädchen und Jungen können in fast 40 Berufe hineinschnuppern. „Beliebt sind vor allem die Jobs bei der Müllabfuhr, in der Bank oder Bäckerei“, sagt Jasmin Grenzbach vom Kinder- und Jugendhaus Neugereut. „Aber das kommt auch ganz auf die einzelnen Kinder an.“

Bürgermeister wird nicht mehr kandidieren

Manche machen sich auch selbstständig – wie Carolin und Julia, die eine Lotto-Gesellschaft gegründet haben und nebenher noch Plakate herstellen. Auch Emeli und Anja wollen lieber ihre eigenen Ideen in die Tat umsetzen und haben sich auf den Bau von Vogelhäuschen spezialisiert. Sie erhoffen sich davon, mehr Geld zu verdienen. Angestellte bekommen in Neuropoli für einen Fünf-Stunden-Arbeitstag zehn Ropi auf die Hand. Steuern sind da schon abgezogen. Der Lohn wird aber umgehend reinvestiert. Man kann ins Kino gehen, sich in der Wellness-Oase die Hände massieren lassen oder im Reisebüro einen Ausflug in benachbarte Stadtbezirke unternehmen.

Am Freitag klappt Neuropoli die Bordsteine wieder hoch. Die Kinderspielstadt endet. Dann ist auch der neunjährige Anton seinen Posten als Stadtoberhaupt wieder los. Schon zum zweiten Mal ist er zum Bürgermeister von Neuropoli gewählt worden. „Es war knapp“, sagt Anton. Am Ende lag er nur vier Stimmen vor Vizebürgermeister Angelo. „Nächstes Jahr werde ich aber sicherlich nicht mehr kandidieren.“ Denn wenn er es noch in diesem Jahr schaffe, ein Forschungslabor in Neuropoli einzurichten und die Bürger zu einer eigenen Ausgabe von „Wetten dass . . .?“ zu motivieren, dann habe er all seine Ideen und Wünsche eingebracht.