Auch die Pflege von Streuobstwiesen gibt Ökopunkte fürs Konto. Foto: dpa

Das Ökokonto, ein Instrument zum Ausgleich von Flächenverbrauch, kommt fünf Jahre nach seiner Einführung auf den Prüfstand. Höchste Zeit, meint die Landtags-FDP, die das Ganze für eine „Gelddruckmaschine“ hält.

Stuttgart - Wie viel ist ein Laubfrosch wert? Oder der Kleine Heidegrashüpfer? Wer nun sofort „8600 Euro“ schreit, weil er an die Eidechsen beim Bahnprojekt Stuttgart 21 denkt, liegt falsch. Der Wert eines Tieres bemisst sich natürlich nicht an den Kosten für seine Umsiedlung. Es gibt auch so etwas wie eine ethische Währung. „Eidechsen kann man nicht machen“, pflegt Ministerpräsident Winfried Kretschmann da zu knarzen, bekanntlich ein studierter Biologe. Will sagen: Eigentlich sind sie gar nicht zu bezahlen.

Doch ganz so philosophisch geht es im praktischen Naturschutz auch wieder nicht zu. Da es nun mal seltene und weniger seltene Tiere gibt, hantieren die Fachleute mit einer durchaus handfesten Währung. Seit das Land im Jahr 2010 das Ökokonto eingeführt hat, vergeben die Naturschutzbehörden für alle Aktivitäten, die Eidechse und Co. helfen, sogenannte Ökopunkte. 100.000 Punkte lassen sich zum Beispiel ansammeln, wenn es gelingt, irgendwo im Land eine neue Population von Kreuzkröten anzusiedeln. Der Kiebitz wiederum mit seiner charakteristischen Federhaube am Hinterkopf ist sogar 400.000 Punkte pro Revier wert.

Das Prinzip Eichhörnchen

Und warum das Ganze? Weil jeder, der in die Natur eingreift, wenn er etwa eine Fabrikhalle auf eine Wiese stellt, laut Gesetz dafür einen Ausgleich schaffen muss. Oder – und hier kommt das Ökokonto ins Spiel - schon geschaffen hat. Man kann nämlich schon Jahre im Voraus mit Wohltaten zugunsten der Natur auf ein Ökokonto einzahlen. Getreu dem Motto: Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not. Vor allem Kommunen und Unternehmen nutzen dieses Eichhörnchenprinzip im Naturschutzrecht. So heimst zum Beispiel die Stadt Stuttgart derzeit mehr als 170.000 Ökopunkte ein, weil sie im Westen in einem ehemaligen Weinberg die Trockenmauerbiotope saniert. Das Guthaben wird mit drei Prozent verzinst.

Rund zwölf Millionen Ökopunkte wurden so in den letzten fünf Jahren zwischen Main und Mainau angespart, und im Prinzip sind alle mit dem Instrument zufrieden, Wirtschaft, Politik und Naturschützer . . . wenn es da nicht ein paar Merkwürdigkeiten gäbe. So hat der FDP-Abgeordnete Friedrich Bullinger kürzlich den Umweltminister nach der Erfolgskontrolle der Öko-Maßnahmen gefragt. Dabei ging es ihm vor allem um die „Förderung spezifischer Arten“ – also Laubfrosch und Co. Wurden denn irgendwo schon erfolgreich seltene Arten angesiedelt?

Bilanz ist bisher negativ

Nun ja, schreibt Minister Franz Untersteller (Grüne), die Prognose bei der Etablierung von seltenen Arten sei „fachlich schwierig“. Eine systematische Auswertung des Ökokontos „konnte bisher nicht durchgeführt werden“. Aber, darauf hebt der Minister besonders ab, das Versprechen, Laubfrosch und Co. Anzusiedeln, werde ja staatlicherseits zunächst nur mit 20 Prozent der möglichen Punktezahl belohnt. Erst nach Etablierung der Art fließe die volle Punktezahl. Für die Anzahlung sei jedenfalls eine „fachliche Prognose mit hohen Erfolgsaussichten vorzulegen“.

An den Vorhersagen gemessen, steht dem südbadischen Ortenaukreis dereinst eine ökologische Hochblüte ins Haus. Nirgendwo anders wurden in den vergangenen fünf Jahren so viele Punkte vergeben wie hier: Fast ein Viertel des baden-württembergischen Ökokontos. Bisher allerdings ist von neuen Populationen nichts zu bemerken. Betrachtet man die im Internet veröffentlichten Maßnahmen im Einzelnen, heißt es in der Rubrik „Art etabliert“ überall: „Nein.“

Die rufende Kreuzkröte

Stop! Schreibt da der Umweltminister, es gebe immerhin Einzelfälle: „Im Jahre 2014 wurde ein verleitender Kiebitz (Brutverhalten) auf einer Maßnahmenfläche nachgewiesen. Im gleichen Jahr wurde zudem eine rufende Kreuzkröte (Balzverhalten) im Gebiet einer anderen Teilmaßnahme erfasst.“ Von einer Etablierung der Arten, so der einschränkende Nachsatz, könne allerdings noch nicht ausgegangen werden.

Rufende Kreuzkröte? Bullinger geht da der Hut hoch. „Dieses Einfallstor für Missbrauch gehört endlich abgeschafft“, wettert er. Denn sie gehe zu Lasten der Allgemeinheit und zu Lasten von wirklich wirksamen Ausgleichsmaßnahmen. Und er redet sich in Rage: Die Praxis, teure Wetten auf mögliche zukünftige Artenansiedlungen abzuschließen sei eine „Gelddruckmaschine“: Der Sachverständige müsse nur die Vorbereitungsmaßnahmen für seltene Arten einigermaßen glaubhaft darstellen und schon werde der Acker ökologisch aufgewertet – mit auch monetären Vorteilen für die Planungsbüros.

Billige und teure Ökopunkte

„Da müssen wir eventuell nachsteuern“, sagt Andre´ Baumann, der für Naturschutz verantwortliche Staatssekretär im Umweltministerium. Die Ökokonto-Verordnung komme über den Winter ohnehin auf den Prüfstand, erst dieser Tage habe er dazu die Einladung an die Fachleute verschickt, sagt der studierte Biologe, der vor seinem Einstieg in die Politik Landesvorsitzender des Nabu war – und an der Ökoverordnung maßgeblich mitgearbeitet hat. Man müsse eben erst Erfahrungen sammeln mit dem Regelwerk.

„Abläufe in der Natur sind hochkomplex, manchmal passieren unvorhergesehene Dinge“, sagt Markus Mayer, Biologe und Leiter der Geschäftsstelle des Berufsverbands der Landschaftsökologen im badischen Schallstadt. Wenn der Kiebitz am Ende doch nicht nistet, könne das von vielen Faktoren abhängen. Mayer: „Manchmal kommt im Frühjahr nur die Hälfte der Vögel aus Afrika zurück.“ In anderen Fällen siedeln sich Laubfrosch und Co. wie gewünscht auf einer aufwändig hergerichteten Fläche an – aber nur deshalb, weil es ihnen hier besser gefällt als in der alten Heimat wenige hundert Meter daneben. „Sogwirkung“ nennen das die Biologen. Dabei schreibt die Verordnung „neue“ Populationen vor. Auch Fachleute halten es jedenfalls für geboten, die Stellschrauben der Ökokonto-Verordnung nach zu justieren.

Da sei manches „widersprüchlich oder verbesserbar“, heißt es etwa im Bericht des Berufsverbands der Landschaftsökologen (BVDL) von ihrer Jahrestagung. Zum Beispiel das Phänomen, dass es billige und teure Ökopunkte gibt: Wer zum Beispiel eine Streuobstwiese instandsetzt, muss viel Geld und Zeit aufwenden für vergleichsweise wenige Punkte. Die Folge: Ökosparer lassen Streuobstwiesen links liegen. Auch der mit Punkten belohnte Kiesabbau in der Rheinebene ist manchen Naturschützern ein Dorn im Auge. Zwar entstünden hier später häufig Biotope, geben die Landschaftsökologen zu bedenken, aber in der Regel überwiege die negative Wirkung auf den Naturhaushalt.

Noch in diesem Herbst soll die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) mit der Evaluierung der Verordnung beginnen. Dass sich das Instrument des Ökokontos grundsätzlich bewährt hat, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Doch ob es Laubfröschen, Eidechsen und Kiebitzen wirklich nützt, darüber gehen die Meinungen noch immer auseinander.

Info Ökokonto

Wer Natur zerstört, muss dies wettmachen. Dies ist ein Grundprinzip des deutschen Naturschutzrechts und verlangt von Unternehmen, Kommunen und Privatleuten, dass sie Ausgleichsmaßnahmen ergreifen, wenn irgendwo der Bagger auffährt. Weil dies zu exakt demselben Zeitpunkt selten möglich und sinnvoll ist, erlaubt der Landesgesetzgeber seit 2010 mit der Ökokonto-Verordnung auch vorgezogene Maßnahmen. Ein Ökokonto ist also ein Sparbuch für eine örtliche Aufwertung der Natur, das für spätere Eingriffe herangezogen werden kann. Das Guthaben wird ähnlich wie bei einem Sparkonto verzinst.

Die ökologischen Maßnahmen sind nicht frei wählbar, sondern müssen einem genau umrissenen Wirkungsbereich zugeordnet werden können. Entweder sie dienen der Verbesserung der Biotopqualität, der Schaffung höherwertiger Biotop-Typen oder der Förderung spezifischer Arten. Auch die Wiederherstellung und Verbesserung von Bodenfunktionen, die Wiederherstellung natürlicher Retentionsflächen (Überflutungsflächen d.Red.) sowie die Verbesserung der Grundwassergüte wird mit Punkten belohnt.