Der S-Bahn-Chef Dirk Rothenstein macht wenig Hoffnung, dass die S-Bahnen in Stuttgart und der Region bald pümtklicher kommen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Eine höhere Pünktlichkeit ist erst nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 und mit der Einführung der ETCS-Zugsteuerung zu erwarten. Es gibt weitere Instandhaltungsarbeiten im Innenstadttunnel.

Stuttgart - Die Frusttoleranz der Regionalpolitiker ist beim jährlichen S-Bahn-Gipfel besonders gefordert. Seit 2013 wird eine Sitzung des Verkehrsausschusses zum Gipfeltreffen zwischen dem Auftraggeber Verband Region Stuttgart und dem Auftragnehmer Deutsche Bahn Regio AG erhoben. Die Bahn steckt seitdem mehr Geld in das Schnellbahnsystem. Die Erfolge sind messbar, aber bescheiden.

Pünktlichkeitswerte wie früher sind bei der S-Bahn Geschichte. Damit sind Daten aus dem Beginn der 2000er-Jahre gemeint, als noch über 88 Prozent der Züge in der Hauptverkehrszeit weniger als drei Minuten verspätet waren. Der Zielwert liegt bei 91,5 Prozent. Zuletzt schaffte die S-Bahn noch 79,6 Prozent. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich keine wesentliche Besserung eingestellt.

S-Bahn kämpft um jede Sekunde

Sein Betrieb, sagt Dirk Rothenstein, der Vorsitzende der S-Bahn-Geschäftsleitung, kämpfe um jede Sekunde, „aber ich bin skeptisch, ob wir die früheren guten Pünktlichkeitswerte wieder erreichen werden, denn wir haben andere Rahmenbedingungen“, so der S-Bahn-Chef im Gespräch mit dieser Zeitung. So habe man 2016 im Schienennetz 110 Baustellen gezählt. In den nächsten Jahren werde es eine vergleichbare Anzahl geben, dazu kommen die Bauarbeiten für Stuttgart 21, eine schrittweise weitere Verdichtung des 15-Minuten-Takts bis 2021 und ein bisher ungebrochenes Wachstum der Fahrgastzahl (120 Millionen).

Im kommenden Jahr sollen die in der neuesten Fahrzeuggeneration (ET 430) verbauten und wegen ihrer Störanfälligkeit stillgelegten Schiebetritte wieder in Betrieb genommen werden. Der Hersteller Bombardier hat zu Testzwecken sieben Fahrzeuge auf der Strecke. Zeigt sich die neue Software zur Tür- und Trittsteuerung fehlerfrei, wird sie auf die neue Flotte aufgespielt. Die Nutzung der Schiebetritte wird das System allerdings erneut Zeit kosten. Die Türöffnung brauche mehrere Sekunden länger als bei der Vorgängerbaureihe ET 423 ohne Schiebetritt.

Sanierungsbedarf weiter hoch

Mit der Sanierung der Infrastruktur ist die Netz AG der Bahn offenbar noch lange nicht durch. Das sogenannte Instandhaltungsfenster – damit sind Bauarbeiten in 35 Nächten (immer von Montag auf Dienstag von 22.30 Uhr bis 4.30 Uhr) im Innenstadttunnel gemeint – soll 2018 fortgesetzt werden. Das bedeutet ein in dieser Zeit weiterhin reduziertes Zugangebot und verpasste Anschlüsse.

Die Anschlüsse, klagt Rothenstein, der die Geschäftsführung Anfang 2016 übernommen hat, seien heute zu engmaschig. Selbst wenn zum Beispiel am Bahnhof Filderstadt eine S-Bahn noch knapp unter drei Minuten zu spät sei, könne der Bus wegen des Umsteigewegs nicht mehr erreicht werden. „Wir brauchen mehr Luft für eine stabile Reisekette, mehr Luft für Übergänge“, appelliert er, die Verbindungen einer Revision zu unterziehen. Diese Aussage bedeutet, dass sich die Regionalpolitiker und Kunden beim Thema Pünktlichkeit noch viele Jahre werden bescheiden müssen. Die Durststrecke wird anhalten.

Entlastung mit Stuttgart 21 erwartet

Erst mit der Fertigstellung des Bahnprojekts Stuttgart 21 und der Aufnahme der Metropolexpresslinien des Landes werde es eine deutliche Entlastung geben, sagt Rothenstein, auch weil der S-Bahn von Bad Cannstatt aus dann eigene Gleise zur Verfügung stehen. „Dann werden wir einen Rückgang der Nachfrage und weniger Fahrgäste haben und damit eine größere Pünktlichkeit beim Wert unter drei Minuten“, so Rothenstein. Die Bahn rechnet aktuell damit, dass Stuttgart 21 Ende 2023 ans Netz gehen kann. Das neue Zugbeeinflussungssystem ETCS, mit dem die S-Bahnen bei gleicher Sicherheit im Innenstadttunnel enger hintereinander fahren könnten, werde auch nicht vor 2021 kommen, so Rothenstein. Allein die Umrüstung aller 160 Fahrzeuge werde mindestens zwei Jahre dauern. Damit nähert sich die DB Regio bereits dem Ende des S-Bahn-Vertrages, der 2028 ausläuft. Danach, so Rothenstein, müsse massiv in neue Fahrzeuge investiert werden. Über deren Aussehen solle sich die Region bereits ab 2020 Gedanken machen. Im Lastenheft für die nächste Baureihe müssten größere Türen und mehr Freifläche stehen. Im Einstiegsbereich sollte auf Sitze verzichtet werden, um zum Beispiel mehr Fahrräder unterzubringen oder einen schnelleren Fahrgastwechsel zu ermöglichen.

Neue App bietet alternative Strecke

Ein paar positive Nachrichten wird Rothenstein am kommenden Mittwoch auch mitbringen. So ist die Anwerbung neuer Zugführer erfolgreich. 75 werden wegen der Taktverdichtung pro Jahr bis Ende 2019 gebraucht, bis zu elf Monate dauert die Ausbildung. Und mit einer neuen App für Smartphones, die sich Streckenagent (www.bahn.de/streckenagent) nennt, soll der Wartefrust der Reisenden bei Störungen und Verspätungen gedämpft werden. Der Agent nennt per Push-Nachricht Alternativverbindungen, wenn zuvor die persönlichen Verbindungen eingegeben wurden.