Bleibt deutschen Schülern die Pisa-Studie künftig erspart? Foto: dpa/Jens Büttner

Pisa-Chef Andreas Schleicher hat in einem Interview mit unserer Redaktion harte Kritik an deutschen Lehrern geübt. Der Deutsche Philologenverband fordert jetzt, Deutschland solle an der Pisa-Studie nicht mehr teilnehmen – solange Schleicher dort das Sagen habe.

Der Deutsche Philologenverband fordert eine Aussetzung der Pisa-Studie in Deutschland – und begründet dies mit fehlendem Vertrauen in den Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher. Deutschland solle nicht mehr teilnehmen, solange Schleicher für die Studie verantwortlich sei, verlangt die Vorsitzende des Verbands, Susanne Lin-Klitzing. Die Kultusministerkonferenz müsse jetzt handeln.

„Keine Bildungsstudie wird in Deutschland so öffentlichkeitswirksam rezipiert wie die Pisa-Studien“, erklärt Lin-Klitzing. Mit seinen Äußerungen zum Lehrerberuf werde Schleicher seiner Verantwortung nicht gerecht. „Wir haben kein Vertrauen mehr in die seriöse Interpretation der Pisa-Daten durch deren internationalen Koordinator Andreas Schleicher“, fügt sie hinzu.

Darum geht es

Stein des Anstoßes ist ein Interview, das Schleicher unserer Redaktion gegeben hat. Deutschland ist beim Lehrerberuf noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen“, sagte Schleicher darin. „Zu viele Lehrer sehen sich in erster Linie als Befehlsempfänger, die im Klassenzimmer statisch einen Lehrplan abarbeiten müssen“, fügt er hinzu. Das reiche aber nicht aus, sagte Schleicher.

Schleicher, der als OECD-Bildungsdirektor die Pisa-Studie verantwortet, erklärte, deutsche Schülerinnen und Schüler seien relativ gut darin, auswendig gelerntes Wissen wiederzugeben. Aber es falle vielen schwer, ihr Wissen auf neue Zusammenhänge zu übertragen. „Lehrer müssen Coaches für die Kinder und Jugendlichen sein, die ihnen bei ihren individuellen Lernprozessen helfen“, forderte er. Zugleich gelte: Lehrer müssten Innovatoren des Bildungssystems sein. „Sie müssen gemeinsam Konzepte entwickeln, wie sich der Unterricht verbessern lässt“, sagte Schleicher. „Das Einzelkämpfertum muss vorbei sein. Es geht um Teamarbeit.“

Zorn der Gewerkschaften

Der Pisa-Chef betonte: „Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie überlastet seien.“ Die deutschen Lehrer seien im internationalen Vergleich sehr gut bezahlt, führte er aus. „Lehrkräfte können sich nicht einfach darauf zurückziehen, dass sie viel zu tun haben – und dass sie sich deshalb nicht gemeinsam mit Kollegen treffen könnten, um bessere Unterrichtskonzepte zu entwickeln“, sagte Schleicher. „Eine solche Haltung würde in keinem anderen Job akzeptiert.“ Er sei allerdings dafür, Lehrkräfte insbesondere von Verwaltungsaufgaben zu entlasten.

Schleichers Äußerungen haben große Kritik bei Lehrerverbänden und -gewerkschaften ausgelöst. GEW-Chefin Maike Finnern bezeichnete sie als „kontraproduktiv und am Arbeitsalltag der Lehrkräfte vorbei“. „Das ist Lehrerbashing, das führt uns nicht weiter“, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, dem „Spiegel“. „Die Mär von den wehleidigen Lehrkräften klingt wie Stammtischparolen.“

Schleicher legt nach

Der OECD-Bildungsdirektor legte daraufhin in einem Interview mit „Zeit online“ nach und erklärte, er sei erstaunt, dass seine Aussagen für so viel Aufregung gesorgt hätten. „Hintergrund dieses Interviews waren die immer schlechter werdenden Pisa-Ergebnisse“, sagte er. „Über diesen Negativtrend gibt es hingegen kaum noch Aufregung. Aber wenn sich an den Resultaten etwas ändern soll, müssen wir uns auch mit dem Lehrerberuf befassen.“ Deutschland hat bei der im Dezember veröffentlichen Pisa-Studie, die Kompetenzen von 15-Jährigen in Mathe, Lesen und Naturwissenschaften misst, so schlecht abgeschnitten wie noch nie. Die Ergebnisse bestätigen einen jahrelangen Abwärtstrend.

Schleicher sagte „Zeit online“ zudem: „Ich bin aktuell in Qingdao in China. Da sehe ich bei Schulbesuchen fächerübergreifenden oder projektorientierten Unterricht. Die Kinder setzen sich selbst Lernziele, ihre Lehrkräfte beraten sie dabei – als Coach, als Mentor oder als Sozialarbeiter.“ So mache Unterricht Spaß. Lin-Klitzing wirft ihm nun vor, er rede „dem Missbrauch schulischer Bildung durch totalitäre Systeme nachgerade das Wort“.

Eine Frage des Gestaltungsspielraums

Der Philologenverband vertritt Lehrkräfte an Gymnasien und anderen Bildungseinrichtungen, die zum Abitur führen – und hat nach eigenen Angaben etwa 90 000 Mitglieder. Die Vorsitzende Lin-Klitzing stößt sich auch an Äußerungen Schleichers, der Lehrerberuf sei in Deutschland intellektuell zu unattraktiv. Dies sagt Schleicher schon lange – und seine Aussage bezieht sich darauf, dass Lehrer in Deutschland zu wenig Gestaltungsspielraum hätten.

„In deutschen Schulen geht es oft zu wie in einem Fast-Food-Restaurant“, hatte Schleicher bereits vor einem Jahr in einem Interview mit unserer Redaktion gesagt. „Die Schülerinnen und Schüler sind häufig nur Konsumenten, die den Lernstoff serviert bekommen. Die Lehrer sind Servicedienstleister, die das vorgefertigte Essen aufwärmen und herüberreichen sollen.“ Die Eltern seien Kunden, die sich gelegentlich beschwerten, wenn etwas nicht in Ordnung sei. „Diese Abläufe frustrieren alle.“