Lange Wartezeiten am Rotebühlplatz vor dem SSB-Kundenzentrum. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Ticketshops von SSB und VVS sind überlastet, an den Kundenzentren bilden sich lange Warteschlangen. Eine Bilanz an Tag eins nach Ende des 9-Euro-Tickets.

Was in den vergangen drei Monaten wegen des 9-Euro-Tickets in vielen Regionalzügen galt, das ist auch an Tag eins nach dessen Ende vor den Kundenzentren der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zu beobachten: Es ist voll. Die Menschen stehen Schlange, seit einigen Tagen sieht man die Wartenden – am Hauptbahnhof, am Charlottenplatz, an der Haltestelle Stadtmitte. „Schlecht organisiert ist das“, beschwert sich ein Mann.

Es seien viele Geflüchtete aus der Ukraine, die da warten, sagt Horst Stammler, Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS). Nachdem die Ukrainer bisher mit dem 9-Euro-Ticket gefahren wären, würden sich viele zum 1. September ein Sozialticket kaufen. „Das Ausstellen dauert etwas beim ersten Mal“, sagt Stammler. Vieles könnten Kunden auch online erledigen, ergänzt die Pressesprecherin der SSB, Birte Schaper. Nur gibt es an Tag eins nach dem 9-Euro-Ticket auch da ein Problem: „Die VVS-Ticketapp funktioniert nicht“, beklagt sich eine Frau am Hauptbahnhof. „Eine Schönwetter-App, die im entscheidenden Moment versagt, ist nicht akzeptabel“, schreibt ein anderer. Auch er wollte sich am Morgen ein Ticket kaufen, allerdings über die SSB-App. Auch bei ihm: Fehlermeldung. Zwei Stunden lang war der SSB-Server überlastet. Zu hoch war die Nachfrage im Ticketshop am Tag eins nach dem 9-Euro-Ticket. Der Shop funktionierte auch bei der VVS-App am Donnerstagmorgen kurzzeitig nicht. „Solche Ausfälle kommen sonst nur bei absoluten Großstörungen vor“, sagt Horst Stammler.

Es geht den meisten um den Preis

Von einer großen Sache kann man im Rückblick auf das 9-Euro-Ticket in jedem Fall sprechen: 1,8 Millionen Tickets hat der VVS verkauft, dazu kamen pro Monat 350 000 Tickets für die, die zuvor für ein Abo bezahlten. „Vor allem in Städten wie Stuttgart, wo das ÖPNV-Angebot groß ist, kam das Ticket gut an“, sagt VVS-Co-Geschäftsführer Thomas Hachenberger – besser als im ländlichen Raum. „Ich fand es super. Schön günstig“, bestätigt eine Stuttgarterin. Für die drei Monate sei sie auf dem Weg zur Arbeit vom Auto zum Bus umgestiegen. Von den Fahrgästen, die an diesem Tag das Ticket loben, geht es den meisten um den Preis: „An den Klimaschutzaspekt habe ich ehrlich gesagt gar nicht gedacht“, sagt eine Frau, die sonst mit Monatsticket fährt. Obwohl dieser Aspekt da war: Mit 40 000 bis 50 000 Tonnen eingespartem CO2 rechnet VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger für den VVS-Raum.

Für andere Stuttgarter war das 9-Euro-Ticket eher eine Großstörung. „Hölle war das“, sagt eine Pendlerin. Täglich fahre sie von Stuttgart mit der Regionalbahn nach Karlsruhe oder Ulm. An einigen Tagen sei es so voll gewesen, dass sie Angst gehabt habe, nicht rechtzeitig aussteigen zu können. „Ich habe das 9-Euro-Ticket nur einmal genutzt“, sagt ein Mann. Am Hauptbahnhof wartet er auf den ICE nach München: „Die Gänge waren voll. Mir war die Enge unangenehm.“

Beschwerden über zu viele Menschen hört man an diesem Tag an den Haltestellen von Bus und Stadtbahn nicht. Es passt zur Bilanz von Thomas Hachenberger: „Die Stadtbahn und S-Bahnen in Stuttgart hatten mit dem 9-Euro-Ticket einen leichten Zuwachs. Die Eisenbahnen des Landes aber waren gut befüllt, teilweise überfüllt.“ Bis zu 50 Prozent mehr Fahrgäste habe es auf einigen Strecken im VVS-Gebiet gegeben. „Bei uns waren vor allem die Residenzbahn nach Karlsruhe und die Murrbahn nach Nürnberg viel mehr besetzt als üblich“, sagt Daniela Birnbaum, Pressesprecherin beim privaten Eisenbahnbetreiber Go-Ahead. Herausfordernd sei das gewesen, nicht nur für die Fahrgäste. Mehr Personen im Zug, das bedeute auch mehr Personen, die die Kundenbetreuer ermahnen müssen, die Maske aufzusetzen, sagt Efstathios Rafailidis, Leiter der Kundenbetreuer bei Go-Ahead. Es habe auch mehr Personal erfordert, das am Gleis für Sicherheit sorgte und beim Einsteigen half. Dazu kamen mehr Müll in den Zügen und an den Bahnhöfen.

Zahl der Fahrgäste unterscheidet sich an Tag eins nicht

Der Zeitpunkt für diesen Mehraufwand war offenbar ungünstig. Omikron, Sommergrippe – viele erkrankte Mitarbeitende beim VVS. Knapp 20 Prozent des Personals habe an einigen Tagen gefehlt, sagt Hachenberger. „Noch nie habe ich solche Krankenstände gesehen.“ Wer gesund ist, arbeite mehr: „Irgendwann können die auch nicht mehr.“

Und wie sieht es am 1. September in den Bahnen und Bussen aus, einen Tag nach Ende des Großereignisses? Einen Unterschied hätten sie nicht bemerkt, sagen Fahrgäste. Nicht der Mann mit Aktentasche in der U 7, nicht die junge Frau in der U 12, nicht die Frau in der Buslinie 42. Nur eine Frau auf dem Weg zum RE 5 findet: „Hier am Gleis ist weniger los.“