Kira Grünberg sitzt seit ihrem Trainingsunfall im Rollstuhl. Foto: imago images/Eibner Europa/Eibner-Pressefoto/EXPA/Spiess via www.imago-images.de

Die österreichische Ex-Stabhochspringerin Kira Grünberg (30) sitzt seit einem schweren Trainingsunfall 2015 querschnittsgelähmt im Rollstuhl – und seit 2017 als Nationalrätin im Parlament in Wien. Sie setzt sich auch besonders für Menschen mit Behinderungen und Inklusion ein.

Vom einen Moment auf den anderen war nichts mehr, wie es einmal war. Im Juli 2015 stand die Welt der Stabhochspringerin Kira Grünberg kopf, als sie bei einem Trainingsunfall aus vier Meter Höhe auf der Metallumrandung des Einstichkastens vor der Matte aufschlug und danach im Rollstuhl landete. Diagnose: Querschnittslähmung (Tetraplegie).

„Kira war so nahe am Tod, da braucht es lange, um ins Leben zurückzukommen“, sagt ihr Vater heute. Frithjof Grünberg stammt aus Pfullingen, seine Familie lebt in Pliezhausen. Der ehemalige Stabhochspringer der TSG Reutlingen, der mit seiner Familie schon lange in Kematen bei Innsbruck lebt, hat seiner Tochter den Traum vom Fliegen weitergegeben. Kira Grünberg war EM-Finalistin und hält mit 4,45 Metern noch immer die österreichischen Rekorde in der Halle und im Freien. Mit dem Sturz hat Kira Grünbergs Leben eine tiefgreifende Wendung erfahren.

Not-OP und sieben Monate Reha

Der Vater stand als Trainer an der Matte, die Mutter mit der Videokamera, sie filmte den schrecklichen Unfall ihrer Tochter: Bruch des fünften Halswirbels, Notoperation, sieben Monate Reha. Die Anteilnahme aus der Sportszene war groß: Leichtathletikgrößen wie Sergej Bubka (Ukraine), Renaud Lavillenie (Frankreich) und Robert Harting meldeten sich oder kamen ans Krankenbett, sprachen der damals 22-Jährigen Mut zu.

Achteinhalb Jahre nach dem Unfall erzählt Kira Grünberg die Geschichte ihres zweiten Lebens. Es ist eine Erzählung ohne Leiden, aber mit viel Zuversicht. „Ich dachte immer, wenn man sich das Genick bricht, ist man tot. Offenbar doch nicht. Glück gehabt“, sagt die inzwischen 30-Jährige. „Mein Leben verläuft völlig konträr zu dem von früher im Leistungssport, es ist aber erfüllt, ich bin glücklich.“

Zurückgekämpft

Nach dem Unfall kämpfte sie sich ins Leben zurück. Sie lernte wieder zu lesen, zu schreiben, selbstständig zu essen, Zähne zu putzen. Ärzte (auch in den USA), Therapeuten, Psychologen, ihre Familie und der Hund Balu standen ihr zur Seite. „Während 70 Prozent der Familien in einer solchen Situation zerbrechen, hat sie uns zusammengeschweißt“, sagt ihr Vater nicht ohne Stolz. Er hat das Haus behindertengerecht umgebaut: mit einem Aufzug, hydraulischer Badewanne, größerem Schlafzimmer.

Die Meldung von dem Unfall wurde in 52 Ländern verbreitet, 85 Prozent der österreichischen Bevölkerung kennen seitdem den Namen der Familie. „Derzeit dreht sich viel um die Politik, das hätte ich nie gedacht“, sagt Kira Grünberg, „aber ich habe hier meine Berufung gefunden.“ Österreichs inzwischen demissionierter Bundeskanzler Sebastian Kurz holte sie 2017 in sein Team bei der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Ein medialer Coup der Regierungspartei. Seitdem sitzt die ehemalige Sportlerin als Nationalrätin im Parlament in Wien, ist Sprecherin ihrer Partei für Menschen mit Behinderungen und Inklusion.

„Menschen mit Behinderungen brauchen eine starke Stimme“, sagt Kira Grünberg und hat bereits viele Behindertenprojekte zur Verbesserung der Situation vorangetrieben. Auch da verbreitet sie ihre Lebensphilosophie: Hoffnung statt Resignation. „Vielleicht erreiche ich mehr, als alle glauben, und kann Menschen mit ähnlichem Schicksal etwas zurückgeben“, hofft Grünberg. Ihre Botschaft kommt an, sie ist als Mensch mit Behinderung ein Vorbild.

Kein Hadern

Sie hadert nicht mit ihrem Schicksal, auch Jahre später nicht. In ihrem Buch („Mein Sprung in ein anderes neues Leben“) hat sie den ersten Teil ihrer Geschichte verarbeitet und den körperlichen Einschnitt als inspirierend dargestellt. Sie habe gelernt, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen.

„Mein zweites Leben in der Politik ist vielleicht etwas komplizierter, aber genauso schön und erfüllend wie das zuvor im Sport“, sagt Grünberg. Statt zu Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, Tokio oder Paris zu fahren, tourt sie jetzt zu Vorträgen im In- und Ausland, sitzt im österreichischen Parlament in Wien am Rednerpult oder besucht Behinderteneinrichtungen, um sich auch für tägliche Sport- respektive Bewegungszeiten einzusetzen. „Ich habe andere Ziele, als Weltmeisterin zu werden. Aber ich bin der gleiche Mensch geblieben, nur ein bisschen gelassener“, sagt Kira Grünberg.

Ein Auto des Weltmarktführers für die Herstellung behindertengerechter Fahrzeuge in Pfronstetten auf der Schwäbischen Alb sorgt für die erforderliche Mobilität. Ein Hebel fürs Gasgeben und Bremsen, ein zweiter fürs Lenken, auch das hat sich verändert. Frithjof Grünberg hat einen mittleren sechsstelligen Betrag aufgebracht.

Die Liebe zum Stabhochsprung („Der ist eigentlich nicht gefährlich“) ist Kira Grünberg nicht abhandengekommen. Beim Besuch der Europameisterschaften 2022 in München war sie begeistert („bombastische Stimmung“), obwohl sie sie unterm Zeltdach des Olympiastadions eigentlich am liebsten mit dem Stab hätte antreten wollen.

Derzeit bereitet sich Kira Grünberg („Für die Zukunft wünsche ich mir eine eigene Familie, mit der ich mein Leben teilen kann“) auf zwei Ereignisse im Sommer 2024 vor. Der Wahlkampf für ihren dritten Einzug in den Nationalrat und den Umzug mit ihrer Familie von Innsbruck nach Niederösterreich. Der erneut geplante Umbau des Grünberg-Hauses mit einer eigenen Wohnung für die Tochter in Kematen wurde von der Gemeinde aus Denkmalschutzgründen verwehrt.