Seit Herbst hat Deutschland zusätzliche Grenzkontrollen eingeführt. Foto: dpa/Frank Hammerschmidt

In Deutschland sind zu Jahresbeginn weniger Schutzsuchende angekommen als noch ein Jahr zuvor um diese Zeit. Ist das die Trendwende in der Migrationspolitik?

Es war nur eine kleine Meldung in dieser Woche. Aber Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich vermutlich gern dazu. „Von Januar bis März hatten wir knapp ein Fünftel weniger Asylanträge als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres“, sagte Faeser am Montag. Das ist eine neue Entwicklung. 2023 stellten 329 120 Menschen einen Erstantrag auf Asyl – so viele wie lange nicht mehr. Doch seit Beginn dieses Jahres weisen die Zahlen in eine andere Richtung. Es kommen weniger Menschen als im Vorjahr an.

Warum ist das so? Kann man schon von einer Trendwende sprechen?

Dass die Zahl der Asylerstanträge zu Jahresbeginn sinkt, ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Weil die Reise nach Europa im Winter besonders gefährlich ist, brechen die meisten Menschen im Frühjahr auf und kommen im Sommer oder Herbst in Deutschland an. Aber: Auch im Vergleich mit den Vorjahresmonaten ging die Zahl der Asylerstanträge von Januar bis März zurück – um 19,2 Prozent. Es geht um mehr als den Effekt von Jahreszeiten.

Wirkung der vorübergehenden Grenzkontrollen

Faeser sieht die neuen Zahlen als Bestätigung ihres Kurses. „Das zeigt, dass unser Handeln wirkt.“ Sie verwies auf den Effekt der vorübergehenden Grenzkontrollen, die sie im Herbst anordnete. 17 600 unerlaubte Einreisen seien so verhindert worden, 700 Schleuser festgenommen. Migrationsexperten haben noch andere Erklärungen für diese Entwicklung. Sie vermuten, dass sich die Grenzkontrollen zwar ausgewirkt haben – allerdings nicht so sehr wie andere Faktoren.

Ein Faktor ist die Situation in den Ländern, aus denen die Asylbewerber kommen oder durch die sie durchreisen. Das betont die Migrationsforscherin Marie Walter-Franke, die unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) arbeitet. „Die meisten Asylbewerber kamen in den vergangenen Jahren aus Syrien und Afghanistan“, sagt Walter-Franke. „Viele, die von dort ausreisen konnten, haben das inzwischen getan. Solange die Lage sich dort nicht erneut drastisch verändert, kommen nun weniger nach.“

Krisen in anderen Ländern

Die meisten Geflüchteten versuchen zunächst, in näher gelegenen Staaten unterzukommen – zum Beispiel in der Türkei, im Libanon und in Tunesien. Doch viele dieser Länder erlebten im vergangenen Jahr selbst Katastrophen wie Erdbeben oder Wirtschaftskrisen. „Das dürfte dazu geführt haben, dass die Menschen von dort nach Europa weitergereist sind“, vermutet Walter-Franke. Nun hat sich die Lage in diesen Ländern teilweise gebessert – auch wenn sich das schnell wieder ändern könnte.

Das allein kann aber nicht die Ursache sein. Walter-Franke verweist auf Zahlen, die das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) erhebt. Diese zeigen: Die Entwicklung in Deutschland ist untypisch für Europa. In Deutschland kommen zwar weniger Menschen an – die Zahlen für Europa gehen aber nicht so deutlich zurück. Im Januar und Februar lagen sie sogar über dem Vorjahr, erst im März fielen sie unter das Niveau von 2023.

Zusammenarbeit mit anderen Ländern

Der Rückgang im März lasse sich vermutlich teilweise auf die verstärkte Zusammenarbeit Deutschlands und der EU mit Tunesien, Marokko und Ägypten zurückführen, sagt Walter-Franke: „Die drei Staaten haben sich bereit erklärt, die Ausreisen stärker zu kontrollieren. Zumindest kurzfristig scheint das zu wirken.“ Dass die Asylzahlen in Deutschland schon vorher sanken, könnte an den Mittelmeerstaaten liegen, vermutet Walter-Franke: „Diese Länder haben sich in den Verhandlungen über die Reform des EU-Asylsystems kompromissbereit gezeigt, und haben dafür Zugeständnisse bekommen.“ Das habe beeinflusst, dass sie die Sekundärmigration stärker kontrolliert hätten. „Ansonsten wären die Verhandlungen womöglich geplatzt.“

Der Migrationsexperte David Kipp von der Stiftung Wissenschaft und Politik verweist noch auf einen weiteren Faktor: Auch Österreich, Tschechien, Polen und die Slowakei haben inzwischen Grenzkontrollen eingeführt oder verstärkt. Auch deshalb kommen weniger Menschen in Deutschland an. „Die Frage ist aber, wie nachhaltig diese Lösung ist“, sagt Kipp. Meist seien diese Effekte nur kurzfristig. Wird die Fluchtroute an einer Stelle aufgehalten, bilden sich nach einiger Zeit häufig neue, sagen sowohl Walter-Franke als auch Kipp.

Nun muss man beobachten, ob der Trend anhält. Die entscheidenden Faktoren wird Deutschland wohl kaum beeinflussen können.