VW-Werk im chinesischen Xinjiang Foto: dpa/Stephan Scheuer

Wieder einmal steht VW wegen seines Xinjiang-Geschäfts unter Erklärungsnot. Der Vorwurf der Zwangsarbeit lässt sich allerdings auch als Chance begreifen – für einen längst überfälligen Rückzug aus der Uiguren-Region.

Wie illegale Schmugglerware wurden die Autos an den US-Häfen festgesetzt: Über 13 000 Fahrzeuge der VW-Marken Audi, Porsche und Bentley dürfen vorübergehend nicht ausgeliefert werden. Denn wie die „Financial Times“ berichtete, haben die Behörden bei Routine-Inspektionen ein elektronisches Bauteil aus Westchina bemerkt, das gegen das Gesetz gegen Zwangsarbeit verstoße.

Mit Westchina ist unmissverständlich die Uiguren-Region Xinjiang gemeint. Dort hat die chinesische Regierung in den letzten Jahren Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit in Internierungslager gesperrt, um möglichen Terror und Separatismus im Keim zu ersticken. Und in jener Region betreibt Volkswagen auch mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC eine Fabrik – eine Standortwahl, die mutmaßlich auf Druck der chinesischen Regierung zustande kam.

Das Werk bringt VW nur Ärger ein

Den Wolfsburgern hat das Werk jedenfalls bislang nur Ärger eingebracht. Erst vor wenigen Monaten ließ VW die Fabrik in einem Audit auf mögliche Zwangsarbeit untersuchen, doch dabei wurde eine von VW und SAIC betriebene Teststrecke im Ort Turpan ausgeklammert. Genau dort allerdings solle es beim Bau Menschenrechtsverstöße gegeben haben, steckte ein Volkswagen-Mitarbeiter dem „Handelsblatt“. Die Journalisten weihten daraufhin den renommierten Xinjiang-Experten Adrian Zenz ein, der schon bald weitere Erhärtungen des Anfangsverdachts fand.

Der 50-Jährige fußt seine Vorwürfe auf offizielle Dokumente, die die chinesischen Baufirmen der Teststrecke auf ihren Internetseiten publiziert haben. So haben sich die Konzerne nicht nur an den staatlichen Überwachungsmaßnahmen gegen Uiguren beteiligt, sondern auch an den Programmen zur „Armutsbekämpfung“. Das bedeutet: Zehntausende Uiguren wurden nach der Haft in den Umerziehungslagern in Fabriken transferiert – mutmaßlich unter Zwang.

Für Volkswagen ist es ein Déjà-vu, denn wieder steht man unter Erklärungszwang. Wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte, prüfe man derzeit „verschiedene Szenarien“ zur „künftigen Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten“ in Xinjiang. Dabei steht inoffiziell auch ein Rückzug zur Option: „Wir wollen da raus“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ einen Konzernmitarbeiter. Pekings Reaktion fiel erwartbar aus. Das chinesische Außenministerium hat auf Anfrage der französischen Nachrichtenagentur AFP die Vorwürfe als „Lügen“ bezeichnet, von denen sich deutsche Unternehmen nicht „täuschen“ lassen sollten.

Peking spricht von „Lügen“

Auch die Arbeitslager hat die Parteiführung zunächst als Lügen bezeichnet – bis die Beweislast der Satellitenfotos und Journalistenberichte zu erdrückend war. Seither spricht Peking von „Ausbildungszentren“. Das offizielle Narrativ Pekings ist eine Machtdemonstration: Dass die westlichen Unternehmen die Darstellung nicht infrage stellen, dafür sorgt das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche. Wer Kritik äußert, wird aus dem Markt von 1,4 Milliarden Chinesen ausgeschlossen.

Doch dass diese Strategie nicht mehr zieht, zeigt nicht zuletzt das Beispiel VW. Die Wolfsburger haben ihre Position in den letzten Jahren stark gewandelt: Noch 2019 erklärte Herbert Diess, damaliger Vorstandsvorsitzender, bei der Automesse Shanghai, von den Umerziehungslagern in Xinjiang nichts zu wissen.

Die mutmaßliche Lüge vor laufender Kamera hat dem Konzern ein PR-Fiasko beschert, von dem es sich nur im Zuge schmerzhafter Anstrengungen wieder befreien konnte. Teil dieser neuen Kommunikation war auch eine Untersuchung des eigenen Werks in Xinjiang, was man trotz massiven Drucks der chinesischen Seite durchsetzte. „VW hat sich lange genug der Verantwortung für seine Mitschuld an den Menschenrechtsverletzungen der Uiguren entzogen“, sagt Dolksun Isa, Präsident des in München ansässigen Weltkongresses der Uiguren. Die jüngsten Enthüllungen sollten nun als Wendepunkt für Volkswagen dienen, sich endgültig aus der Region zurückzuziehen, fordert der 56-jährige Aktivist.

Es heißt, VW wolle raus aus Xinjiang

Und hinter den Kulissen ist längst offensichtlich, dass sich Volkswagen aus der Region zurückziehen möchte. Doch man hatte darauf gehofft, den bestehenden Vertrag der Fabrik stillschweigend auslaufen zu lassen. Ein offener Vertragsbruch hingegen könnte zu wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen führen.

Doch es gibt durchaus Grund zur Annahme, dass es für VW nicht zum schlimmstmöglichen Szenario kommt. Zum einen ist der Zeitpunkt äußerst günstig: Nachdem Chinas Beziehungen gegenüber den USA nahezu irreparabel beschädigt sind, kann es sich die Parteiführung nicht leisten, nun auch die Europäer – den wichtigsten Handelspartner – zu vergraulen. Hinzu kommt, dass Volkswagen im Reich der Mitte aufgrund der Joint-Venture-Struktur de facto ein halb chinesisches Unternehmen ist.