Rechts oder Krächz? In Monika Marons zeitdiagnostischem Roman deutet eine Krähe die Welt. Foto:  

Monika Maron ist ins Kreuzfeuer einer zwischen links und rechts tobenden Debatte geraten. Ihr neuer Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ führt vor Augen, was Literatur von Leitartikeln unterscheidet.

Stuttgart - Ein Gespenst geht um: der rechte Autor, der bisher eher als verruchter Spezialfall im Giftschrank der Literaturgeschichte oder höchstens als einzelner sonderbarer Bewohner elitärer Wolkenkuckucksheime geduldet war. Nun wagt er sich immer ungenierter aus ewiggestriger Versenkung und schreckt die fried- und literaturliebende Öffentlichkeit aus dem Aufklärungstraum, in dem sich die gewohnheitsmäßig linkstickende kritische Nachkriegsintelligenz gewiegt hat. Gestritten wird über die Sagbarkeit und Unsagbarkeit von Dingen, die gegen den moralischen Konsens verstoßen, möglicherweise, weil dieser so nicht mehr vorauszusetzen ist, beziehungsweise von einem Teil der Gesellschaft nur noch als Doktrin innerhalb eines angeblichen Meinungskartells erfahren wird. Und es sind nicht mehr nur renegatische Hinterbänkler, sondern hochdekorierte Vertreter des literarischen Establishments der Republik, die verbale Breitseiten gegen Merkels Flüchtlingspolitik feuern, den Islam für eine Bedrohung halten und sich gallig mokieren würden, wenn an dieser Stelle genderkorrekt den gefeierten Vertretern noch ihre weibliche Entsprechung hinzugefügt würde.

Leben wir etwa bereits wieder in einer Vorkriegszeit? Diese Frage treibt Mina Wolf um, die an einem Essay über den Dreißigjährigen Krieg schreibt. Je tiefer sie sich in die hochentzündliche Gemengelage von Religionskonflikten, Migrationen, Bevölkerungswachstum, dem Klimawandel der kleinen Eiszeit gräbt, desto mehr glaubt sie, in der eigenen Gegenwart zu landen, wie sie sie täglich in den Zeitungen beschrieben findet. „Schilderungen aus der Zeit vor Ausbruch des Krieges könnten, tauschte man die Akteure aus, so ähnlich auch heute zu vermelden sein.“

Blank liegende Nerven

In ihrer kleinen Straße im Berliner Stadtteil Schönefeld liegen die Milieus neubürgerlicher Weltverbesserungselbstzufriedenheit und abstiegsbedrohter Erregungsbereitschaft nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Als eine verrückte oder, je nach Sicht der Straßenseite, alternativ begabte Sängerin mit schmetternden Darbietungen von ihrer Balkonbühne aus die ohnehin gereizten Nervenenden der Bewohner beschallt, eskaliert die Situation. Der große Lautangriff der Freizeitdiva weitet sich zum Straßenkampf, in dessen Strudel alles gerissen wird, was gegenwärtig die Gemüter erregt. Mina Wolf glaubt zu erleben, wie sich die gewohnte Ordnung auflöst, unterfüttert von den alltäglichen Schauermeldungen über zunehmende Vergewaltigungen, Messerstechereien, Raubzüge und Angriffe auf die Polizei: „Als sei mit den Millionen Menschen, die in den letzten Jahren aus fremden Kontinenten eingewandert waren, auch der Krieg eingewandert, dem sie entflohen waren.“

Aber wer ist diese Mina Wolf überhaupt? Sie ist die Ich-Erzählerin des neuen Romans von Monika Maron, die seit ihrer Parteinahme für ihren mit der AfD sympathisierenden Schriftstellerkollegen Uwe Tellkamp und einem islamkritische Positionen vertretenden Leitartikel in der NZZ neuerdings selbst dem Club der rechten Dichter zugeschlagen wird. Nun könnte man natürlich versucht sein, in Mina Wolf das Sprachrohr einer Autorin zu sehen, die ihre wütend politisch unkorrekten Ansichten zum besseren agitatorischen Gebrauch mittels einer Romanhandlung illustriert. Doch Vorsicht: „Munin oder Chaos im Kopf“ hat Monika Maron ihren Roman überschrieben, das klingt nicht nach allzu großer Thesensicherheit – und überhaupt sollte man genau hinschauen bzw. -hören, wer hier im Einzelnen spricht.

Um den Attacken der Sängerin zu entgehen, hat Mina Wolf ihre Arbeitsphasen in die Nacht verlegt. Einsam berauscht sie sich an dem unheilsatten Schrifttum über den Dreißigjährigen Krieg. Und hat sie ihre Eindrücke durch einige Gläschen Hochprozentiges gesteigert, gesellt sich ihr noch eine einbeinige sprechende Krähe zu. Das Gespenst des rechten Autors findet in ihr sein Wappentier. Die Schlüsse, die die Deutschen aus ihrer Geschichte gezogen haben, bekrächzt der rabenschwarze Vogel namens Munin nur mit Verachtung: „Seitdem werft ihr euch schützend über alles, was ihr für schwach und hilflos haltet.“ Die sich von der Gebärfreude kopftuchtragender Frauen bedroht fühlende Kriegschronistin, die auf den Spielplätzen nur noch schwarzhaarige Kinder zu sehen glaubt, findet in der Krähe Bestätigung: „Das dümmste Tier weiß, dass es nicht mehr Nachkommen haben darf, als es ernähren kann.“

Vom Sänger- zum Kritikerstreit

Doch was ist von den Weisheiten eines hinkenden schwarzen Vogels zu halten? Illustrieren Eva Wolfs vogelkundliche Séancen wirklich die Legitimität und Notwendigkeit gesellschaftspolitischer Nachtgedanken oder nicht viel eher die Genese einer Psychose, die schleichende Entstehung von Chaos im Kopf durch Projektionen, Vergleiche, Stimmungen? Ja, machen sie das eine gar erst durch das andere verständlich? Ist das Chaos im Kopf am Ende viel größer als das Chaos der Welt?

Es gehört zur großen List des Romans, diese Fragen in der Schwebe zu halten. Und vielleicht erfüllt sich in der kontroversen Diskussion, zu der diese Offenheit Anlass gibt, sogar seine eigentliche Absicht. Der Kritikerstreit vollzieht nach, was der Sängerstreit im Roman entfaltet. Näher kann man der Wirklichkeit nicht kommen. Monika Marons Raben-Roman rückt akuten gesellschaftlichen Befindlichkeiten auf den Pelz, ohne ihnen auf den Leim zu gehen. Er führt vor Augen, was gute Bücher im Zweifel sogar ihren Autoren voraushaben. Ein literarischer Text ist kein Verlautbarungsorgan, sondern ein Reflexionsraum.

„Links bin ich schon lange nicht mehr“, war der Leitartikel Monika Marons in der NZZ überschrieben. Rechts ist ihr Roman damit noch lange nicht.

Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf. Roman. S. Fischer Verlag. 224 Seiten, 20 Euro.