Mehr als 100 Personen düfen nicht in den Schlosskeller, deshalb haben einige Besucher weggeschickt werden müssen. Claus-Peter Hutter hat sich den Fragen von Karin Götz gestellt. Foto: Werner Kuhnle

Die Veranstaltung mit Claus-Peter Hutter zum Klimawandel und seinen Folgen ist auf riesiges Interesse gestoßen.

Marbach - Klimawandel und Naturschutz – das sind offenbar Themen, die viele Menschen bewegen. Denn der Schlosskeller war beim Abend mit Claus-Peter Hutter, dem Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg und Präsidenten von Nature Life International, nicht nur mit hundert Besuchern bis auf den letzten Platz besetzt, es mussten aus Sicherheitsgründen auch noch etliche Interessierte abgewiesen werden.

Der Vortrag „Die Erde rechnet ab“ fand im Rahmen des Fokusthemas Klima- und Naturschutz der Schiller-Volkshochschule in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Taube statt. Claus-Peter Hutter las nicht nur zentrale Passagen aus seinen beiden neuen Büchern „Die Erde rechnet ab“ und „Das Verstummen der Natur“ und zeigte Bilder verschiedener nationaler und internationaler Naturschutzprojekte, er stellte sich auch den Fragen von Karin Götz, der Leiterin der Lokalredaktion der Marbacher Zeitung. Und auch die Besucher hatten noch Gelegenheit zu eigenen Fragen und Anmerkungen.

Der Klimawandel ist schon da

„Erwarten Sie keine Antwort, was den ökologischen Staatsbankrott betrifft“, hatte Claus-Peter Hutter vorgebeugt: „Wir sind mittendrin, ich kann aber auch nur Ideen liefern. Wer eine Antwort wüsste, der müsste sofort Bundeskanzler werden.“ Letzten Endes gehe es um die Frage: Wie können wir unseren Alltag gestalten, um nicht zu Klimaopfern zu werden? Denn Opfer gebe es hierzulande bislang nur vereinzelt, wie etwa bei der Flut in Braunsbach. Anders sehe das beispielsweise auf den Philippinen aus: „Unter dem Klimawandel leiden vor allem die, die nichts dafür können.“

Doch auch bei uns sei der Klimawandel angekommen – mit immer mehr „Jahrhundertstürmen“, „Jahrhundertdürren“ oder „Jahrhundertfluten“. Und damit sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: „Wir werden Insektenplagen, viel mehr Stromausfälle und vieles andere kriegen.“ Nur trügerisch sicher sei auch unsere Versorgung mit Trinkwasser: „4,5 bis fünf Millionen Menschen hängen an der Wasserversorgung durch den Bodensee, an einer einzigen Leitung. Was, wenn damit mal was ist?“, fragte er. Nur wenige Gemeinden hätten noch ihre eigene, wenn auch kalkhaltige Wasserversorgung.

Für Zweifler am Klimawandel hatte Hutter ebenfalls eine Antwort: „Selbst wenn es immer mal wieder Klimaschwankungen gab, können wir als Menschen nicht noch eins draufsetzen.“ Hoffnung machten, so der Naturschützer auf Nachfrage von Karin Götz, junge Menschen wie die Schwedin Greta Thunberg, die den Schulstreik für das Klima initiiert hat. „Wir brauchen eine neue Bewegung und keine Wohlstandslethargie“, meinte Hutter.

Bildung gegen Entfremdung von Mensch und Natur

Eine Hauptursache der Probleme: Menschen hätten heute vielfach keinen Bezug mehr zur Natur. Man erlebe kontrollierte Natur in Center Parks, statt einfach mal in den Schwarzwald zu gehen. „Sind wir uns nur noch kostenpflichtige Natur wert?“, so Hutters provokante Frage. Das Problem sei fehlende Bildung oder vielmehr eine „Wissenserosion“.

„Geht wieder raus mit den Kindern, zeigt ihnen die Natur“, so sein Appell an die Zuhörer. Aber auch der Staat sei gefragt: „Biologie wurde als eigenständiges Fach aus dem Lehrplan genommen, das ist unglaublich, wir haben Substanzielles aufgegeben.“ Und fehlendes Wissen führe dazu, dass man gar nicht bemerke, was eigentlich alles verschwinde. „Bei uns gibt’s keinen Kiebitz mehr und keine Grauammer, und kaum einer hat’s gemerkt.“ Wir dürften nicht vergessen, dass wir von der Natur abhängig seien.

Der Mensch verhält sich nicht immer logisch

Die Beobachtung von Karin Götz, dass es einerseits Menschen gebe, die hin zur Natur wollten, und wieder andere, die möglichst nichts damit zu tun haben wollten, bestätigte Claus-Peter Hutter im Gespräch Doch selbst ökologisch orientierte Menschen verhielten sich nicht immer logisch, erklärt der Benninger.

„Da werden Bioprodukte gekauft, egal woher, statt zu überlegen, ob nicht regional und saisonal die bessere Alternative wäre“, so Hutter. Ein weiteres Beispiel: Steine im Vorgarten ohne das kleinste bisschen Grün, aber daneben hänge ein Insektenhotel. Die Ausrede sei, man habe keine Zeit für den Garten. Dabei sei der eine gute Alternative zum Fitnessstudio.

Finanzielle Interessen kontra Naturschutz

„Kann der Spagat zwischen dem notwendigen Wohnungsbau und dem Naturschutz gelingen?“, wollte Karin Götz wissen. Das sei ein schwieriges Thema, so Hutter. Wenn man neue Wohngebiete ausweise, so sollte man das intelligent tun – „menschenwürdig und mit Grün gestalten“ – und sie nicht „auf der grünen Wiese“ erstellen. Ein Problem sei in dem Zusammenhang die Gemeindefinanzierung: „Von toller Natur gibt’s kein Geld, von Gewerbesteuer und Einkommenssteuer schon.“ Auch die Finanzierung der Landwirtschaft spiele eine Rolle: „Normale Landwirte sind immer kleiner gemacht worden, die Agrarlobby ist zu mächtig, und die Politik ist noch nicht so weit.“ Deshalb solle man auch immer wieder seine Abgeordneten ansprechen. „Wenn das viele machen, bringt’s was“, zeigte sich der Experte überzeugt. Ganz wichtig sei auch die internationale Vernetzung von Naturschützern: „Wir können unsere Natur gar nicht alleine schützen, viele unserer heimischen Tiere überwintern woanders“, betonte er.

Fazit

„Wir können es uns nicht leisten, träge zu sein; es geht um unsere Zukunft und die der Jüngeren, die wir verspielen.“