Noch-Parteivorsitzender der AfD Bernd Lucke. Foto: dpa

Politikwissenschaftler Korte über den Zustand der AfD: Mit Bernd Lucke allein ist der Erfolg nicht gewährleistet.

Herr Korte, hat die AfD ohne Bernd Lucke eine Überlebenschance?
Nein, dazu spielt der Gründungsvater der AfD für die Mobilisierung in der bürgerlichen Mitte eine zu große Rolle. Er spricht wichtige finanzpolitische Themen an, vor allem die Euro-Thematik. Das hat die Partei stark gemacht.
Nehmen wir an, er setzt sich im Machtkampf mit dem rechten Parteiflügel durch. Ist denn eine rein bürgerlich-liberal gewendete AfD ohne den rechtspopulistischen Akzent wählerwirksam genug?
Nein, das reichte nicht. Erfolgreich kann die AfD nur sein, wenn sie ergänzend zum liberal-konservativen Lucke-Kurs auch weiter als Protestpartei wahrgenommen wird. Ein Drittel der Wähler, die sie bislang hatte, waren ausschließlich Anti-Etablierten-Wähler, die sich in der bisherigen Politik nicht vertreten sahen. Die AfD nimmt bewusst das diffuse Gefühl des Sich-fremd-Fühlens im eigenen Land auf. Das scheint anzusprechen. Protestpartei muss die AfD also bleiben. Inwieweit die Partei Ressentiments, zumal antiislamische Ressentiments, bedienen muss, ist ja in der AfD hoch umstritten. In diese Richtung sehe ich auch keine wirkliche Chance für die AfD.
Das heißt, der Parteirechte Alexander Gauland hat also recht, wenn er vor einer Spaltung warnt und dafür wirbt, dass sich Lucke mit den Nationalkonservativen verständigt?
Ja, das sehe ich so. Ein Euro-kritischer, teils auch neoliberaler Grundzug in der Mischung mit nationalkonservativen Aspekten könnte durchaus für Wähler attraktiv sein, weil es die AfD klar von anderen politischen Angeboten unterscheiden würde – zum Beispiel von der FDP. Aber es gibt eine wichtige Grenze: Sobald die Partei in einer rechtsextremen Schmuddelecke verortet wird, etwa durch die starke Betonung der Islamkritik, sehe ich wenig Chancen, die Fünfprozentmarke zu überspringen.
Wie wichtig sind überhaupt profilierte Köpfe? Funktioniert die AfD nicht eher als anonyme Projektionsfläche für jedweden Missmut?
Die AfD funktioniert zweifellos als Unmutsaufsauger. Ein solches politisches Frustventil braucht für die Mobilisierung natürlich in viel geringerem Maße eine Personalisierung. Das zeigen viele zurückliegende Landtagswahlen, wo die AfD-Kandidaten völlig unbekannt waren. Bundespolitisch ist es aber wichtiger, auch über Personen erkennbar zu sein. Da hat Lucke seine Funktion.
Die Gegner der AfD rücken diese an den extremen rechten Rand. Ist das zutreffend?
Dieser Standort ist jedenfalls teilweise programmatisch und durch einzelne Mandatsträger erkennbar, von denen manche eine Vergangenheit in Parteien haben, die auf Rechtspopulismus und rechtsextreme Strömungen schließen lassen. Das kann man nicht wegdiskutieren.
Fazit: Die AfD muss zusammenbleiben und eine Form des Miteinanders beider Flügel finden, sonst verschwindet sie – richtig?
Ja. Eine Partei muss immer gesellschaftliche Strömungen widerspiegeln. Und das Ringen unterschiedlicher Strömungen in einer Partei macht sie interessant. Die FDP in ihren besten Jahren hatte zwei ausgesprochen deutlich erkennbare Flügel, auch bei den Grünen ist das bis heute so. Das ist kein Nachteil. Aber eine Partei muss entscheidungsfähig bleiben.
In vielen europäischen Ländern haben sich rechtspopulistische Parteien etabliert. In Deutschland ist das bisher nicht der Fall. Ein Fehler?
Ganz anders als viele deutsche Nachbarländer ist die deutsche Gesellschaft extrem stark zur Mitte orientiert. Wir haben eine Schlichtungsdemokratie. Von Ressentiments getriebene Wähler gibt es aber auch in Deutschland. Die politische Mitte in Deutschland hat die Pflicht, sich mit diesen Wählern und ihren Themen auseinanderzusetzen. Dort muss das diskutiert werden – in der Mitte, das darf man nicht den Rändern überlassen. Das wortlos zu übergehen wäre ein Zeichen von Machtarroganz. So entstehen Defizitparteien wie die AfD. Die nimmt nicht abgedeckte Themen auf. Grundsätzlich gilt aber: Viel-Parteien-Parlamente sind auch ein Abbild einer sehr pluralen Gesellschaft. Der Empörungsort für Wutbürger soll auch das Parlament sein – nicht nur die Straße.