Ralf Brügel möchte weniger Einschränkungen für Kinder und Jugendliche. Foto: /Stoppel

Wenn die Infektionsschutzmaßnahmen gelockert werden, sollen aus Sicht der Kinderärzte im Rems-Murr-Kreis auch die Kinder und Jugendlichen davon profitieren. Der Ärzte-Sprecher Ralf Brügel erklärt, warum.

So etwas hat Ralf Brügel in seinen vielen Jahren als Obmann der Kinder- und Jugendärzte im Rems-Murr-Kreis noch nicht erlebt. „Innerhalb von 24 Stunden haben mir alle ihr Okay für die gemeinsame Erklärung gegeben“, sagt der Schorndorfer. Knapp 30 Kinder- und Jugendärzte stehen also hinter der Stellungnahme, mit welcher die Mediziner ihre Bedenken hinsichtlich der nun anstehenden Corona-Entscheidungen im Bundestag ausdrücken.

Konkret befürchten sie, dass die Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen nicht in gleichem Maße für die Kinder und Jugendlichen gelten werden wie für die Erwachsenen, sondern dass den Länderregierungen Mittel an die Hand gegeben werden, Masken- oder Testpflicht in bestimmten Bereichen aufrecht zu erhalten. „Es gibt schon Gerüchte, dass in Heimen und Schulen daran festgehalten werden soll“, sagt Ralf Brügel. In Hochrisikobereichen wie Pflegeheimen oder Krankenhäusern würde dies absolut Sinn machen, nicht aber in Schulen.

Kein einziger Patient in der Praxis mit schwerem Verlauf

Denn für die Kinder- und Jugendärzte stellt sich die Situation laut der Stellungnahme folgendermaßen dar: „Für Kinder und Jugendliche führt eine Infektion mit dem Coronavirus nur in absoluten Ausnahmefällen zu einem schweren Verlauf. Corona ist für diese Altersgruppe vergleichbar mit vielen anderen Lebensgefahren und Krankheitserregern.“ Der Schorndorfer Kinderarzt hatte in seiner Praxis keinen Patienten mit schwerem Verlauf: „Jetzt ist gerade ein Mädchen da, das nach einer Coronaerkrankung zwar körperlich fit ist, aber noch Konzentrationsschwächen hat. Aber sie war bisher die einzige“, erzählt Ralf Brügel.

Dafür aber führe er jede Woche drei bis vier Gespräche mit Eltern, deren Kinder Schulängste oder -probleme hätten. „Kinder und Jugendliche haben nun zwei Jahre lang in besonderer Weise unter den Veränderungen in der Pandemie und den damit verbundenen Eingriffen in ihre soziale Teilhabe gelitten“, heißt es in der Stellungnahme.

„De facto findet die Durchseuchung schon statt“

Natürlich sei der anlasslose Schnelltest zumutbar. Aber nicht die möglichen Folgen: „Das Kind muss wieder nach Hause, muss auf das Ergebnis des PCR-Tests warten. Es verpasst wieder einen Tag Schule, das Fußballtraining am Abend, den Musikunterricht. Solche Einschränkungen hat kein Erwachsener.“ Zumal die bisherigen Maßnahmen nicht dafür gesorgt hätten, dass die Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen massiv sinken würde: „De facto findet die Durchseuchung schon jetzt statt.“

Bei manchen der derzeit geltenden Maßnahmen zweifelt Ralf Brügel mittlerweile an der Sinnhaftigkeit: „Meine Tochter ist in der 12. Klasse. Freitags tanzt die halbe Stufe zusammen in Stuttgart im Club – getestet und ohne Maske. Montags sitzen alle zusammen im Klassenzimmer – getestet, aber mit Maske.“ Natürlich gebe es gerade Höchststände bei den Inzidenzen, „aber die Krankenhausbelegung ist sehr stabil“.

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Ralf Brügel und seine Kollegen ärgert es besonders, dass die Empfehlungen der Fach- und Berufsgesellschaften hinsichtlich Lockerungen „komplett ignoriert werden. Das frustriert uns.“ Stattdessen sei das Angstlevel vor einer Coronaerkrankung bei Kindern immer noch erschreckend und ungerechtfertigt hoch: „Wir Kinderärzte führen alle Gespräche mit hochgradig ängstlichen Eltern. Diese ignorieren wir nicht“, sagt Brügel. Tatsächlich könnten durch das Impfangebot mittlerweile auch gefährdete Kinder und deren Familien vor schweren Verläufen geschützt werden. „Deswegen dürfen wir aber nicht alle Kinder einschränken.“