Das Locanda No. 1 muss Ende des Monats schließen – Wirte Leonardo Vitale und Francesco Simula haben ein neues Objekt im Visier
Stuttgart - Es herrscht Endzeitstimmung im Locanda No. 1. Ende Juni 2013 muss das rustikale, gemütliche italienische Restaurant am Rotebühlplatz 33 schließen. Die Gespräche der Stammgäste drinnen an der Theke kreisen immer wieder um das nahe Aus, draußen hellt nicht mal die Sonne die Gemüter auf. Man ahnt: Der Verlust der Stammkneipe kommt für einige der Vertreibung aus dem Paradies gleich. So geht es auch Thomas Schuldes. Seit 30 Jahren ist das Lokal sein zweites Wohnzimmer. Und damit fast von Anfang an. Denn die Wirte Leonardo Vitale, 65, und Francesco Simula, 56, haben im Juni 1982 eröffnet.
„Seither ist das Locanda für viele wie ein zweites Zuhause“, sagt Schuldes mit düsterer Miene. Ein höheres Lob kann man einem Gasthaus kaum zollen. „Man hat hier Menschen aus der ganzen Welt getroffen, ein bunt gemischtes und interessantes Publikum. Das war damals einzigartig“, schwärmt der Stammgast. Viele Ehen seien hier gestiftet worden. Dass er heute, ohne je einen Sprachkurs absolviert zu haben, recht ordentlich Italienisch spreche, verdanke er Leo, wie er den Wirt nennt.
Pizza und politische Diskussionen
In den ersten Jahren, erzählt Vitale, gab es hier sogar Live-Musik, manchmal auch politisches Kabarett. Als einmal ein gewisser Tom Waits ins Lokal reinschneite und sich das Mikro schnappte, habe keiner eine Ahnung von der Berühmtheit des US-amerikanischen Sängers, Komponisten und Musikers gehabt. Da spielt die Frage nach der Qualität des Essens, für das seit 25 Jahren die Köchin Izeta Ramcevic verantwortlich ist – nein, sie stammt nicht aus Italien, sondern aus Bosnien –, eigentlich kaum mehr eine Rolle. „Ist völlig in Ordnung“, antwortet Schuldes.
Das Locanda ist weder Nobel-Italiener noch Schickimicki-Treff. Das sollte es nie sein: „So etwas zu betreiben war nie meine Absicht“, versichert Vitale. 1971 kam er aus seiner Heimat, der Bergregion in Kampanien, nach Stuttgart. Zunächst arbeitete er beim Daimler, später orientierte er sich zusammen mit Simula, eigentlich von Beruf Lehrer, als Partner in Richtung Gastronomie. „Meine erste gastronomische Erfahrung habe ich als Spüler während meiner Studentenzeit in der Schweiz gemacht“, erzählt Vitale und lacht. Anfang der 80er Jahre wollte er dann im ehemaligen Posthörnle etwas Besonderes verwirklichen: einen Treffpunkt für seine Landsleute schaffen und einen Ort der politischen Auseinandersetzung. „Wir hatten immer geöffnet“, sagt Vitale. Mit einer Ausnahme: drei Tage an Weihnachten, die der Familie gehörten.
„Ich war immer auf der anderen Seite der Barrikade“, umschreibt Vitale seine politische Position und seine Aktivitäten. Zum Beispiel für das Komitee für Grundrechte und Demokratie, eine Bürgerrechtsorganisation, oder das Movimento 5 Stelle, die Fünf-Sterne-Bewegung seines Landsmanns Beppo Grillo. Immer wieder wurde das Nebenzimmer in dem rustikalen holzvertäfelten Lokal zum Schauplatz leidenschaftlicher Diskussionen über politische und soziale Probleme und Missstände in der Welt. Flüchtlinge der Balkan-Kriege trafen sich hier ebenso wie Migranten aus Eritrea. „Jeder ist bei uns willkommen“, sagt Vitale. Unter einer Bedingung: Er erwarte von seinen Gästen, dass sie sich „seriös, tolerant und respektvoll verhalten“.
Die Brauerei Dinkelacker hat den Wirten gekündigt
Dass es im Lokal 1984 gerade am 25. April gebrannt hat, hält er für keinen Zufall: „Das ist der Tag der Befreiung Italiens vom Faschismus.“ Vitale vermutet Brandstiftung – durch Leute, die er nicht zu den erwünschten toleranten, seriösen und respektvollen Gästen zählen würde. Den Brand hat das Lokal überstanden, genauso wie den jahrelangen Lärm von der Baustelle nebenan, von der sich nur treue Gäste nicht haben vertreiben lassen. Jetzt aber ist Feuer unterm Dach, vor dem es keine Rettung gibt: Die Brauerei Dinkelacker kündigte den Wirten.
Kurz vor Weihnachten kam der Brief, der die Freude zum Fest gründlich verdarb: Man sehe für das Lokal unter Beibehaltung des jetzigen Konzepts leider keine Perspektive mehr am Standort Rotebühlplatz, hieß es laut Vitale in dem Schreiben. Man wolle daher ein neues Konzept verwirklichen.
Es ist das alte Problem: Die Gäste haben zu wenig Bier getrunken. Von der vereinbarten Abnahmemenge von 80 Hektolitern fehlten zuletzt 46,9 Hektoliter, sagt Vitale. Da, wie oft in Verträgen mit Brauereien vereinbart, ein Teil des Mietzinses durch Biervergütung getilgt werden sollte, habe sich ein Fehlbetrag von fast 2000 Euro ergeben. Vitale zuckt mit den Schultern: „Was sollte ich machen?“ Trinkt Gast Thomas Schuldes hier auch mal Bier? „Ja“, sagt er, zur Pizza. Das passe gut zusammen, meint auch Vitale, beides sei aus Weizen. Aber es genüge halt nicht.
Im Kollektiv soll es weitergehen
Wie geht es weiter? Statt sich in den Ruhestand zu verabschieden, verfolgt Vitale mit Simula eine Idee: „Wir wollen ein Kollektiv verwirklichen, ein Lokal, an dem alle gleichberechtigt mitmachen.“ Ein Objekt, sogar in der Nachbarschaft, sei schon im Visier, Gespräche mit der Stadt fanden bereits statt.
So oder so: Vitale hat in der Stuttgarter Gastroszene längst Spuren hinterlassen, und darauf ist er ein bisschen stolz: In der Stadt und drum herum treffe er häufig Kollegen, die einst bei ihm gearbeitet haben. „Ableger von meiner Rippe“, sagt der moderne Adam und lacht.
Das Locanda No. 1 am Rotebühlplatz 33 in Stuttgart hat noch bis 30. Juni geöffnet – montags bis freitags von 11.30 bis 14.30 Uhr und von 17.30 bis 1 Uhr. Am Wochenende von 17.30 bis 1 Uhr. Reservierungen unter Telefon 61 71 85.