Sandra Hoffmann gibt Einblicke, wie ihr Roman entstanden ist. Foto: Martin Bernklau

Sandra Hoffmann liest im Literaturhaus aus ihrem neuen Roman und lässt in ihre Schreibwerkstatt blicken.

S-Mitte - Sandra Hoffmann hat gute Kritiken bekommen für ihren Roman „Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist“ – und den Thaddäus-Troll-Preis. Am Montagabend war die Tübinger Schriftstellerin in der Reihe RadioArt zu Gast bei Katharina Borchardt im Literaturhaus. Sie las zwei längere Passagen aus dem Buch. Und sie gab dem Publikum im fast voll besetzten Saal auch sehr freimütige Einblicke in die Entstehung des Romans, das Finden des Stoffes und den Vorgang des Schreibens – ihres Schreibens. Keine Geheimnistuerei um eine schriftstellerische Zauberküche, keine Künstlermystifikation, sondern offene Worte. Aber auch Staunen.

In ihrem vierten Buch hat die Autorin für eine schwere, eher dunkle Geschichte eine geradezu glückliche Erzählperspektive gefunden. Es ist die eines Mannes, nebenbei. Janek Bilinski liegt im Sterben. Noch hat der Todeskampf nicht begonnen. Er ist Gast in einem Hospiz und wird begleitet von seiner resoluten „kleinen Schwester“ Marita, die Medizin studiert und Sitzwache bei ihm hält. Ihr erzählt er, mit allen Brüchen, Sprüngen, allen Gedanken und Gefühlen dieses inneren Monologs aus seinem Leben.

Den fehlenden Großvater literarisch erschaffen

Es ist das Schicksal eines jungen Polen, der von den deutschen Eroberern zur Zwangsarbeit in ein oberschwäbisches Dorf verschleppt wird. Ihm widerfährt dort – wie vielleicht seinem Schicksalsgenossen – eine verbotene Liebesgeschichte. Der Freund bezahlt seine Affäre mit dem Leben. Janek hingegen hält die seine am Leben. Vielleicht ist dieser Liebe zu Paula sogar eine Tochter entsprungen, Hannah, wer weiß. Sandra Hoffmann ist die Kriegsgeschichte der oberschwäbischen Zwangsarbeiter bei einer Ausstellung in Biberach begegnet. Sie ist aber auch als ungelöstes Rätsel Teil ihrer Familiengeschichte. Ihre wirkliche Mutter rief man im Dorf das „Polackenkind“. Die Großmutter schwieg eisern über den Vater, den Großvater, und nahm seinen Namen mit ins Grab. Mit Janek Bilinski hat sich Sandra Hoffmann nun diesen Großvater geschaffen, „die familiäre Lücke gefüllt“, wie sie auf die Frage von Katharina Borchardt antwortete.

„Ich wollte einen Menschen erzählen“, sagt die Autorin. „Menschen lebendig machen – das ist Schreiben.“ Und sie staunt immer noch über dieses Erschaffen von Figuren: „Ich finde es jetzt seltsam, dass es Janek Bilinski nicht gibt.“ Einiges Autobiografische ist eingeflossen in diese Figur, ein altes Pflanzenlexikon etwa, mit dem Sandra Hoffmann gelebt hat wie ihre Hauptperson; oder ein Spaziergang mit dem schwerkranken Dichter Peter Rühmkorf durch Tübinger Weinberge.

Die ersten beiden Versionen wurden verworfen

Zwei Fassungen des Stoffs hat sie verworfen, bevor ihr dieser Roman gelang. Im ersten Entwurf erzählte Hannah die Geschichte, im zweiten war eine dritte Zeit- und Erzählebene eingezogen. Das war nichts. „Ich schreibe, um eine Figur zu verstehen“, sagt Sandra Hoffmann. Das große Tableau liegt ihr weniger. „Panoramaroman, das kann ich nicht“, räumt sie unumwunden ein. Mit dieser leisen, an feinen Beobachtungen und Details so reichen Erzählung über Janek Bilinski ist ihr ein Roman gelungen, der die alte, immer noch nicht vergangene Geschichte noch einmal aufnimmt und nebenbei ganz feinfühlig das große Thema des Sterbens aufgreift, in einer leisen und genauen, klangintensiven und sorgfältig rhythmisierten Sprache, die nie zu dick aufträgt, raunt oder dröhnt. Das Publikum zeigte sich beeindruckt