Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt am Stuttgarter Marktplatz. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die richtige Antwort auf die Terroranschläge von Paris ist: Lebensart bewahren. Auch in Stuttgart. Das Wochenende bietet dazu viel Gelegenheit.

Stuttgart - Ein Wochenende wie viele andere: Stuttgart verwandelt sich in ein großes Wimmelbild. Die Menschen zeigen sich – Einheimische, Reingschmeckte, Türken, Italiener, Griechen, Stuttgarter halt. Sie leben ihre Stadt. Dazu kommen diejenigen mit Doppelkennzeichen: Ludwigsburger, Böblinger, Esslinger, Göppinger . . . Wie jedes Wochenende gehen sie in Stuttgart ein und abends aus. Weihnachten naht. Viele werden Einkäufe erledigen – zur Freude der großen Kaufhäuser und der kleinen Händler. Und dann gibt’s noch die Flaneure. Am Schlossplatz, im Bohnenviertel, am Karlsplatz. Abschrecken lassen sie sich höchstens vom Wetter.

Ein Wochenende wie viele andere. Der VfB Stuttgart wird getreu seinem Motto „furchtlos und treu“ erneut versuchen, einen Weg aus der sportlichen Krise zu finden – diesmal im Spiel mit den schwäbischen Verwandten aus Augsburg. Und 56 000 Zuschauer in der Mercedes-Benz-Arena werden ihm mehrheitlich die Daumen drücken. Andrang wird hoffentlich auch in der Schleyerhalle herrschen – beim Internationalen Reitturnier und bei der "Jungen Nacht" in der Staatsgalerie. Ebenso in der Wilhelma und bei der Ausstellung über Herzog Christoph im Alten Schloss und in der Liederhalle, wo Fat Freddy’s Drop auftreten, eine Band aus Neuseeland, die pure Lebensfreude versprüht.

Ein Wochenende wie viele andere: pralles Stadtleben, volles Programm. Und doch beginnt es unter anderen Vorzeichen. Die Terrorbilder von Paris sind noch allgegenwärtig. Auch die gespenstischen Szenen aus Hannover rund um das abgesagte Fußball-Länderspiel. Seitdem ist jedem die eigene Verletzlichkeit bewusst. Das macht viele Menschen ängstlich. Angst ist und bleibt jedoch ein schlechter Ratgeber. „Die Terroristen wollen erreichen, dass wir uns nicht mehr normal bewegen“, sagte Oberbürgermeister Fritz Kuhn im Interview. „Diesen Triumph dürfen wir ihnen nicht gönnen.“

Stuttgart hat die ganz normalen Wochenenden - voller Leben

Deshalb ist es so wichtig, dass sich dieses Wochenende nicht von anderen unterscheidet. Man kann nicht so tun, als sei nichts passiert, aber gerade, weil etwas passiert ist, kommt der Normalität besondere Bedeutung zu. Genauso wichtig ist es, an dem Grundsatz festzuhalten, der Stuttgart als intakte Stadtgesellschaft erscheinen lässt: der aktiven Integration von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Seit den Zeiten von Manfred Rommel orientiert sich die Stadt an diesem Prinzip. „Integration ist auch ein Sicherheitskonzept“, sagt das heutige Stadtoberhaupt Fritz Kuhn. Sie wirkt der Radikalisierung entgegen. Damit hat er recht. Dass angesichts der Ereignisse von Paris darüber hinaus das polizeiliche Sicherheitskonzept überprüft werden muss, ist selbstverständlich, denn eine freie Gesellschaft ist keine wehrlose Gesellschaft.

Das französische Satireblatt „Charlie Hebdo“, im Januar selbst Zielscheibe islamistischen Terrors, reagierte auf die jüngsten Anschläge mit dem trotzig sarkastischen Spruch: „Sie haben die Waffen . . ., wir haben den Champagner.“ Ein Ausdruck unbezwingbarer Lebensart. So etwas gibt es auch in Stuttgart. Übersetzt hieße das: Sie haben die Waffen . . ., wir haben die Linsen und Spätzle, aber auch den Kebab und die Pizza und den VfB sowieso und die Besenwirtschaften und das Viertele und den Hip-Hop und das weltberühmte Ballett und die württembergische Geschichte und vom nächsten Mittwoch an auch wieder einen der schönsten Weihnachtsmärkte weit und breit. Und wir haben die ganz normalen Wochenenden. Voller Leben.

j.sellner@stn.zgs.de