Griechenland wählt ein Parlament – und keiner weiß, wie es weitergeht. Syriza-Chef Alexander Tsipras hat den Sieg keineswegs sicher.
Athen - Viele Griechen sind es einfach leid. Sie haben genug davon, die Unzulänglichkeiten der Politik in immer kürzeren Abständen an der Wahlurne entweder zu legitimieren oder zu bestrafen. Zum dritten Mal werden sie nun schon in diesem Jahr aufgefordert, ihr Kreuzchen zu machen: zweimal bei einer richtungweisenden Parlamentswahl, einmal bei einem historischen Euro-Referendum mit klarem Ausgang bei umso unklarerer Fragestellung.
Viel Herzblut und wenig Besserung: Die Lage in Athen ist verfahren. Die Neuen um Ex-Premier Alexis Tsipras haben in vielen Punkten bewiesen, dass sie längst wie die Alten sind. Leidend an Selbstüberschätzung, scheiternd an eigener Unzulänglichkeit. So unberechenbar wie unglaubwürdig. Die Alten dagegen haben bisher nicht überzeugend nachgewiesen, dass sie noch lange nicht für das Neue stehen. Verwurzelt in überkommenen Strukturen, noch immer mit dem anerzogenen Drang zu Trögen der Macht.
Wem soll, wem kann Griechenland noch vertrauen? Wo sie weiter unter selbst eingebrockten Kapitalverkehrskontrollen und eingeschränkten Bargeld-Auszahlungen leiden? Dem smarten Wortbrecher Tsipras und seinem unentschlossenen Syriza-Rest? Dem eloquenten Verführer Evangelos Meimarakis und seiner wendehälsischen konservativen Nea Dimokratia? Dem antieuropäischen ultralinken Syriza-Abspalter um Ex-Energieminister Panagiotis Lafazanis? Der noch immer lethargischen sozialdemokratischen Pasok unter Fofi Gennimata? Dem flexibel reformorientierten, aber profillosen Koalitionsandiener To Potami? Dem an der Seite Syrizas demaskierten rechtspopulistischen Regierungswinzling Anel um Deutschland-Hasser Panos Kammenos? Der zersplitterten Anti-Korruptions-Partei Enosi Kentroon? Den radikaloppositionellen Kommunisten? Oder doch gleich der neofaschistischen, fremdenfeindlichen Morgenröte, bei der ein Teil des Führungspersonals nach wie vor in Untersuchungshaft sitzt?
Kopf-an-Kopf-Rennen deutet sich an
Die Griechen sind da nicht zu beneiden. Umfragen deuten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Konservativen und Syriza an, was für Tsipras schon jetzt einen empfindlichen Rückschlag bedeutet und für die Nea Dimokratia (ND) in Sachen politischer Rehabilitation zu viel des Guten ist. Am Ende könnten trotz der Drei-Prozent-Hürde statt bisher sieben sogar neun Parteien im Parlament sitzen. Was würde das dann für den weiteren Weg des Landes bedeuten? Sicherlich eine neue Koalitionsregierung, die von ein oder mehreren Kleinparteien diffus beeinflusst werden dürfte. Wahrscheinlich keine, zudem bisher unerprobte, große Koalition von ND und Syriza, erst recht, wenn die Neofaschisten – nicht auszuschließen – drittstärkste Kraft würden und dann offiziell Oppositionsführer wären, mit gesetzlich festgelegter herausragender institutioneller Bedeutung. Das wäre nach innen und nach außen eine Konstellation, die die große Mehrheit der Griechen selbst parteiübergreifend für unerträglich hält.
Und Europa? Schaut nur noch mit gezügeltem Interesse nach Athen. Dabei war die drohende Pleite Griechenlands (an deren Ursachen sich bisher kaum etwas zum Besseren geändert hat) noch vor wenigen Monaten unisono als eine europäische Schicksalsfrage eingestuft worden. Jetzt gibt es die Flüchtlingsströme, und die Wahl an diesem Sonntag rückt in den Hintergrund. Wie der Ukraine-Konflikt, der – es ist nicht sehr lange her – von interessierter Seite als Vorstufe zum Dritten Weltkrieg gewertet wurde.
Wird sich Griechenland nun verstärkt aus eigener Kraft, eigener Einsicht stabilisieren können? Die Hellenen sind skeptisch. Und so ist dieser Wahlgang, unabhängig vom Ausgang, vor allem eines: das Ende einer großen Illusion.
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