Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul setzt auf eine duale Karriere. Foto: dpa/Michael Kappeler

Duale Karriere oder Vollprofisport? Nur Müsliriegel oder fragwürdige Infusionen? Die Leichtathletik-WM hat gezeigt, dass beides zum Erfolg führen kann. Doch nur dann, wenn man kein Läufer ist.

Doha - Die letzte Goldmedaille ist längst vergeben, als sich die katarischen Gastgeber zum letzten Mal von ihren gepolsterten Sesseln auf der Ehrentribüne des Khalifa-Stadions erheben. Sie postieren für ein Erinnerungsgruppenfoto, in der vorderen Reihe die Männer in ihren weißen Gewändern, dahinter ihre Frauen ganz in Schwarz. Dann ist sie endgültig vorüber, diese in vielerlei Hinsicht denkwürdige Leichtathletik-WM in Doha.

Die letzten Athleten bereiten ihren Heimflug vor, die meisten anderen der knapp 2000 Teilnehmer haben das Land schon verlassen. 49 Weltmeister sind gekürt worden, darunter zwei deutsche: der Zehnkämpfer Niklas Kaul und die Weitspringerin Malaika Mihambo, die mit ihrem famosen 7,30-Meter-Satz am Abschlussabend für einen der Höhepunkte der WM gesorgt hatte. Vier Bronzemedaillen komplettieren die Bilanz deutscher Athleten – und verdeutlichen zehn Monate vor Olympia in Tokio: So unterschiedlich die Disziplinen, so unterschiedlich auch die Wege, um in die Weltspitze zu kommen.

Der König der Athleten ist auch Student

Niklas Kaul, der König der Athleten, pendelt in Mainz täglich zwischen Trainingsplatz und Hörsaal, wird von seinen Eltern trainiert und könnte sich nicht vorstellen, sein Leben allein dem Sport zu verschreiben. Auch Überfliegerin Malaika Mihambo studiert nebenher, meditiert täglich und kümmert sich zudem um sozial benachteiligte Jugendliche in Mannheim. Seit Jahren war die neue Weltmeisterin nicht mehr im Trainingslager und vertraut bei ihrem Dorfverein im badischen Oftersheim seit der Jugend dem ehrenamtlichen Coach Ralf Weber.

Dicht gedrängt auch der Zeitplan der lebenslustigen Christina Schwanitz, die in Chemnitz nicht nur Gewichte stemmt und Eisenkugeln durch die Gegend wirft, sondern auch Mutter eines zwei Jahre alten Zwillingspärchens ist und Sozialarbeit studiert. Kraftprotz Johannes Vetter, der wie Schwanitz zum WM-Abschluss Bronze gewann, bekommt vor allem von der Bundeswehr sein Geld und tüftelt in Offenburg mithilfe von Wissenschaft und Technik am perfekten Speerwurf.

Zwei kompromisslose Läuferinnen

Hindernisläuferin Gesa Krause und Mittelstrecklerin Konstanze Klosterhalfen, die verbleibenden deutschen Bronzemedaillengewinnerinnen von Doha, haben das Pech, ihren Disziplinen auf der Tartanbahn zu betreiben – dort also, wo die internationale Leistungsdichte am größten ist. Selbst 95-prozentige Hingabe zum Sport würde nicht ausreichen, um mit der Weltspitze aus Ostafrika mithalten zu können. Zu maximalem Einsatz sind die beiden Leichtgewichte aus Mittelhessen und dem Rhein-Sieg-Kreis bereit – kein anderer DLV-Athlet geht so kompromisslose und hochprofessionelle Wege.

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Fast keinen freien Tag gönnt sich Gesa Krause und verbringt fernab von Freund und Familie mehrere Monate im Jahr in weit entlegenen Höhentrainingslagern in Südafrika oder Colorado. Konstanze Klosterhalfen hat die Heimat im November sogar dauerhaft verlassen, um in den USA unter Bedingungen zu trainieren, wie sie in Deutschland nicht vorhanden sind.

Der Erfolg hat einen hohen Preis

Nicht allein in Bezug auf das Fehlen von Privatleben und Berufsausbildung sind beide bereit, für den Erfolg einen Preis zu bezahlen, der höher kaum sein könnte. Es ist kein Geheimnis, dass im Spitzenbereich des Laufens schon immer in medizinischen Graubereichen gearbeitet wurde, in denen die Grenzen des gerade noch Erlaubten maximal strapaziert werden. Krauses Coach Wolfgang Heinig hat sein Handwerk zu DDR-Zeiten an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig gelernt. Klosterhalfens inzwischen gesperrter Teamchef Alberto Salazar soll seine Athleten jahrelang als „Versuchstiere“ missbraucht haben, der Erfolg sei ihm wichtiger gewesen „als Gesundheit und Wohlbefinden der Sportler“, wie der US-Chef-Dopingjäger Travis Tygart nach jahrelangen Ermittlungen berichtete. Medaillen um den Preis der eigenen Gesundheit – es ist die größtmögliche Perversion des Sports.

„Das ist nicht meine Philosophie“, sagte in Doha Psychologie-Masterstudentin Hanna Klein von der SG Schorndorf – und nahm es in Kauf, über 5000 Meter eine Minute langsamer zu sein als Konstanze Klosterhalfen: „Ich mache zwar auch keinen Gesundheits-, sondern Leistungssport – ich will aber auch mit 50 oder 60 Jahren noch in der Lage sein, joggen zu können.“