Dämmerung über dem Acker: In Südbaden streiten sich die Bauern mit schweizer Kollegen Foto: dpa

Im deutsch-schweizer Grenzgebiet herrscht Zoff. Deutsche Landwirte beklagen sich, dass ihnen ihre Schweizer Kollegen die besten Äcker wegschnappen – und die deutsche Politik das seit Jahren einfach hinnimmt.

Tengen/Schaffhausen - Wenn Stefan Leichenauer Fremden seine Heimat zeigen will, fährt er mit ihnen auf einen kleinen Hügel hinter seinem Bauernhof. Meist gerät er dann gleich ins Schwärmen. „Dort drüben ist die wilde Wutachschlucht“, sagt er nach Norden blickend. „Und daneben liegen Engen, Tengen und Blumenfeld. Ganz malerische Örtchen“. So schön, dass sie sogar von Dichtern in Reimen beschrieben werden.

Beim Blick nach Süden fällt dem 36-jährigen Landwirt dagegen seit einiger Zeit nicht mehr viel ein. Da ist die Schweiz – und mit der haben die Bauern auf deutscher Seite gerade ihre liebe Not.

Wie eine Wunde, die nie richtig behandelt wurde und daher immer wieder aufplatzt, piesackt ein Grenzstreit mit den Eidgenossen die deutschen Landwirte im südlichsten Zipfel Baden-Württembergs. Vor Jahren hat alles mit einem einfachen Zollproblem angefangen. Mittlerweile hat sich die Sache zu einer handfesten Verstimmung in den – man möchte fast sagen – internationalen Beziehungen in diesem ebenso beschaulichen wie abgelegenen Flecken Erde ausgeweitet.

In seiner guten Stube holt sich Leichenauer erst einmal eine große Tasse Kaffee, bevor er zu erzählen beginnt. „Was die Schweizer Kollegen hier machen, geht einfach zu weit“, sagt der Bauer. Man habe ja lange zugeschaut und stillgehalten, aber irgendwann sei Schluss. Es reiche einfach. Mit unfairen gesetzlichen Bestimmungen im Rücken und prallen Portemonnaies würden Schweizer immer mehr Land in der Grenzregion kaufen oder pachten. Für die deutschen Landwirte würden die Äcker knapp. Und in einer Landwirtschaft, in der man die Wahl habe zu wachsen oder zu weichen, sei das existenzbedrohend.

4700 Hektar Land bewirtschaften Schweizer in Südbaden

Tatsächlich drängen immer mehr Schweizer Landwirte auf die deutsche Landesseite, um dort zu ackern, zu säen und zu ernten. In der bergigen Eidgenossenschaft sind gute Äcker Mangelware. Dank üppiger Staatsbeihilfen verdienen die Bauern aber gut, und seit der Franken gegenüber dem Euro auf Rekordniveau notiert, sind deutsche Äcker für sie zum Schnäppchenpreis erhältlich.

Nach Daten des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums hatten die Eidgenossen bis Ende 2014 knapp 1700 Hektar Flächen im Grenzgebiet gekauft. Damit besaßen sie knapp 2,5 Mal so viel Land wie noch zur Jahrtausendwende. Über Pachtverträge halten die Schweizer zusätzlich knapp 2900 Hektar – auch das entspricht einer deutlichen Zunahme von mehr als 50 Prozent. Nimmt man alles zusammen tuckern schweizer Traktoren auf deutscher Seite über eine Fläche, die hundertmal so groß ist wie die Blumeninsel Mainau. Tenzend: Steigend.

Die meisten Bauern auf badischer Seite empfinden diese Art der Landnahme als Zumutung, zumal nach Meinung vieler hier neben dem starken Franken eine seltsame Mischung aus politischer Ignoranz und Justiz-Irrsinn die Entwicklung in Gang gebracht hat. Sogar Kritiker wie Leichenauer erkennen allerdings an, dass es für die eidgenössischen Kollegen aus wirtschaftlichen Gründen fahrlässig wäre, sich nicht im badischen einzukaufen. „Ich verstehe die Schweizer Kollegen schon“, sagt er. „So geht es aber dennoch nicht weiter.“ Allein ihm hätte man in den letzten Jahren 12 Hektar Ackerland vor der Nase weggeschnappt.

Dass Schweizer in Deutschland überhaupt Flächen erwerben oder pachten können, ermöglicht ein Freizügigkeitsabkommen aus dem Jahr 2002. Ein aus den späten 1950er Jahren datierendes Grenzabkommen erlaubt es den Eidgenossen zudem, landwirtschaftliche Produkte, die auf deutscher Seite erzeugt wurden, zollfrei ins Heimatland einzuführen und dort zu den hohen Schweizer Preisen zu verkaufen. Deutsche Bauern genießen diese Privilegien nicht.

Eidgenossen werden durch Steuerprivilegien nach Deutschland gelockt

Zu dem Zollthema, das in ähnlicher Weise auch für Zoff mit österreichischen und französischen Bauern in Vorarlberg, in Savoyen und im Jura sorgt, kommt eine weitere politische Dreingabe. Obwohl die Schweiz nicht Teil der europäischen Union ist, profitieren ihre Bauern genau wie die EU-Landwirte von den Milliardenschweren Agrar-Subventionen, mit denen die Gemeinschaft jedes Jahr ihre Landwirte alimentiert. Wie jeder deutsche Bauer auch erhalten sie gut 300 Euro pro Hektar und Jahr von der EU, wenn sie auf deutscher Seite pflügen. Doch während für die Deutschen das Geld nur fließt, wenn sie sich an einen ganzen Satz von Vorschriften halten – vom korrekten Sitz der Ohrmarke beim Rindvieh bis zur akkuraten Lagerung von Düngemitteln – kommen die Schweizer besser weg. Was auf ihren Höfen passiert, kann die EU gar nicht kontrollieren. „Kein Zutritt“, sagt der Schweizer Staat.

An dem Problem, das die gegenseitigen Beziehungen im Grenzgebiet mancherorten ebenso belastet, wie der Streit um den Fluglärm des Züricher Flughafens oder die Diskussion um ein Atom-Endmülllager in Grenznähe, haben sich Generationen von Landespolitikern die Zähne ausgebissen. Im Jahr 2009 ging der damalige Landes-Agrarminister Peter Hauk (CDU) ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe harsch an und beteuerte, die darin geforderte nahezu komplette Gleichbehandlung von deutschen und Schweizer Landwirten beim grenznahen Landkauf „nur mit Zähneknirschen“ umsetzen zu wollen. Und auch die amtierende grün-rote Landesregierung geht gern mit der Forderung hausieren, die Bauern „gegen derartige Wettbewerbsverzerrungen zu schützen“. Einzig: Alle Gesetze und Initiativen auf Landesebene sind kläglich gescheitert – entweder am Eigeninteresse der Eidgenossen, der Rechtsauffassung von EU-Gerichten oder an Berliner Regierungspolitik.

Schweizer Amts-Chef: Kein Bedürfnis, Thema aufzurollen

In seinem Büro erklärt Markus Leumann die Schweizer Sicht der Dinge. Leumann ist Chef des Landwirtschaftsamts im Kanton Schaffhausen. Aus ihm stammen mit Abstand die meisten in Deutschland ackernden Auslands-Bauern im Grenzgebiet. Er verstehe durchaus die Bedenken der Nachbarn, sagt er. Tatsächlich sei die aktuelle Situation „etwas marktverzerrend“. Allerdings bewirtschafteten die Schweizer schon seit Generationen Äcker jenseits des Rheins. Von einer Invasion zu reden, sei schlicht abwegig. Darüber hinaus bestehe von Schweizer Seite gerade „kein Bedürfnis“, das Thema aufzurollen. Das müsse schon von den Deutschen kommen, und die hätten Streitpunkte wie die Problematik mit der zollfreien Einfuhr, „bislang einfach noch nicht so genau adressiert“. Offenbar mangele es der Landesregierung an Unterstützung aus Berlin. Eine Einschätzung die auch mancher Beobachter in Baden-Württemberg teilt. „Von der Hauptstadt aus betrachtet, ist der Grenzstreit weit weg“, sagt einer.

Für Bauer Leichenauer ist das kein wirklicher Trost. Von der Politik fühlen sich er und seine Kollegen auf deutscher Seite allein gelassen. Immerhin hat sich sein Verhältnis zu den Eidgenossen entspannt. Als der Konflikt sich nach dem umstrittenen Grenzabkommen Anfang der 2000er Jahre erstmals entzündete, bekam er wegen seiner Schweiz-Kritik Morddrohungen. Seine Scheune wurde mehrfach mit Hass-Parolen beschmiert und einmal waren an seinem Auto – Zufall oder nicht – vier Radmuttern lose. Heute sei zumindest das anders, sagt er. Jüngst habe er mit einem schweizer Kollegen eine Stunde lang über die Probleme diskutiert, sagt er. „Ganz friedlich.“