Auch das Haus Burghalde in Sindelfingen steht wohl vor einem radikalen Umbau. Rund 150 Menschen leben in 131 Einzel- und zwölf Doppelzimmern. Foto: factum/Granville

Eine neue Verordnung könnte landesweit 15.000 Plätze in Pflegeheimen kosten. Das Haus Burghalde in Sindelfingen beispielsweise steht vor einem radikalen Umbau.

Böblingen - Der Notruf war keineswegs der erste, der ungehört verhallte. Er stammte von Michael Steindörfner, dem Präsidenten des DRK im Landkreis Böblingen: „Es darf nicht so weit kommen, dass sich nur noch finanziell gut gestellte Menschen einen Heimplatz leisten können.“ Das Rote Kreuz betreibt elf von 66 Pflegeheimen im Kreis. Eines davon müsse womöglich geschlossen werden, mahnte Steindörfner. Die anderen müssen in noch unbekanntem Ausmaß umgebaut werden.

Der Adressat ist die Landesregierung. Die hatte 2009 – damals noch in einer CDU-FDP-Koalition – die Landesheimbauverordnung beschlossen, ein Sammelsurium von Vorschriften für Heime. Im nächsten September enden zehn Jahre Schonfrist für deren Betreiber. Danach ist das Regelwerk bindend, denn auch die grün geführte Landesregierung beharrt darauf. Es ist keineswegs nur Steindörfner, der mahnt, danach werde eine neue Art des Pflegenotstands herrschen: kein Mangel an Pflegekräften, sondern an Pflegebetten.

Gemäß Hochrechnungen könnte die Verordnung um die 15.000 Pflegeplätze kosten

Von der Caritas bis zu den Stuttgarter Kliniken warnt jeder, dass sich eine Fehlentwicklung anbahne. „Manchmal sind wir der Verzweiflung nahe, das sind hanebüchene Vorstellungen“, sagt Manfred Schall von der Diakonie Württemberg, die 220 Heime betreibt. Die Verordnung schreibt Zimmer mit einer Mindestgröße von 14 statt bisher zwölf Quadratmeter vor. Die Größe der Wohngruppen, die Gemeinschaftsräume zusammen nutzen, sinkt auf 15 Personen. Bisher waren es bis zu 25. Doppelzimmer sind verboten. Für den Bau nach den alten Regeln zahlte das Land noch bis 2010 Fördergeld. Weshalb „man natürlich so gebaut hat und jetzt selbst neue Einrichtungen vor einem Problem stehen“, sagt Schall. „Manchmal sind Umbauten eben nicht möglich, man kann ja nicht alle Wände in einem Haus versetzen.“ Stand Ende 2017 hatten landesweit bereits 56 Heime schließen müssen.

Gemäß Hochrechnungen könnte die Verordnung um die 15.000 Pflegeplätze kosten. Der grüne Sozialminister Manfred Lucha hofft, dass im Gegenzug immer mehr Senioren häusliche oder ambulante Pflege in Anspruch nehmen. Ungeachtet dessen, dass dem allein der bundesweite Fachkräftemangel entgegensteht, beteuert Lucha, es seien „keine Engpässe bei der Versorgung mit Heimplätzen“ zu befürchten.

„50 Prozent der Plätze müssen wir erneuern“

Die weitere Entwicklung ist kaum vorherzusagen, denn in Härtefällen sind Ausnahmegenehmigungen möglich, und längst nicht alle Anträge sind bearbeitet. Auch Simone Eckstein wartet noch auf Antwort. Sie sitzt im Vorstand des Evangelischen Diakonievereins Sindelfingen, der vier Heime in der Stadt betreibt. Davon steht mindestens das Haus Burghalde vor einem radikalen Umbau. Rund 150 Menschen leben in seinen 131 Einzel- und zwölf Doppelzimmern. 2008 wurde im Haus ein Kindergarten eröffnet, im Garten leben Tiere. Die Qualitätsprüfer der Krankenversicherer bewerten das Heim mit einer Note von 1,1.

„50 Prozent der Plätze müssen wir erneuern“, sagt Eckstein. Weil dies im laufenden Betrieb unmöglich ist, muss zunächst ein Ausweichbau errichtet werden. Allein dafür sind zwölf Millionen Euro kalkuliert. „Das müssen wir uns leisten können“, sagt Eckstein, „wir haben eine Verantwortung.“ Ob der christliche Verein weitere Ausgaben wird stemmen müssen, ist offen. Ausnahmeanträge für die anderen drei Heime sind noch unbearbeitet.

Mathematisch hat der Kreis Böblingen die Folgen der Verordnung gewissenhaft erfasst. Hochgerechnet werden im Jahr 2020 kreisweit 717 Pflegeplätze fehlen – mindestens. Unbekannt sei hingegen, wie viele Heime schließen müssen und wie viele Plätze deshalb entfallen, teilt das Landratsamt mit. Die Behörde ist verpflichtet, die Einhaltung der Regeln zu überwachen, und versichert, sie großzügig auszulegen. Ungeachtet dessen „ist das in allen Ballungsräumen so“, sagt Schall, der Diakonie-Sprecher. „In ländlichen Gebieten mag es freie Plätze geben, aber Leute aus Stuttgart können ja nicht einfach in den Schwarzwald ziehen.“ Jedenfalls nicht im pflegebedürftigen Zustand. Hinzu kommen höhere Kosten, um die Investitionen zu refinanzieren. Selbst die Landesregierung rechnet damit, dass die Zimmerpreise um bis zu 300 Euro pro Monat steigen werden.