Politik des Zuhörens: Schmiedel, Stoch und Kretschmann am Samstag in Stuttgart Foto: dpa

Die Landesregierung setzt auf Diskussionen mit den Beteiligten: Erst mnit den Lehrern, später auch mit Eltern und Schülern. Gegenüber mehreren hundert Lehrern hat Grün-Rot seine umstrittene Bildungspolitik verteidigt.

Die Landesregierung setzt auf Diskussionen mit den Beteiligten: Erst mnit den Lehrern, später auch mit Eltern und Schülern. Gegenüber mehreren hundert Lehrern hat Grün-Rot seine umstrittene Bildungspolitik verteidigt.

Stuttgart - Der Saal füllt sich schnell. Mehr als 400 Lehrer aus dem ganzen Land sind am Samstagmorgen nach Stuttgart angereist, um mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusminister Andreas Stoch (SPD) über die Bildungspolitik zu diskutieren. Gemeinsam gute Schule machen – wie soll das gehen, wenn die Landesregierung immer neue Baustellen eröffnet und gleichzeitig Stellen abbauen will?

Dass der Unmut unter Lehrern und Eltern groß ist, bekommen die beiden Politiker immer wieder zu spüren, in Umfragen schneidet die Bildungspolitik regelmäßig schlecht ab. Zu Unrecht, meinen Kretschmann und Stoch. Um Ziele und Taten deutlich zu machen, haben sie Lehrer aller Schularten zum Gespräch eingeladen – „Politik des Gehört-Werdens“, betont Kretschmann. Pfiffe und Buhrufe, wie er sie vor zwei Jahren beim Beamtenbund geerntet hat, bleiben aus, nicht aber kritische Fragen. Etwa nach den Bildungsausgaben.

Grün-Rot investiere 1,2 Milliarden Euro, etwa zehn Prozent, mehr in die Bildung als die Vorgängerregierung, sagt der Regierungschef. Für Krankheitsvertreter und Schulsozialarbeiter, aber auch, um kleine Grundschulen zu erhalten und Ganztagsschulen auszubauen. Angesichts sinkender Schülerzahlen und der Verpflichtung, ab 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen, müssten aber auch Lehrerstellen gestrichen werden. Der Abbau werde aber geringer ausfallen als geplant, kündigt er an. Weil die Schülerzahl höher ist als 2010 prognostiziert, würden etwa 3000 Stellen, die wegfallen sollten, im System bleiben. Vor zwei Jahren hatte Grün-Rot beschlossen, bis 2020 rund 11 600 Lehrerstellen zu streichen.

Das Motto „viel hilft viel“ gelte nicht überall, sagt Kretschmann und spielt den Ball an die Lehrer zurück: „Die wichtigsten Garanten von Qualität sind Sie.“ In Wirtschaft und Gesellschaft werde ihre Arbeit immer mehr anerkannt. Während es früher bei Besuchen in Gemeinden fast nur um das Thema Straßenbau gegangen sei, stehe jetzt die Bildung im Mittelpunkt.

Vielen geht es zu schnell mit den Veränderungen. Auch er hätte bei vielem gern mehr Zeit, sagt Kultusminister Stoch. Aber die Vorgängerregierung habe Themen wie den Schülerrückgang ignoriert. Auch dürfe der Bildungserfolg nicht länger von der sozialen Herkunft abhängen, alle Kinder müssten ihr Potenzial entwickeln können. Deshalb setze man auf die Gemeinschaftsschule.

Warum aber bleibt das Gymnasium?, will eine Lehrerin wissen. „Die Deutschen lieben ihr Gymnasium. Wer sich daran vergreift, überlebt das politisch nicht“, sagt Kretschmann und verweist auf Hamburg. Dort wurde die Verlängerung der Grundschule per Volksentscheid gestoppt, wenig später die schwarz-grüne Regierung abgewählt. Deshalb will er für Baden-Württemberg ein Zweisäulenmodell mit Gymnasium und einer integrativen Schule, die Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen individuell fördere und den bestmöglichen Abschluss ermöglicht – auch das Abitur.

Wie er sich individuelle Förderung denn vorstelle, wenn Lehrer bis zu 300 Schüler pro Woche unterrichten, hakt ein Gymnasiallehrer nach. Auch Gymnasiallehrer Kretschmann hat in seiner Lehrerausbildung nicht gelernt, Schüler gezielt zu unterstützen, macht aber deutlich, dass er das heutzutage für unverzichtbar hält. „Dass ich im Physikunterricht allen Schülern dieselben Hausaufgaben gegeben habe, ist mir immer noch peinlich“, sagt er – die einen seien damit nie fertig geworden, andere hätten sie in drei Minuten erledigt. Seine Botschaft: Wer allen das Gleiche vorsetzt, wird weder den schwachen noch den starken Schülern gerecht. Auch die Gymnasien müssten sich der Vielfalt stellen. „Und wo bleiben wir“, fragt ein Kollege von einer beruflichen Schule. „Immer der gleiche Vorwurf, immer gleich unberechtigt“, kontert der Kultusminister. Es nerve ihn, dass Verbesserungen einfach nicht zur Kenntnis genommen würden – die beruflichen Schulen hätten durch zusätzliche Lehrer nicht nur ihren Unterrichtsausfall halbiert, sondern auch 150 zusätzliche Klassen an den beruflichen Gymnasien einrichten können.

Auch die Forderung, an weiterführenden Schulen nur Kinder zuzulassen, die auch die jeweiligen Abschlüsse erreichen könnten, weist Stoch zurück. „Damit wären Kinder mit geistigen Behinderungen von der Inklusion ausgeschlossen.“

Der Weg nach Stuttgart habe sich gelohnt, meint eine Mannheimerin. Auch ein südbadischer Kollege ist überrascht über die „Offenheit und Klarheit“. Die Politiker hätten auf Floskeln verzichtet und sich auch um schwierige Fragen nicht gedrückt.