Veränderte Streckenplanung bei Emanuel Buchmann: Giro statt Tour! Foto: imago//Vincent Kalut

Warum der Kapitän des deutschen Radrennstalls Bora-hansgrohe sein Ziel, in Paris auf dem Podium zu stehen, vorübergehend links liegen lässt – und stattdessen in diesem Jahr lieber beim Giro d’Italia startet.

Stuttgart - Liebhaber des ultimativen Radsport-Spektakels sollten sich den 7. Juli im Kalender schon mal dick rot anstreichen. Dann gastiert die Tour de France in der Provence, und auf die Profis wartet eine ganz besondere Herausforderung. Die Strecke der elften Etappe führt gleich zweimal über den legendären Mont Ventoux, unter Pedaleuren wahlweise als „Der weiße Riese“ oder „Der steinerne Gigant“ bekannt. Was nur beweist: An Höchstschwierigkeiten wird es auch der 108. Frankreich-Rundfahrt nicht fehlen. Trotzdem verzichtet Emanuel Buchmann diesmal auf einen Start. Ihm ist das Profil nicht schwierig genug.

Auf den ersten Blick passen die Tour und Buchmann perfekt zusammen. Hier das wichtigste Rennen des Jahres, dort der stärkste deutsche Rundfahrer, der vom Podest in Paris träumt. Daran hat sich nichts geändert, sehr wohl aber an seinem Zeitplan. Denn 2021 setzt der Kapitän des Teams Bora-hansgrohe andere Prioritäten – aus seiner Sicht notgedrungen. „Die Strecke“, sagt er, „ist nicht wirklich für mich gemacht.“

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Zu viele Flachetappen, zu viele windanfällige Abschnitte, zu viele Zeitfahrkilometer: das alles passt nicht zu Leichtgewicht Buchmann (1,81 m/59 kg). Zumal es andererseits nicht genügend Bergankünfte gibt, um etwaige Zeitverluste wieder ausgleichen zu können. Deshalb baut der Rennstall aus Raubling bei der Tour diesmal auf den niederländischen Neuzugang Wilco Kelderman (2020 Dritter beim Giro) sowie einen starken Sprinterzug, und zugleich erhält Buchmann für seinen ersten Start bei der Italien-Rundfahrt im Mai den klaren Auftrag, aufs Podest zu fahren. Passend zu den hohen Zielen, die der Boss Ralph Denk für die Saison ausgegeben hat: ein Sieg bei einem der fünf Monumente, ein Podiumsplatz bei einem der drei großen dreiwöchigen Etappenrennen, Platz eins in der Weltrangliste der Teams. Hört sich ambitioniert an? Ist es auch! Das zeigt schon das Beispiel Buchmann.

Harte Konkurrenz für den Bora-Kapitän

Der 28-Jährige, der an diesem Sonntag bei der einwöchigen UAE-Tour in den Vereinigten Arabischen Emiraten in die Saison starten wird, ist fit. Die Folgen des Sturzes Anfang August bei der Dauphine-Rundfahrt, die ihn eine gute Platzierung bei der folgenden Tour und die komplette Coronasaison gekostet haben, sind ausgestanden – zumindest körperlich. Mental beschäftigt das verkorkste Jahr 2020 ihn immer noch. „Ich hatte damals eine super Vorbereitung, ohne Fehler“, sagt er, „und dann habe ich gemerkt, wie schnell alles dahin sein kann.“ Folglich hat der Mann aus Ravensburg Nachholbedarf. Doch damit ist er nicht alleine.

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Auch der Kolumbianer Egan Bernal (Sieger 2019) und der Franzose Thibaut Pinot (Dritter 2014) enttäuschten bei der Tour de France vor einem halben Jahr, sie richten den Fokus in der neuen Saison ebenfalls auf den Giro d’Italia. Dazu kommt der Italiener Vincenzo Nibali – und womöglich auch noch der viermalige Tour-Gewinner Chris Froome, der das Rennen zwischen Turin und Mailand (8. bis 30, Mai) als Vorbereitung auf seine Rückkehr nach Frankreich nutzen könnte. Sie alle standen schon bei einer der drei großen Rundfahrten auf dem Podest, im Gegensatz zu Emanuel Buchmann. „Um unter die ersten drei zu kommen, muss natürlich auch beim Giro alles passen“, sagt er, „da stehen noch ein paar andere Gute am Start.“

Die Olympischen Spiele im Blick

Trotzdem verteidigt Enrico Poitschke, der Sportchef von Bora-hansgrohe, die ungewöhnliche Taktik des Teams, den stärksten deutschen Profi nicht zum wichtigsten Rennen mitzunehmen: „Die Tour ist diesmal in den Bergen nicht so schwer wie erhofft, der Giro ist anspruchsvoller. Das kommt Emanuel Buchmann entgegen, er hat in Italien die größeren Chancen, aufs Podium zu fahren.“ Und zudem eine weitere Option.

Kaum ein Profi, der bei der Tour bis zum Ende am 18. Juli in Paris dabei ist, wird nur sechs Tage später mit Ambitionen am Start des olympischen Straßenrennens in Tokio stehen können. Genau dies aber hat Buchmann vor. Der Kurs zum Ziel auf dem Fuji Speedway ist für Sprinter zu hart, ihm gefällt sie. „Die Olympischen Spiele“, erklärt er, „passen ganz gut rein.“ Sportlich. Aber auch terminlich. Eine Spitzenplatzierung beim Giro und eine Medaille in Japan wären genau die Erfolge, die Buchmann über die Enttäuschung hinweghelfen würden, die er bei der Streckenpräsentation der Tour 2021 verspürt hat. Bis dahin verschwendete er keinen Gedanken daran, womöglich die drei wichtigsten Wochen des Jahres nicht in Frankreich zu verbringen. „Das Ganze ist schon schade“, meint er nun, „schließlich ist und bleibt die Tour das größte Rennen.“

Auch für Emanuel Buchmann. Nur eben nicht in diesem Jahr.