Hat einen der anspruchsvollsten Jobs der Landesregierung: Kultusminister Andreas Stoch(SPD). Foto: dpa

Den ersten Wechsel in der grün-roten Landesregierung gab es zu Jahresbeginn – ausgerechnet im Kultusministerium, einer der größten Baustellen des Landes. Am Dienstag ist Kultusminister Andreas Stoch (SPD) seit 100 Tagen im Amt. Eine Zwischenbilanz.

Stuttgart - Kann der das überhaupt? Dass nach dem unfreiwilligen Rücktritt von Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) am 7. Januar erneut ein Jurist das gebeutelte Kultusministerium übernehmen sollte, kam bei vielen Lehrern und Eltern nicht gut an. Für die Bildungspolitik brauche es jetzt einen, der etwas von Schulen und von Pädagogik verstehe, meinten sie. Eine Sonderschullehrerin als Ehefrau und vier Kinder im Schulalter – und dazu noch an einer Waldorfschule – qualifizierten Andreas Stoch nicht automatisch für diese Aufgabe.

Auch in der Opposition, die Mitte Dezember im Landtag noch vergeblich die Entlassung der glücklosen Ministerin gefordert hatte, bedauerten manche hinter vorgehaltener Hand den Wechsel, weil sie ahnten, dass sie mit dem neuen Minister weniger leichtes Spiel haben würden als mit seiner Vorgängerin. In zwei Untersuchungsausschüssen – zum Wasserwerfereinsatz gegen Stuttgart 21-Gegner am schwarzen Donnerstag und zum EnBW-Aktienrückkauf – hatte sich der eher unauffällige Landtags- abgeordnete von der Ostalb nämlich immer gut vorbereitet und hartnäckig gezeigt.

Der Senkrechtstarter

Der gebürtige Heidenheimer ist ein Senkrechtstarter. 2009 rückte der Rechtsanwalt in den Landtag nach, weil sein Vorgänger krankheitshalber ausschied. Als nach der Landtagswahl 2011 der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Reinhold Gall, zum Innenminister berufen wurde, übernahm Stoch seine Aufgabe. Und wenige Stunden nach dem Rücktritt von Warminski-Leitheußer präsentierte ihn die SPD als Nachfolger. Manche meinen gar, er könnte eines Tages SPD-Landeschef Nils Schmid beerben.

Der Sportler

Offiziell steht Stoch an der Spitze des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport. In puncto Sport ist der 43-Jährige ein Mannschaftsspieler. Er liebt Fußball, Handball, Tennis und hat eine Lizenz als Basketballtrainer. Eben erst beglückte er die Kommunen mit 12,2 Millionen Euro für 82 Sportstättenprojekte – mit dem Geld sollen Hallen oder Plätze gebaut oder saniert werden.

Doch sein neues Amt zwingt ihn tagtäglich zum Spagat. In ihrem Koalitionsvertrag hat die grün-rote Landesregierung mehr Investitionen in die Bildung angekündigt. Seit dem vergangenen Sommer ist davon nicht mehr die Rede. Nachdem der Landesrechnungshof gefordert hatte, dass der seit Jahren anhaltende Schülerrückgang zu einer Kürzung der Lehrerstellen führen müsse, nutzte Finanzminister Nils Schmid (SPD) mit Rückendeckung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seine Chance. Reformpläne hin oder her – bis zum Jahr 2020 sollen insgesamt 11 600 Lehrerstellen wegfallen, die ersten 1000 zum 1. August.

Der Kassenwart

Wäre er Finanzminister, würde er mehr Geld für die Bildung ausgeben, sagte Stoch kürzlich beim Forum Bildung unserer Zeitung. Dann kehrte er gleich wieder zum Tagesgeschäft zurück: Ohne Einsparungen auch im Bildungsbereich sei die Sanierung des Landeshaushalts bis zum Jahr 2020 nicht zu schaffen. Dabei weiß er längst, dass rechnerisch frei werdende Lehrerstellen vorerst gebraucht würden, um die großen Reformvorhaben umzusetzen – den Ausbau der Ganztagsschulen etwa. 95 neue hat er soeben genehmigt, die meisten als Schulen mit offenem Angebot. Sie erhalten weniger zusätzliche Lehrerstunden als die gebundenen Ganztagsschulen, die für die Schüler verpflichtend sind. Und um die Krankheitsreserve auszubauen, die weiter zu klein ist.

Damit er sein Soll erfüllen kann, will er jede siebte Ermäßigungsstunde streichen, die Schulleiter Lehrern für besondere Aufgaben gewähren, beispielsweise die Betreuung der Biologiesammlung oder die Schulentwicklung. Auch die Extrastunden für die Koordination der Hausaufgabenhilfe an den Gymnasien werden wegfallen. Dass es solche Unterstützung an den anderen Schularten auch nicht gibt, ist betroffenen Schülern, Eltern und Lehrern kein Trost – zumal der Anteil der Viertklässler, die ans Gymnasium wechseln, weiter steigt. Denn seit 2012 ist die Empfehlung der Grundschullehrer nicht mehr verbindlich, letztlich entscheiden die Eltern, welche weiterführende Schulart ihr Kind besuchen soll. Und da ist nun mal das Gymnasium am meisten begehrt.

Der Pädagoge

Weil viele der jetzigen Fünftklässler ohne entsprechende Empfehlung das Gymnasium besuchten, seien viele überfordert und etwa zehn Prozent sogar versetzungsgefährdet, warnte vor wenigen Tagen der Philologenverband, der viele Gymnasiallehrer vertritt. Das Land müsse wieder klare Regeln einführen. „Es ist einfach unpädagogisch, bereits zum jetzigen frühen Zeitpunkt zehn Prozent der Kinder als versetzungsgefährdet abzustempeln“, konterte Stoch. Ihm sei wohlbewusst, dass auch in den Gymnasien die Leistungsbreite zugenommen habe. Deshalb erhielten die Gymnasien eine zusätzliche Poolstunde zur individuellen Förderung der Schüler. Auch zum Thema Sitzenbleiben hat er eine klare Haltung: Abschaffen könne man es nicht, man müsse es jedoch überflüssig machen. Es gehe darum, ein Schulsystem zu schaffen, das allen Kindern bessere Bildungschancen ermöglicht. Deshalb steht er hinter der neuen Gemeinschaftsschule, an der Schüler – unabhängig von der Schulempfehlung – gemeinsam lernen und je nach Leistung Hauptschulabschluss, mittlere Reife oder Abitur machen können. Aufmerksam verfolgte Stoch am Freitag den Kongress der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum Thema Gemeinschaftsschule. Diese werde nur erfolgreich sein, wenn es ihr gelinge, viele leistungsstarke Schüler anzuziehen, mahnte der Tübinger Wissenschaftler Thorsten Bohl. Wenn auch die Realschulen mitmachen.

Der Vermittler

Er werde stärker auf die Realschulen zugehen, sagte Stoch. Einen wichtigen Schritt in dieser Richtung hat er kürzlich getan. Auf Drängen der Kommunen lockerte er die Vorgaben für sogenannte Schulverbünde – Schulen, in denen Gemeinschaftsschulen und Realschulen unter einem Dach und einer Leitung sind und kooperieren. Wandel durch Annäherung, so der Städtetag.

Im Mai will Stoch das Konzept für die regionale Schulentwicklung vorstellen, auf das Kommunen und Schulen bereits seit einem Jahr warten. Denn seit Jahren zeichnet sich ab, dass viele Haupt- und Werkrealschulen nicht überleben werden, weil die Schülerzahlen drastisch sinken.

Stoch weiß, dass er es nie allen recht machen kann, nicht einmal innerhalb der Regierungskoalition. Doch in den über drei Monaten, die ihm wie eine „Ewigkeit“ vorkommen, hat er sich großen Respekt erarbeitet. Er höre aufmerksam zu, analysiere schnell, halte Zusagen ein, suche nach Kompromissen, sagen seine externen Partner. Auch im Ministerium hat sich die Atmosphäre entspannt, berichten Insider. Der Neue schirme sich nicht ab, sondern schätze ihre Arbeit. Selbst die aufmüpfige GEW ist, bei aller Kritik an den Sparplänen, erleichtert. Für sein Grußwort erhielt Stoch am Freitag nur Beifall.