Jüdische Geschichte im Kreis Ludwigsburg, in Szene gesetzt und zum Hörspiel geworden: ein Beispiel, wie Kultur in der Schule aussehen kann. Foto: privat/Helene-Lange-Gymnasium

Matheformeln in eine Choreografie bringen oder Gedichte beatboxen? Kulturschulen suchen bei der Stoffvermittlung neue Wege. Im Kreis Ludwigsburg gibt es jetzt drei davon. Was ist ihr Konzept?

Sie wollen Schüler mit kreativerem Unterricht aus der Reserve locken und Persönlichkeitsentwicklung, Empathie und Teamgeist stärken: Das ist das Konzept von Kulturschulen – ein Ansatz, der gerade für Corona-geschlauchte Heranwachsende eine zusätzliche Bedeutung gewinnt. Steffen Keim vom frisch zur Kulturschule ernannten Markgröninger Helene-Lange-Gymnasium erzählt, wie das in der Praxis aussieht.

Herr Keim, was bringt es, Kulturschule zu sein? Werden das nicht ohnehin Schulen, an denen in Sachen Theater, Literatur oder Musik schon viel läuft?

Es bedeutet, das ganze Schulleben auf den Prüfstand zu stellen und durch die kulturästhetische Brille zu betrachten. Es geht nicht darum, einzelne Leuchtturmprojekte auf die Beine zu stellen, sondern darum, die Vielfalt an Zugangsmöglichkeiten zum Unterrichtsstoff in den Blick zu nehmen – über den kognitiven Zugang hinaus. Und quer durch alle Fachbereiche, inklusive der mathematisch-naturwissenschaftlichen. Ich nehme mal ein etwas plakatives Beispiel: Warum nicht eine choreografierte Unterrichtseinheit zum Bruchrechnen entwickeln? Oder ein Gedicht, das eine Klasse zwar auswendig gelernt, aber nicht begriffen hat, als Stück umschreiben und sich anders damit auseinandersetzen?

Aber die Schüler müssen am Ende des Tages doch trotzdem Ergebnisse abliefern.

Ja, aber dafür es wird zunehmend relevanter, diese anderen Zugänge zu öffnen. Wissen ist durch das Internet heute überall verfügbar. Aber strukturiert zu arbeiten, an einer Sache dranzubleiben, Relevantes zu erkennen: Das fällt den Schülerinnen und Schülern leichter, wenn sie motiviert sind und sich begeistern können. Dazu kann eine ästhetisch-kulturelle Unterrichtsdidaktik viel beitragen. Unsere achten Klassen haben zum Beispiel einen dreitägigen Theaterworkshop – die Neuner machen ein Musical, die Zehner haben Improvisationstage. Was von den Achtern an positiven Rückmeldungen zu den drei Theatertagen kam, von „ich traue mich jetzt eher, vor Leute hinzustehen“ über „ich nehme mich selbst anders wahr“ bis „ich weiß jetzt, dass ich auch Fehler machen darf“, das ist ganz erstaunlich.

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Soll der Status Kulturschule auch Zugpferd im Werben um Schüler sein?

Ich denke, er ist vor allem ein Zugpferd nach innen, der Energie freisetzt. Alles einmal auf den Prüfstand zu stellen, ist im besten Sinne des Wortes Schulentwicklung. Und wenn sie im Ergebnis auch Strahlkraft nach außen hat, umso besser. Eine Kulturschule lebt von der Qualität des Engagements. In der Gesamtlehrerkonferenz war das Votum, dass wir uns als Kulturschule bewerben wollen, einstimmig. Und beim pädagogischen Tag kürzlich ging es bereits darum, wie wir die Hausaufgabenstunden neu ausrichten können. Auch unter kulturellen Aspekten.

Ihre Schule hat mit Initiativen wie der Inszenierung des Widerstands-Stückes „PikAss“ des emigrierten jüdischen Freudentaler Geschäftsmannes und Autors Julius Marx, einem Projekt mit dem Pädagogisch-Kulturellen Centrum Freudental, Wegmarken gesetzt. Hat das bei der Bewerbung geholfen?

Gerade für dieses Projekt haben wir über ein anderes Kultur-Förderprogramm des Landes finanzielle Unterstützung bekommen. Wir hatten den Stoff sehr aufwendig erarbeitet. Erst mit der Theater-AG, dann kam uns Corona dazwischen. Dann als Kohorte der Klassenstufe elf, dann kam uns wieder Corona dazwischen, sodass wir das Stück im Endeffekt nie aufführen konnten. Schließlich haben wir ein Online-Projekt daraus gemacht, das in ein Hörspiel mündete und auf einer eigenen Website veröffentlicht wurde. Letztlich war es trotz der Rückschläge ein wunderbares Gemeinschaftsprojekt, an dem die Schülerinnen und Schüler gewachsen sind. Durch das Projekt kannte man uns an entsprechender Stelle im Kultusministerium, als wir uns als Kulturschule beworben haben.

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Wie sieht die Förderung konkret aus?

Wir bekommen garantiert 8000 Euro als Anschubfinanzierung, um die kulturästhetischen Aspekte in den nächsten fünf bis zehn Jahren fest im Schulcurriculum zu verankern. Den Prozess begleiten das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung und das Karlsruher Institut für Technologie. Wir haben an der Schule bereits ein Kulturteam gebildet und eine A-14-Stelle für kulturelle Belange ausgeschrieben. Außerdem vernetzen sich die Kulturschulen in so genannten Schulfamilien, das ist toll, weil nicht nur Gymnasien, sondern ganz verschiedene Schultypen dabei sind. Das weitet den Blick.

Bildung durch Kultur

Der Gesprächspartner
Steffen Keim, Jahrgang 1974, stammt aus Ludwigsburg studierte Deutsch und Französisch, promovierte in französischer Literaturwissenschaft, machte eine Zusatzausbildung in Darstellendem Spiel, war in Den Haag im Auslandsschuldienst, ist seit 2016 am Markgröninger Helene-Lange-Gymnasium und dort Abteilungsleiter für künstlerische und musische Fächer

Die Neuen
Auch die Asperger Friedrich-Hölderlin-Schule – eine Grundschule mit offenem Ganztag, bei der Musik, Kunst und Literatur ins Curriculum gehören und die zum Beispiel mit dem Jungen Theater Stuttgart (JES) kooperiert, ist jetzt Kulturschule. Die beiden „Neuen“ und das Ludwigsburger Schillergymnasium – schon länger – sind die einzigen Kulturschulen im Kreis

Die Kulturschulen
Es gibt in Baden-Württemberg 40 Kulturschulen, die vom Kultusministerium, der Stiftung Mercator und der Karl-Schlecht-Stiftung gefördert und evaluiert werden. „An Kulturschulen werden im Rahmen der Förderung durch das Landesprogramm spezifische Anforderungen im Bereich der kulturellen Bildung gestellt“, erklärt Benedikt Reinhard, Sprecher des Kultusministeriums. Die Schulen verankerten kulturell-ästhetische Zugangsweisen im Schulleben und im Unterricht und nähmen sich Ziele mit dem Schwerpunkt kulturell-ästhetische Unterrichtsentwicklung vor. „Mit der besonderen Förderung geht auch die aktive Teilnahme am Netzwerk der baden-württembergischen Kulturschulen und die Durchführung einer internen Evaluation einher.“ Die Schulen müssen sich bewerben und werden von einer Jury ausgewählt.