Für immer tot? Im Präpariersaal der Medizinischen Fakultät an der Universität Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) lernen Medizinstudenten an einem Leichnam. Foto: dpa

Himmel, Hölle oder ein neues Leben auf Erden? Unbeirrbare Optimisten glauben an letzteres. Eine Voraussetzung: Sachgerechte Tiefkühlung sofort nach dem Tod. In Ulm bereitet sich ein Professor darauf vor.

Senden/Stuttgart - Wenn für Klaus Sames alles wie geplant läuft, wird er eines Tages in Amerika in einem Edelstahlbehälter mit dem Kopf nach unten hängen. In seinen Adern wird sich kein Blut mehr befinden, sondern eine mit Forstschutzmitteln durchsetzte glasartige Substanz. Und der Körper des emeritierten Professors wird umhüllt sein von flüssigem Stickstoff. Temperatur: minus 196 Grad Celsius. „Und zwar solange, bis man mich wiederbelebt“, sagt der 79-Jährige Altersforscher, der früher Dozent am Anatomischen Institut im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf war. „In 100, 200 oder mehr Jahren, bis die Wissenschaft soweit ist.“

Noch erfreut sich der Professor mit den langen weißen Haaren im bayerischen Senden guter Gesundheit. Der Sensenmann solle sich gedulden: „Ich mag das Leben, ich lese viel und wandere gern.“ Meist aber beschäftigt sich Sames mit der Kryonik, der Tiefkühlkonservierung von Organismen, Organen und ganzen Lebewesen.

Kryonik – Was ist das?

Kryonik oder Kryostase (vom griechischen Wort für Kälte) bezeichnet die Konservierung von Organen bei extrem tiefen Temperaturen. Kryokonservierung wird sowohl bei pflanzlichen als auch bei tierischen Zellen angewandt. Beim Menschen werden Spermien, Eizellen und Embryonen tiefgefroren. Die Lagerung findet in sogenannten Kryobanken statt.

Die Zellen werden in flüssigen Stickstoff eingetaucht und in weniger als einer Sekunde auf minus 196 Grad Celsius schockgefrostet. Die tiefgefrorenen Zellen können über einen sehr langen Zeitraum in einer Art Kältestarre erhalten werden. Alle Stoffwechselvorgänge kommen fast vollständig zum Stillstand. Bei minus 196 Grad Celsius ist dann keinerlei Zellaktivität mehr zu beobachten. Nach dem Auftauen können die Zellen ihre normalen Lebensprozesse wieder aufnehmen. Embryonen beispielsweise können in die Gebärmutter eingepflanzt werden.

Wenn einzelne Zellen schockgefrostet werden, bildet das darin enthaltene Wasser nur kleine Eiskristalle. Bei größeren mehrzelligen Organismen entstehen aufgrund der zu geringen Temperaturabsenkung Eiskristalle. Sie werden so groß, dass sie die Zellwände durchbrechen und zerstören. Solche Schädigungen zeigen sich auch beim Einfrieren von Lebensmitteln in der Gefriertruhe: Nachdem Früchte wie Erdbeeren aufgetaut worden sind, wirken sie matschig und unansehnlich. Der Grund: Sie haben Wasser verloren, das aus den beschädigten Zellen ausgetreten ist.

Hoffnung auf ein zweites Leben

Nach heutigem Wissensstand beträgt die maximale Lebenserwartung eines Menschen rund 120 Jahre. Die Kryoniker geben sich damit nicht zufrieden. Sie wollen den Tod besiegen. Seit 1967 werden in den USA Tote eingefroren, um ihre Zellen vor dem Zerfall zu bewahren.

Der Vater der Kryonik, der US-Physiker Robert Ettinger, erlangte 1962 mit seinem Buch „The Prospect of Immortality“ (Die Aussicht auf Unsterblichkeit) Berühmtheit: Gestorbenen, so Ettinger, könne in der fernen Zukunft neues Leben eingehaucht werden, sofern man sie rasch auf Tiefsttemperatur herunterkühlt. Nicht wenigen Menschen war das einen Versuch wert. Kosten: bis zu 200 000 Dollar (170 000 Euro). Ergebnis: offen.

Der an Krebs gestorbene Amerikaner James Bedford war der erste Mensch, der sich 1967 im Metalltank einfrieren ließ. Seitdem ruht er mit anderen Toten im Cryonics Institute in Clinton Township (US-Bundesstaat Michigan) Detroit. Die zweite große US-Kryonik-Firma, Alcor Life Extension Foundation, befindet sich in Scottsdale (US-Bundesstaat Arizona).

Aufgetaut in der Zukunft

Rund 250 Tote – Kryoniker nennen sie Patienten – „schlummern“ in den beiden US-Instituten in Containern – unter ihnen mehrere Deutsche. Etwa 50 solcher modernen Mumien sollen es zudem in einer russischen Einrichtung sein. Ihr Körper oder nur der Kopf lagert in Metallzylindern, bis die sterblichen Überreste in ferner Zukunft wieder aufgetaut und dank neuer Heilmethoden mit Leben erfüllt werden können.

In Deutschland ist das nicht gestattet. Dass der Kopf von Kryokonservierten jeweils unten ist, macht Sinn: Falls mal nicht genügend Stickstoff nachläuft, sollen lieber die Füße geschädigt werden als das Gehirn.

Kritiker: Fantasterei und „reine Zukunftsmusik“

Wissenschaftler wie der Biophysiker Günter Fuhr halten solche Vorstellungen für Fantasterei und „reine Zukunftsmusik“. Beim Einfrieren würden die Körperflüssigkeiten Eiskristalle bilden, die sich ausdehnten und die Zellwände zerstörten, erklärt der frühere Leiter des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik (IBMT) im saarländischen Sulzbach. Bei einzelnen Zellen könne man diesen Vorgang mittels biologischer Frostschutzmittel kontrollieren, nicht aber bei komplexen Organismen wie dem Menschen.

Dies wird auch von Kryonikern nicht bestritten. Um die zelluläre Vernichtung durch Kristallbildung zu verhindern, setzen sie seit wenigen Jahren auf die seit langem bewährte Methode der Vitrifikation (wörtlich: Verglasung). Dieses Verfahren stammt aus der Kryobiologie, einem Teilgebiet der Biologie, die sich mit den Auswirkungen extrem niedriger Temperaturen auf Organismen, Gewebe und Zellen beschäftigt.

Der Traum von ewigen Leben

Der Traum von der Rückkehr aus dem Totenreich ist so alt wie die Menschheit. „Natürlich ist der Mensch bestrebt, den Tod immer weiter hinauszudrängen. Aber der Tod gehört zum Leben dazu“, gibt der Molekularbiologe Jörg Klug zu bedenken. Er arbeitet am Institut für Anatomie und Zellbiologie der medizinischen Fakultät der Universität Gießen. Auch hier setzt man auf die Kryokonservierung – also auf extreme Kälte und spezielle Konservierungsmittel, um die zerstörerische Bildung von Eiskristallen beim Gefrierprozess zu stoppen.

„Auf diese Weise können wir problemlos Zellkulturen einfrieren und wiederauftauen“, erklärt Klug. Jedoch handle es sich um Einzeller und einfache Mehrzeller. Das Problem sei, nicht nur ein einzelnes Organ oder einen ganzen Menschen einzufrieren und später wiederaufzutauen. „Im Nachhinein soll er ins Leben zurückgeholt werden. Wie soll das gehen?“ Und er fügt hinzu: „Es ist nicht sinnvoll, unendlich lange zu leben.“

So funktioniert das Einfrieren von Toten

„Wir sind heute so weit, dass wir eine komplette Kryonik-Versorgung bis zum Transport nach Detroit bieten können“, betont Sames. „Aber unser Projekt bräuchte dringend Förderung, wir suchen Sponsoren und Räumlichkeiten.“ Zur Ausstattung gehören – neben Pumpen, Schläuchen, OP-Geräten, Chirurgenbestecken und Medikamenten – neuerdings auch Computeruhren. Eine davon trägt Sames ständig am Arm. „Wenn mein Herz stehen bleibt, alarmiert sie die anderen.“

Das Prozedere entspricht den Maßgaben des Cryonics Institute, wo Sames sich für 30 000 Euro einen Platz im „Rettungswagen in die Zukunft“ gesichert hat: Das Team rückt mit 60 Kilogramm Eis an. Das Blut wird aus dem Körper gepumpt und durch Frostschutzmittel ersetzt.

Der „Patient“ bekommt Medikamente gespritzt, mit denen Zellmembranen geschützt werden und die Blutgerinnung verhindert wird. In Trockeneis (minus 78 Grad) wird er nach Detroit geflogen, wo das Herunterkühlen auf minus 196 Grad und die Lagerung erfolgt.

Zweites Leben? Bisher unmöglich

Wann das zweite Leben beginnen könnte, ist völlig unklar. Bislang würde jeder Auftauversuch zur Zerstörung führen. Eiskristalle, deren Bildung kaum zu verhindern ist, würde Gewebe zerreißen, die toxischen Bestandteile des Frostschutzmittels würden den Körper vergiften. „Irgendwann wird das beherrschbar sein“, glaubt Sames. „Ich freue mich jetzt schon auf die vielen Bücher, die ich in meinem ersten Leben nicht mehr lesen kann.“