Mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen gibt es auch immer mehr Probleme mit Straftaten. Überfüllte Unterkünfte mit vielen jungen Männern bilden mancherorts einen Nährboden für Diebstahl, Drogenhandel und Aggressionen.
Stuttgart - Das Depot des Händlers ist gut versteckt. Unter einer Grasnarbe im Schlossgarten lagert er seine Ware – mehrere Gramm verkaufsfertig verpacktes Marihuana. Doch als der 22-Jährige an einem Freitagnachmittag Inventur macht und mehrere Tütchen im Rasen verstaut, klicken die Handschellen. Zivilfahnder hatten den jungen Schwarzafrikaner die ganze Zeit über beobachtet und nehmen ihn fest. Er stammt aus Gambia – wieder einmal.
Die Gefängniszellen füllen sich. Allein in Stuttgart sind es in diesem Jahr schon mehr als 30 junge Männer aus dem westafrikanischen Land, die wegen Handels mit Marihuana in Untersuchungshaft gekommen sind. Das Landeskriminalamt hat 2013 insgesamt 100 Tatverdächtige aus Gambia im Zusammenhang mit Drogendelikten registriert. Und dieses Jahr? „Schon im August“, sagt LKA-Sprecher Horst Haug, „waren es deutlich mehr.“
„Wir kommen nicht über die Kleindealerebene hinaus“
Doch warum gerade Gambia? „Wir wissen es nicht“, sagt der Stuttgarter Drogenfahnder Hendrik Weiß. Seit Monaten schon stellen die Polizisten eine Kleinhändlerszene im Schlossgarten und am Ausgang der Klett-Passage fest. Auffallend häufig sind es Heranwachsende gambischer Herkunft, die verbotene Tütchen verkaufen. Sie kommen aus Fellbach, Schorndorf, Tübingen, Rottweil, Villingen-Schwenningen. Aber eine Struktur, die irgendetwas von oben steuert oder organisiert, ist nicht zu erkennen. „Wir kommen nicht über die Kleindealerebene hinaus“, sagt Fahnder Weiß. Offensichtlich sei da etwas „von unten“ herangewachsen. Freilich: Landesweit liegt die Flüchtlingszahl aus Gambia hinter Syrien und Serbien auf Platz drei.
Manche Spur führt in Flüchtlingsunterkünfte. Erst kürzlich hat die Polizei in Ludwigsburg bei einer Razzia mit 135 Beamten vier Gambier im Alter von 22 bis 27 Jahren wegen des Verdachts des Drogenhandels festgenommen. In Backnang im Rems-Murr-Kreis ging ein 21-Jähriger ins Netz, dem mindestens 50 einzelne Verkäufe von Marihuana zur Last gelegt werden.
Große, zentrale Flüchtlingsunterkünfte mit vielen jungen Männern – unter Experten ist es unumstritten, dass eine solche Konstellation ein Nährboden sein kann für Konflikte und Gewalttaten, für Diebstähle, Einbrüche und Drogenhandel. „Da sind eine Menge Leute auf einem Haufen zusammen“, sagt Andreas Linder vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, „das ist aber kein Problem einer Nationalität, sondern der Altersgruppe.“ Linder beklagt, dass junge Migranten oft von der Öffentlichkeit mit jungen Leuten im Asylverfahren „in eine Schublade gesteckt“ werden. Der Flüchtlingsrat jedenfalls „bekommt wenige solcher Fälle mit“, stellt Linder fest.
Polizei musste in Stuttgart bisher keine Razzien machen
Bei der Stadt Stuttgart herrscht keine Alarmstimmung. Natürlich gebe es auch unter den Flüchtlingen in der Landeshauptstadt schwarze Schafe, sagt der stellvertretende Sozialamtsleiter Stefan Spatz. „Ein signifikantes Problem sehen wir aber nicht. Die Polizei musste in Stuttgart bisher keine Razzien machen oder ganze Stockwerke in Unterkünften räumen“, sagt er.
Die Stadt schreckt aber bei Bedarf nicht davor zurück, durchzugreifen. „Wenn wir Hinweise auf Straftaten erhalten, sind die Hausleiter angewiesen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten“, sagt Spatz. Wer sich nicht an Regeln halte, müsse damit rechnen, dass die Ermittlungsbehörden einschreiten. Auch die Stadt selbst kann reagieren: Eine der derzeit 67 Unterkünfte ist für Problemfälle reserviert. Dabei geht es aber nicht um Straftaten, sondern um Asylbewerber, die sich nicht an die Nachtruhe halten oder auf andere Weise anecken. Dieses Haus ist auch das einzige, in dem dauerhaft ein Wachdienst vertreten ist.
Das Durchgreifen der Behörden gestaltet sich allerdings nicht immer so einfach. Denn Straftaten von Asylbewerbern lassen sich gar nicht ohne weiteres ahnden. Das Asylrecht stehe dem entgegen, klagen Ermittler unter der Hand. Möglich sind Haftstrafen im Grunde nur, wenn jemand Verbrechenstatbestände erfüllt. Geldstrafen stören kaum – die Betroffenen können sie schlicht nicht bezahlen. Wer aber an Jugendliche Drogen verkauft, begeht ein Verbrechen – und sitzt ein.
Ein anderes Beispiel lässt sich in Kernen im Remstal beobachten. Eine Unterkunft dort ist bereits im vergangenen Jahr ins Visier der Polizei geraten. Etwa jeder vierte Bewohner dort wurde wegen Diebstählen auffällig. Fast alle gehörten derselben Nationalität an – Georgier. Ihre Diebestouren führten sie durchs ganze Land. Ein Haupttäter, der eine zweistellige Zahl an Taten angesammelt hatte, wurde zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Das ist jetzt fast ein Jahr her. Beruhigt hat sich die Lage trotz der Strafe und zahlreicher Versuche, die Situation zu entschärfen, bisher nicht. „Von den damaligen Tätern sind einige abgeschoben worden, andere sind untergetaucht “, sagt Klaus Hinderer, Sprecher der Polizei im Rems-Murr-Kreis. Dafür sind offenbar manche Neuankömmlinge ins Geschäft eingestiegen. „Das Problem hat sich abgeschwächt, aber nicht erledigt“, weiß Hinderer.
Vernünftige Zusammensetzung der Hausbewohner schwierig
Oft entstehen Schwierigkeiten auch im Inneren der Unterkünfte. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kommunen und Landkreise angesichts des Flüchtlingsstroms immer größere Schwierigkeiten haben, auf eine vernünftige Zusammensetzung der Hausbewohner zu achten. Alleinstehende Männer und Familien gemischt, dazu Nationalitäten unter einem Dach, die sich vertragen – diese Formel geht häufig nicht mehr auf. Gebraucht wird jede mögliche Unterkunft.
In einem Waiblinger Haus führen Bewohner mit schwarzafrikanischer einerseits und nordafrikanischer Herkunft andererseits geradezu einen Kleinkrieg. „Dort kommt es häufig zu Streitereien“, sagt Polizeisprecher Hinderer. Zerstrittene Nationen auf engem Raum, keine Möglichkeit, zu arbeiten – eine explosive Mischung. Auch in Kirchheim/Teck, wo vor einiger Zeit bei einer Messerstecherei unter Asylbewerbern ein 22 Jahre alter Mann getötet worden ist.
Die Zahl der straffälligen Asylbewerber steigt stark – ähnlich stark wie die Zahl der Flüchtlinge. Im Jahr 2013 hat die Polizei landesweit 3590 tatverdächtige Asylbewerber gezählt. Das war ein Anstieg von 94 Prozent, im Vergleich zu den 229 000 Tatverdächtigen insgesamt allerdings nur ein kleiner Anteil. Der Trend sieht für 2014 ähnlich aus, erklärt Günter Loos vom baden-württembergischen Innenministerium: „Analog zu den weiterhin stark gestiegenen Flüchtlingszahlen hat auch die Zahl der tatverdächtigen Asylbewerber stark zugenommen.“ Ministerpräsident Kretschmann hat jüngst beim Flüchtlingsgipfel angekündigt, die Polizei an Standorten mit Erstaufnahmeeinrichtungen verstärken zu wollen.
Andreas Linder vom Flüchtlingsrat weist indes darauf hin, dass es weniger auf die Zahl der Tatverdächtigen ankomme. „Entscheidend ist doch eher, wer denn tatsächlich von einem Gericht als Straftäter angesehen und verurteilt wird.“ Gleichwohl betont das Innenministerium, dass es einige Nationalitäten gebe, die einen besonders hohen Anstieg bei Straftaten vorwiesen.
Werden in Stuttgart beispielsweise Taschendiebe erwischt, die in Szenelokalen und in Discos junge Frauen antanzen und deren Handys mitgehen lassen, dann sind es auffallend häufig nordafrikanische Heranwachsende – vorrangig Algerier. Allein in diesem Jahr wurden in Stuttgart weit über 30 als Langfinger dingfest gemacht – auch weil die Bundespolizei ihre Streifen zum Schutz schlafender Nachtschwärmer an S-Bahn-Stationen verstärkte.
Steigende Kriminalitätszahlen sind aber relativ – gerade bei Rauschgiftdelikten. Die Zahl ist stark davon abhängig, wie viel die Polizei unternimmt oder nicht. Da verdächtige Aktivitäten von Schwarzafrikanern der Bevölkerung besonders auffallen und angezeigt werden, konnte die Polizei schnell reagieren. „Es gibt auch deshalb mehr Festnahmen“, sagt Drogenfahnder Weiß, „weil wir den Kontrolldruck erhöht haben.“
Ob das Problem damit gelöst ist, bleibt offen. Ein 21-jähriger Gambier, der einst als minderjähriger Flüchtling ankam und eine Ausbildung zum Bauzeichner schaffte, formuliert es so: „Nur wenn du in guten Händen landest, ist es leicht, hier zu leben.“