Palästinenser inspizieren die Überreste eines Wohnhauses in Rafah, das bei einem israelischen Angriff zerstört wurde. Foto: Hatem Ali/AP/dpa

Fünfeinhalb Monate nach dem brutalen Terrorangriff auf Israel schwindet das Verständnis für die Gegenreaktion im Gazastreifen. Die Staats- und Regierungschefs der EU finden deutliche Worte.

Brüssel - Die EU-Staaten verschärfen ihren Ton gegenüber Israel und fordern angesichts der dramatischen Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel nach Gesprächen der Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel mit. Diese solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur bedingungslosen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln und zur Bereitstellung humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer von den Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Erklärung.

Israel wird zudem aufgefordert, in Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens keine Bodenoffensive zu beginnen, die die bereits katastrophale humanitäre Lage verschlimmern und die dringend benötigte Grundversorgung mit humanitärer Hilfe verhindern würde. In der Stadt leben derzeit rund 1,5 Millionen Zivilisten - die meisten von ihnen sind Flüchtlinge aus anderen Teilen des Gazastreifens.

Als Hintergrund der Forderung wird auch die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom 26. Januar genannt. Durch sie wurde Israel völkerrechtlich verbindlich aufgetragen, alles zu tun, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Alle Konfliktparteien müssten sich an internationales Recht inklusive des humanitären Völkerrechts halten.

Lange Diskussionen vor Gipfel-Erklärung

Der Einigung auf die Erklärung waren wochenlange Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten vorausgegangen. Ursprünglich sollten bereits bei Gipfeltreffen im Dezember und Anfang Februar Erklärungen zum Nahost-Konflikt veröffentlicht werden. Doch hatten sich die Staaten nicht auf eine Linie einigen können. Vor allem Länder wie Österreich, Tschechien und Ungarn halten es eigentlich für unangebracht, Israel nach dem Massaker der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober zu großer Zurückhaltung aufzufordern. Auf der anderen Seite stehen Länder wie Spanien, die das Vorgehen Israels im Gazastreifen für völkerrechtswidrig halten und sich eine stärkere Reaktion der EU wünschen. Deutschland, das anfangs noch im Lager der größten Israel-Unterstützer war, nimmt mittlerweile eine Mittelposition ein.

Auslöser des israelischen Einsatzes im Gazastreifen ist ein Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und ab Ende Oktober auch mit einer Bodenoffensive. Als Folge des Militäreinsatzes starben im Gazastreifen nach Angaben der zur Hamas gehörenden Gesundheitsbehörde deutlich mehr als 30.000 Menschen. Mehr als 74.000 weitere wurden demnach verletzt.

US-Außenminister: "Bodenoffensive in Rafah wäre Fehler"

Indessen warnen auch US-Außenminister Antony Blinken und sein ägyptischer Amtskollege Samih Schukri nach Gesprächen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo mit Vertretern verschiedener arabischer Staaten erneut vor einer geplanten israelischen Militäroffensive in Rafah. "Wir haben sehr deutlich gemacht, dass eine Bodenoffensive in Rafah ein Fehler wäre und das können wir nicht unterstützen", sagte Blinken bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Schukri sagte, man sei sich einig darüber, dass jegliche militärische Aktion in der Stadt im Süden des Gazastreifens verhindert werden müsste, wo viele Hunderttausende Menschen Zuflucht gesucht haben. Er fügte hinzu, es bestehe weitgehend Einigkeit, wie wichtig eine Waffenruhe und die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sei.

In der Stadt an der Grenze zu Ägypten plant die israelische Regierung eine Bodenoffensive gegen die islamistische Hamas. Das Vorhaben ist international umstritten, weil etwa 1,5 Millionen Palästinenser aufgrund der heftigen Kämpfe im Gazastreifen dort Zuflucht gesucht haben. Auch die US-Regierung und Ägypten hatten zuvor bereits davor gewarnt.

Blinken war am Mittwoch nach Saudi-Arabien gereist und am Donnerstag in Ägypten eingetroffen, um die Bemühungen um eine vorübergehende Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas zu besprechen. In Kairo traf er sich mit Vertreter aus Katar, Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien den Vereinigten Arabischen Staaten, und der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Am Freitag wird er in Israel erwartet.

Israels Armee: Weitere Terroristen bei Schifa-Klinik-Einsatz getötet

Bei Gefechten im Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza tötete die israelische Armee nach eigenen Angaben Dutzende weitere Extremisten. "Am vergangenen Tag wurden bei Schusswechseln mehr als 50 Terroristen eliminiert", teilte das Militär mit. Seit Beginn des Einsatzes in der Klinik vor einigen Tagen wurden den Angaben nach somit mehr als 140 Terroristen in der Gegend getötet und 600 weitere festgenommen. Unter den Festgenommenen seien auch mehrere ranghohe Mitglieder der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad, hieß es. Zudem hätten israelische Einsatzkräfte Waffenlager gefunden.

Nach Darstellung des Militärs wird bei dem Einsatz Schaden von Zivilisten, Patienten, Medizinern und medizinischer Ausrüstung ferngehalten. Die Angaben lassen sich allesamt bisher nicht unabhängig überprüfen.

Israelische Truppen waren in der Nacht zum Montag erneut in die größte Klinik des Gazastreifens eingerückt, um dort eigenen Angaben nach gegen die Hamas und ihre Infrastruktur vorzugehen. Bei dem Einsatz wurden Armeeangaben zufolge bislang auch zwei israelische Soldaten getötet.

Auch andernorts gehen die Kämpfe im Gazastreifen der israelischen Armee zufolge derzeit weiter. So seien etwa im Zentrum des Küstengebiets 20 Menschen getötet worden, das Militär sprach auch in dem Fall von Terroristen.