Palästinenser stehen während der israelischen Luft- und Bodenoffensive für die kostenlose Verteilung von Lebensmitteln an. Foto: Hatem Ali/AP/dpa

Etwa ein Viertel der Bevölkerung im Gazastreifen steht laut UN-Organisationen kurz vor einer Hungersnot. Währenddessen verhandeln Israel und die Hamas weiter über einen Geisel-Deal. Der Überblick.

Tel Aviv/Kairo - Nach monatelangem Krieg und blockierter humanitärer Hilfe verhungern UN-Angaben zufolge im Gazastreifen Kinder. Während eines Besuchs im weitgehend von Hilfe abgeschnittenen Norden der Region hätten UN-Mitarbeiter Erkenntnisse zu schwerer Unterernährung und zu verhungernden Kindern gesammelt, teilte der Chef der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Ghebreyesus, auf der Plattform X (früher Twitter) mit.

Das UN-Nothilfebüro Ocha berichtete derweil unter Berufung auf die örtliche von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde, dass bis Sonntag 15 Kinder an Unterernährung gestorben seien. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben zunächst nicht.

Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur hielt in einer Rede vor der UN-Vollversammlung ein Foto hoch. Dies sollte einen Jungen zeigen, der am selben Tag in einem Krankenhaus im Gazastreifen an Mangelernährung gestorben sein soll. "Er wurde von Israel getötet, indem es Hunger als Waffe einsetzte", behauptete Mansur.

UN: Hilfe aus Luft für Gazastreifen reicht nicht

Nach dem Start amerikanischer Hilfslieferungen aus der Luft für den Gazastreifen haben die Vereinten Nationen indes die humanitären Güter als unzureichend bezeichnet. Zwar helfe jede Lieferung, sagte Sprecher Stephane Dujarric in New York. "Aber es entspricht weder der Größe noch dem Umfang dessen, was wir brauchen." Es seien Hilfslieferungen mit Lastwagen über den Landweg nötig.

Die USA hatten angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen am Wochenende damit begonnen, die Zivilbevölkerung dort aus der Luft mit Hilfsgütern zu versorgen - auch andere Länder werfen dort humanitäre Hilfe aus Flugzeugen ab.

Einigung auf Feuerpause in Gaza auf der Kippe

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt derweil vor weiteren Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln im Gaza-Krieg ein Einlenken der Hamas. Erst müsse die Islamisten-Organisationen wie gefordert eine Liste mit den Namen der noch lebenden Geiseln in ihrer Gewalt vorlegen, sagte der rechte Regierungschef am Sonntagabend in einer Ansprache in Tel Aviv.

Am selben Tag trafen Delegationen der Hamas und der Vermittlerstaaten USA und Katar in Kairo zu einer weiteren Gesprächsrunde ein. Israel dagegen hat vorerst keine Delegation entsandt. Dass derweil Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, ohne Netanjahus Zustimmung zu Gesprächen nach Washington reiste, sorgte laut israelischen Medien intern für scharfe Kritik.

Gantz drängt auf ein Abkommen und hat erklärt, die Freilassung der Geiseln sei dringlicher und wichtiger als die von Netanjahu zum Ziel erklärte Zerschlagung der Hamas.

Netanjahu: Werden vor Forderungen nicht kapitulieren

Es sei zu früh zu sagen, ob es in den nächsten Tagen ein Konzept für einen Deal geben werde, sagte Netanjahu. "Wir unternehmen große Anstrengungen, um erfolgreich zu sein, aber eines ist Ihnen klar - wir werden vor den wahnhaften Forderungen der Hamas nicht kapitulieren", bekräftigte der innenpolitisch in der Geiselfrage unter Druck stehende Regierungschef.

Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir fordert einem israelischen Medienbericht zufolge sogar ein Ende der Verhandlungen über die Freilassung der noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. Seine Partei halte es für erforderlich, die Einstellung der Gespräche, in denen es auch um eine befristete Feuerpause im Gaza-Krieg geht, anzuordnen, sagte der Politiker nach Angaben der Zeitung "Haaretz" am Montag bei einem Treffen seiner Partei. Es sei stattdessen notwendig, in "eine neue Phase intensiver Kämpfe" überzugehen, zitierte das Blatt Ben-Gvir, der auch Minister für nationale Sicherheit ist, weiter.

Örtlichen Medienberichten zufolge gibt es in israelischen Kreisen Zweifel, ob ein Abkommen über eine Geisel-Freilassung und eine Feuerpause noch vor dem für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan, der um den 10. März beginnt, zustande kommt. Der Anführer der Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, versuche absichtlich, die Verhandlungen zu sabotieren, um während des Ramadan Unruhen im gesamten Nahen Osten zu provozieren, zitierte die israelische Nachrichtenseite "Ynet" einen ranghohen israelischen Beamten.

"Sinwar zieht es vor, die Spannungen im Nahen Osten zu verschärfen und während des Ramadans Blutvergießen und Chaos im Gazastreifen zu verursachen, anstatt die Alternative einer sechswöchigen Waffenruhe und humanitärer Hilfe zu wählen, die das Leiden der lokalen Bevölkerung im Gazastreifen erheblich lindern würde", sagte der Beamte.

Ranghohe Gespräche in Washington

Israels Verteidigungsminister Joav Galant hatte erst kürzlich gesagt, die Hamas wolle den Krieg vom Gazastreifen ins Westjordanland tragen. "Das Ziel der Hamas ist es, Judäa und Samaria (hebräisch für Westjordanland) anzuzünden, und wenn möglich auch noch den Tempelberg (in Jerusalem)". Laut Nachrichtenportal "Axios" drängt US-Präsident Joe Biden Ägypten und Katar dazu, die Hamas noch vor dem Ramadan zu einer vorübergehenden Feuerpause zu bewegen.

Die drei Vermittlerstaaten seien sich einig, dass ein Zustandekommen einer Einigung derzeit an der Hamas hänge. Die Hamas fordert einen umfassenden Waffenstillstand. Der Vermittlervorschlag sieht nach US-Angaben lediglich eine sechswöchige Feuerpause vor. Ein namentlich nicht genannter israelischer Beamter wurde von "Axios" mit den Worten zitiert, er schätze die Chancen für eine Einigung auf 50 zu 50.

Unterdessen traf Gantz, Mitglied im israelischen Kriegskabinett, in Washington ein, wo er heute US-Vizepräsidentin Kamala Harris und den nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan treffen will. Gantz hatte im Januar gesagt: "Die dringendste Angelegenheit ist die Rückführung der Geiseln, sie ist wichtiger als alle Elemente des Kampfes."

Morgen will der israelische Politiker laut Medienberichten mit US-Außenminister Antony Blinken zusammentreffen. Am selben Tag wird "Axios" zufolge auch Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Washington erwartet.

UN sehen Vergewaltigungen durch Hamas-Terroristen als wahrscheinlich

Ein Bericht der Vereinten Nationen sieht sexualisierte Gewalt bei dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober in Israel als wahrscheinlich an. Es gebe "berechtigten Grund zur Annahme", dass es zu Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen an mindestens drei Orten gekommen sei, hieß es in dem Papier, das von der zuständigen UN-Vertreterin Pramila Patten nach einem Besuch in Israel angefertigt wurde. 

Unter diesen Orten sei das Gelände eines Musikfestivals, das von den Terroristen am 7. Oktober überfallen wurde. "Bei den meisten dieser Vorfälle wurden Opfer einer Vergewaltigung anschließend getötet, und mindestens zwei Vorfälle standen im Zusammenhang mit der Vergewaltigung von Frauenleichen", hieß es weiter.

Außerdem gebe es "klare und überzeugende Informationen darüber, dass sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, sexualisierte Folter, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, gegen Geiseln verübt wurde". Diese könnte in der Gefangenschaft im Gazastreifen momentan weiter andauern.

Israels Armee meldet weitere Tote bei Einsätzen

Derweil setzt das israelische Militär den Kampf gegen die Hamas fort und tötete nach eigenen Angaben nun ein für die Rekrutierung von Terroristen zuständiges prominentes Mitglied der Islamisten. Wie die Armee am Sonntagabend bekannt gab, sei Mahmoud Muhammad Abd Khad auch an der Beschaffung von Geldern für den Terrorismus und zur Unterstützung der militärischen Aktivitäten der Hamas beteiligt gewesen.

Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, dass im nördlichen Gaza "mehr als 100 Terroristen" getötet worden seien. Zudem seien 35 Einrichtungen der Hamas und des Islamischen Dschihad, darunter Waffenlager und Produktionsanlagen, zerstört worden. "Dutzende Terroristen" seien festgenommen worden. Sämtliche Angaben des israelischen Militärs konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Israels Militär: Wieder Hisbollah-Stellungen angegriffen

Unterdessen griff das israelische Militär im Süden Libanons nach eigenen Angaben erneut Stellungen der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz an. Kampfflugzeuge hätten eine Militäranlage der Schiiten-Miliz in der Gegend von Aita asch-Scha'b und terroristische Infrastruktur in der Gegend des libanesischen Grenzortes Kfarkela getroffen, teilte die Armee mit.

Im Laufe des Tages habe es eine Reihe von Raketenabschüssen aus dem Libanon in Richtung Nordisrael gegeben. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Seit Beginn des Gaza-Krieges kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion immer wieder zu gegenseitigem Beschuss. Israels Verteidigungsminister Galant kündigte kürzlich an, den militärischen Druck auf die Hisbollah zu erhöhen, bis sich die Schiiten-Miliz von der Grenze zu Israel zurückgezogen habe.

Containerschiff vor der Küste Jemens angegriffen und beschädigt

Vor der Küste Jemens ist erneut ein Containerschiff angegriffen und beschädigt worden. Wie die Stelle der britischen Marine für Handelsschifffahrt UKMTO mitteilte, gab es bei dem Vorfall südöstlich der Hafenstadt Aden zwei Explosionen. Nachdem sich die Erste mit einigem Abstand zu dem Schiff ereignet habe, sei das Schiff durch die zweite beschädigt worden. An Bord brach demnach ein Feuer aus. Der Fall werde von der westlichen Allianz zum Schutz der Handelsschifffahrt untersucht, so die Mitteilung weiter. Berichte über Tote oder Verletzte gab es zunächst keine.

Dem Informationsdienst Ambrey zufolge soll es sich um ein Schiff handeln, das unter der Flagge Liberias fährt und von Singapur nach Dschibuti unterwegs war. Demnach wurde das Schiff zumindest in der Vergangenheit von einer israelischen Reederei eingesetzt.

Wer hinter dem jüngsten Angriff steckte, war zunächst nicht klar. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte jedoch immer wieder die islamistische Huthi-Miliz im Jemen zivile Handelsschiffe ins Visier genommen.