Rettungskräfte am Ort des Anschlags in Jerusalem Foto: dpa/Stringer

Zwei Palästinenser haben nach Polizeiangaben mindestens drei Menschen erschossen und elf weitere verletzt.

Eine Bushaltestelle in Jerusalem: Drei Mädchen in Röcken laufen über eine viel befahrene Straße, Autos hupen, dazu im Hintergrund eine schnelle Folge von Schüssen. Das Video stammt von einer Überwachungskamera, die am Donnerstagmorgen den tödlichen Anschlag festhielt. Mindestens drei Personen wurden ermordet, mindestens elf weitere verletzt. Bei den Attentätern, die noch am Tatort erschossen wurden, handelt es sich Polizeiangaben zufolge um zwei palästinensische Brüder aus Ostjerusalem mit Verbindungen zu der Terrororganisation Hamas. Diese übernahm denn auch die Verantwortung für den Anschlag und pries die Täter als „Märtyrer“.

Fragile Sicherheitslage

Im Schatten des Gaza-Krieges sind das Westjordanland und Ostjerusalem beinahe völlig aus dem Blickfeld verschwunden. Dabei ist auch dort die Sicherheitslage äußerst fragil. Fast täglich kommt es derzeit zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten, vermehrt auch radikalen israelischen Siedlern. Mehr als 30 Israelis sind seit Anfang 2023 bei Terroranschlägen ums Leben gekommen, viele von ihnen im Westjordanland, den verheerenden Angriff der Hamas am 7. Oktober nicht mitgerechnet. Zugleich wurden dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) zufolge seit Jahresbeginn mehr als 400 Palästinenser in Ostjerusalem und dem Westjordanland getötet. Damit ist 2023 das „tödlichste Jahr für Palästinenser im Westjordanland, seitdem OCHA 2005 mit der Zählung von Todesopfern begonnen hat“, heißt es in einem Bericht. Viele der Palästinenser wurden erschossen, während sie bei Anti-Terror-Einsätzen gewaltsamen Widerstand gegen israelische Soldaten leisteten.

Doch immer wieder geraten auch Unschuldige in die Schusslinie. Das dürfte der Fall bei dem achtjährigen Adam Samer al-Ghoul gewesen sein, der am Mittwoch während einer Razzia der Armee in der Stadt Jenin ums Leben kam. Beim selben Einsatz wurde zudem der 15-jährige Basil Suleiman Abu al-Wafa getötet. Die Terrororganisation Hamas, die auch im Westjordanland über organisatorische Strukturen und Unterstützer verfügt, identifizierte al-Wafa anschließend als eines ihrer Mitglieder.

Nach dem Terrorangriff des 7. Oktober befürchteten manche israelische Beobachter, dass die Hamas ihre Anhänger im Westjordanland zu einer Gewaltwelle anstacheln könnte, die dort israelische Kräfte bände. So weit ist es nicht gekommen, doch die Lage bleibt äußerst angespannt – und die Hamas kann einer Umfrage der Birzeit-Universität bei Ramallah seit ihrem Massaker auf erhöhten Rückhalt bauen: Zwei Drittel der Palästinenser im Westjordanland äußerten demnach „starke Unterstützung“ für den Angriff der Hamas, bei dem die Terroristen rund 1200 Israelis ermordeten, viele laut Berichten nach qualvoller Folter. Zu der angespannten Lage tragen auch radikale israelische Siedler bei, die seit Monaten gegen palästinensisches Eigentum vorgehen und gelegentlich auch Palästinenser angreifen.

Feuerpause wird infrage gestellt

Eine weitere Zuspitzung im Westjordanland könnte sich womöglich auf Versuche auswirken, die geltende Feuerpause im Gazastreifen zu verlängern. So sieht es zumindest Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für nationale Sicherheit und Chef der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke. Mit dem Anschlag in Jerusalem habe die Hamas die vereinbarte Feuerpause gebrochen, sagte er am Donnerstag. „Wir müssen aufhören, Vereinbarungen mit dem Teufel zu schließen, und den Kampf sofort wieder aufnehmen, mit roher Stärke.“ Bis zum Nachmittag desselben Tages sah es nicht so aus, als dringe Ben-Gvir mit seiner Forderung durch. Doch schon die jüngste Verlängerung der vereinbarten Feuerpause war in der Nacht auf Donnerstag erst im letzten Moment zustande gekommen. Drastische Vorfälle wie der Anschlag in Jerusalem könnten die Stimmung der Verhandler in dieser hochsensiblen Lage beeinflussen – und die Vereinbarung scheitern lassen.