Kriegsruinen im Kosovo Foto: dpa

Sie suchen Arbeit oder eine ärztliche Behandlung: Bis Mitte Februar haben allein in Baden-Württemberg über 4000 Kosovaren einen Asylantrag gestellt. Doch das ist keine Lösung.

Pristina - Eine gelbe Plastiktüte der österreichischen Supermarktkette Billa, eine Jacke, eine Hose – und ein Verhör bei der Polizei. Das ist alles, was am Ende bleibt von Gashis großem deutschen Traum. Zusammen mit fünf anderen Jungs Mitte zwanzig sitzt er auf einer Bank im Flughafen in Pristina und wartet, bis die Polizisten ihn hereinrufen.

Gashi wollte nach Deutschland. So wie Tausende anderer Kosovaren. In einer Art Massenauswanderung haben seit Ende 2014 geschätzte 200 000 Menschen das Land verlassen. Kuriose Gerüchte und kriminelle Schlepper locken die Menschen nach Westeuropa. Die hohe Arbeitslosigkeit, grassierende Korruption, ein katastrophales Gesundheitssystem und der Mangel an Hoffnung, dass sich je etwas ändert, treiben die Menschen fort. Doch das Asylrecht ist für Menschen wie Gashi nicht vorgesehen. Die Kosovaren müssen wieder zurück – und sind danach ärmer als zuvor.

Der 26-Jährige hat es über Serbien und Ungarn bis Wien geschafft. Das Zugticket nach München hatte er schon gekauft, als ihn die Polizei nach seinem Visum gefragt hat. Gashi hat zwar eine Tüte, eine Jacke und Hose. Aber ein Visum – so etwas hat er nicht. Er kam im Wien ins Lager für Asylbewerber und hat sich entschieden, freiwillig wieder in das Kosovo zu gehen. „Nach einem Tag.“

Jeder dritte Kosovare hat 1,40 Euro pro Tag zum Leben

Engjëll Rexhepi laufen Tränen über das Gesicht. So schneidend ist die Luft an diesem Morgen in Pristina. Aber er läuft nicht nur wegen der Kälte so schnell über die Fußgängerzone in der Hauptstadt des Kosovo. Engjëll hat es eilig, denn er hat einen Job. Die Arbeitslosenquote im Kosovo liegt Schätzungen zufolge bei 60 Prozent.

„Ich arbeite in Pristinas Gefängnis“, sagt er. Die Anstellung sei zwar nur befristet. „Aber gut bezahlt“. Rund 550 Euro verdient er im Monat. Der Durchschnittslohn liegt zwischen 350 und 400 Euro. Jeder dritte Kosovare hat gerade mal 1,40 Euro pro Tag zum Leben. Wäre er kein Besserverdiener, säße er womöglich auch schon im Bus nach Deutschland. „Zumal dort gerade massenhaft Arbeiter gesucht werden“, erklärt er.

Gerüchte wie diese erzählen sich viele Menschen im Kosovo. Dass in Deutschland gerade 30 000 Menschen in Rente gehen, dass das Land billige Arbeiter braucht und dass Deutschland mit Absicht so lange keine Polizisten an die Grenze von Serbien nach Ungarn geschickt hat, damit die Menschen illegal einreisen können.

Die Geschichten hat Mevlyde Hyseni in den vergangenen Wochen oft gehört. Die 31-Jährige ist gerade erst von der serbisch-ungarischen Grenze zurückgekehrt. Dort hat sie Gespräche mit den ausreisenden Kosovaren geführt, weil sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Pristina eine Studie über den Exodus verfasst. „Die meisten Menschen haben drei Gründe genannt, warum sie gehen“, sagt Hyseni. Sie haben eine Krankheit und wollen sich im Westen behandeln lassen, sie haben vor, im Westen zu arbeiten, weil sie zu Hause keine Perspektive sehen, oder sie wollen einfach nur mal raus aus dem Kosovo.

Pristina: „Nichts ist schön hier“

Von der Dachterrasse des Büros kann Hyseni die Stadt überblicken. Die Abendsonne taucht die 208 000 Einwohner zählende Stadt in warmes Licht, strahlt die grauen, braunen oder unverputzten Fassaden der heruntergekommenen Plattenbauten an. Es hilft wenig: „Nichts ist schön hier“, sagen manche Deutsche, die dort leben.

Weg aber kommen die Kosovaren nicht so einfach. Nicht mal für einen Ausflug. Ohne Visum können sie nach Albanien, Montenegro, Mazedonien, in die Türkei und nach Haiti reisen. „Die Menschen fühlen sich eingesperrt und isoliert“, sagt Hyseni. Warum die Auswanderungshysterie ausgerechnet jetzt losgegangen ist? „Es herrscht eine Art Endzeitstimmung“, sagt Besha Luzha von der Friedrich-Ebert-Stiftung. „Die Menschen sehen in den Medien Busse voller Kosovaren, die ausreisen, und keiner will der Letzte sein, der zurückbleibt.“

In den vergangenen Tagen gehen nicht mehr so viele Menschen weg. Am Busbahnhof von Pristina ist an diesem Abend wenig los. Ungefähr 50 Kosovaren sitzen in dem berüchtigten Nachtbus nach Belgrad, von wo aus die Auswanderer weiter in die serbische Grenzstadt Subotica fahren. Von diesem Umschlagplatz werden sie von Schleppern in die ungarische Stadt Asotthalom gebracht.

Gashi hat für seinen gesamten Trip 300 Euro gezahlt. Manche zahlen so viel allein an der Grenze. Das Geld hat er verdient, als er im Sommer im Rahmen eines Vermittlungsprogramms drei Monate bei McDonald’s in Rottweil gearbeitet hat. Um die acht Euro hat er dort pro Stunde bekommen. „Im Kosovo verdiene ich selten mehr als 1,30 Euro pro Stunde“, sagt er. Jetzt hat er nichts mehr.

Soziale Unruhen wegen frustrierter Heimkehrer?

In Asotthalom hat der Bürgermeister László Toroczkai sein Büro. Er steht der rechtsextremen ungarischen Jobbik-Partei nahe. Wenn die Europäische Union es nicht zulasse, dass Ungarn illegale Einwanderer einsperrt, müsste sie aus EU-Mitteln für Ungarn einen Grenzzaun bauen, fordert er. „Die Migranten wollen nicht nach Ungarn, sie wollen weiter in die reichen westlichen Länder“, so Toroczkai. „Außerdem werden wir finanzielle Hilfe brauchen, um den Müll zu beseitigen, den die Migranten hier verursacht haben.“ Dass es in letzter Zeit ruhiger geworden ist, gibt auch er zu. „Es ist eine große Hilfe , dass die serbische Polizei nun auch angefangen hat zu arbeiten.“

Am düsteren Busbahnhof von Pristina erzählen sich die Leute, dass vor allem wegen der 20 deutschen Polizisten, die an die Grenze geschickt worden sind, weniger ausreisen.

20 deutsche Polizisten sollen Tausende Kosovaren abschrecken? In der kosovarischen Regierung stellt man sich eher die Frage, ob die Deutschen nicht eher die Arbeit der lokalen Grenzpolizei beeinflussen.

Obwohl es ruhig ist am Busbahnhof, steht ein Kamerateam dort, und eine britische Zeitungsjournalistin sucht nach potenziellen Auswanderern. Die Bilder des überfüllten Bahnhofs gingen in den vergangenen Wochen um die Welt. Die Kosovaren machen sich lustig darüber, dass ihre Stadt wegen eines Bahnhofs weltberühmt geworden ist.

Baden-Württemberg ist eines der Hauptziele

Und das ist nicht das Einzige, was die Menschen in Pristina mit Stuttgart verbindet. Baden-Württemberg ist eines der Hauptziele der Kosovaren. Bis zum 17. Februar haben dort 4062 Menschen aus dem Kosovo einen Asylantrag gestellt. „Ich habe Verständnis, dass die Menschen im Kosovo der Armut entkommen wollen“, sagt der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich (SPD). „Allerdings ist ein Asylantrag nicht das richtige Instrument.“

Asyl können nur Flüchtlinge beantragen, denen im Heimatland Folter oder gar der Tod droht. Darum werden mehr als 99 Prozent aller Asylanträge aus dem Kosovo abgelehnt. Friedrich und Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) haben deshalb im Kosovo um Kooperationen geworben, die den Menschen eine legale Einwanderung ermöglicht.

Über einen Asylantrag dagegen ist kein Zugang zum Arbeitsmarkt möglich, sagt Krebs den Studenten im türkis gestrichenen Hörsaal an der Universität in Pristina. „Wir müssen die Asylverfahren beschleunigen, weil wir die Menge an Neuankömmlingen nicht unterkriegen“, sagt sie. Künftig soll bei allen Kosovaren in einem Eilverfahren innerhalb von 14 Tagen eine Entscheidung erreicht werden. Baden-Württemberg hat 2014 in einem Kraftakt die Kapazitäten der Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge erhöht. Jetzt rechnet Krebs jeden Moment mit der Nachricht, dass auch das nicht reicht. Dass die 9000 Plätze voll sind. Wer sich auf die Reise mache, werfe für irreale Hoffnungen Geld aus dem Fenster, mahnt sie. Eine Studentin nickt gedankenverloren.

Unterdessen befürchten die Menschen im Kosovo, dass nach der Überforderung durch den Exodus die nächste Katastrophe kommt: die Rückkehr von Tausenden frustrierten Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. „Das könnte zu sozialen Unruhen führen“, so Hyseni. „Bitte schicken Sie bloß nicht alle auf einmal zurückt“, sagt Naim Ferati, der in der Stadt Ferizaj für Personalangelegenheiten zuständig ist. Allein Ferizaj hat in den vergangenen Wochen rund 3000 Einwohner verloren. „Das ist schlimm“, sagt Bürgermeister Muharrem Svarga. „Wozu braucht es noch einen Bürgermeister, wenn alle Bürger weg sind?“ Es sollte ein Witz sein, aber Svarga ist in letzter Zeit das Lachen vergangen. Und damit ist er nicht allein.