Mutterschaft hat heute viele Gesichter – und jedes hat seine Berechtigung. Warum ist das eigentlich so ein Problem? Foto: dpa

Mutterschaft hat heute viele Gesichter – und jedes hat seine Berechtigung. Warum ist das eigentlich so ein Problem?, fragt sich unsere Kommentatorin Lisa Welzhofer

Stuttgart - Vierlinge. 21. Woche. Mutter und Kinder wohlauf. Was eigentlich nach einer ebenso seltenen wie freudigen Nachricht klingt, sorgt derzeit in Deutschland für einen kleinen Skandal. Denn die Schwangere aus Berlin ist 65 Jahre alt, ließ sich im Ausland künstlich befruchten – und hat schon 13 Kinder, von verschiedenen Männern.

Seit Boulevardmedien den Fall gewinnträchtig ausgeschlachtet haben, heißt es deshalb: Darf die das? Ist die noch ganz richtig im Kopf? Und: Warum kann die das überhaupt? Vielleicht sind manche Fragen berechtigt – zumal sich die Lehrerin selbst entschieden hat, ihr Leben in der Öffentlichkeit auszubreiten.

Andererseits: Die Frau ist laut Ärzten gesund und hat eine sichere Pension. Und wer fragt eigentlich bei einem 75-Jährigen, der mit seiner jungen Freundin noch mal Vater wird, ob er dem nächtlichen Aufstehen, dem Windelwechseln und Kindergeschrei überhaupt noch gewachsen ist?

Wer ein Kind bekommt, kann nur Fehler machen

Die aktuelle Diskussion zeigt einmal mehr, dass Mutterschaft heute in der öffentlichen Diskussion vor allem als Problemfall gesehen wird. Wer sich als Frau entscheidet, ein Kind zu bekommen, kann eigentlich nur Fehler machen.

Vergangenes Jahr sorgte das sogenannte Social Freezing für Kontroversen. Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, um zu einem späteren Zeitpunkt Mutter werden zu können, wurden als eiskalte Karrierefrauen abgestempelt.

Aber es muss ja gar nicht so ausgefallen sein. Jede Mama bekommt ihr Motto. Mutter mit Anfang 20: Heimchen am Herd ohne Ambitionen im Leben. Mutter mit Anfang 30: Aha, die will wohl nichts mehr werden im Beruf. Mutter mit Anfang 40: Der war wohl die Karriere immer wichtiger. Und erst die Nichtmütter: Egoistinnen ohne soziales Gewissen.

Frauen müssen alles gleichzeitig sein

„Die neoliberale Gesellschaft bestraft Frauen, denen das Management ihres Lebens nicht gelingt“, sagte die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie anlässlich des diesjährigen Weltfrauentages. Und meinte damit, dass Frauen heute vieles sein müssen: unabhängig und erfolgreich, mit Geld und Charme, Heldin in Konferenzen und Küchen, unterhaltsame Freundin, Geliebte – aber eben auch die perfekte Mutter. Und bitte schön alles gleichzeitig.

Die künstliche Befruchtung passt da ebenso wenig ins Bild wie die ganz junge oder ganz alte Mutter. Oder die Frau, die für die Kinder einfach mal ein paar Jahre zu Hause bleiben will. Und schon gar nicht jene Frauen, die zugeben, es sei ein Fehler gewesen, Kinder zu bekommen.

Kürzlich wurde eine Studie der israelischen Soziologin Orna Donath in Deutschland bekannt, die Frauen interviewt hat, die ihre Mutterschaft bereuen. Seither wird das Thema vor allem im Internet diskutiert. Trotz allem Zuspruch lautet auch hier die Frage: Darf man das überhaupt?

Auf der Suche nach einem neuen Rollenbild

Kaum verwunderlich eigentlich, dass trotz leicht gestiegener Geburtenrate in Deutschland immer noch (zu) wenige Kinder geboren werden. Experten wie der Familientherapeut Jesper Juul stellen eine große Rollenverunsicherung bei jungen Eltern feststellt.

Dass Mutterschaft – und zunehmend Vaterschaft – überhaupt diskutiert wird, ist gut. Allzu lange war ein noch aus der Nazizeit stammendes Mutterbild in Deutschland festzementiert. Und so zeigt die Diskussion auch, dass sich etwas bewegt, dass eine Gesellschaft auf der Suche nach einem neuen Rollenbild ist.

Nur geht das an der Realität vorbei: Viele Frauen haben heute – vorausgesetzt Biologie, Geldbeutel und Chef spielen mit – die Wahlfreiheit. Sie können Mutter werden oder nicht. Sie können mit 20 ein Kind bekommen oder mit 40. Sie können zu Hause bleiben oder gleich wieder arbeiten gehen. Mutterschaft hat heute viele Gesichter – und jedes hat seine Berechtigung. Warum ist das eigentlich so ein Problem?