Das Milaneo wird von den Stuttgartern angenommen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wie hat sich die Handelslandschaft in Stuttgart seit der Eröffnung der beiden Einkaufscenter verändert? Und welche Auswirkungen hat das auf die region Stuttgart? Redakteur Martin Haar zieht Bilanz.

Stuttgart - Wer die Gegenwart beurteilen will, muss die Vergangenheit kennen. Also auch die Angstszenarien, die das Milaneo ausgelöst hat. Die besorgten Fragen lauteten: Verträgt die City ein Projekt dieser Dimension? Ist die größte städtebauliche Entwicklungschance nicht auch das größte Risiko? Entsteht rund um den Mailänder Platz eine menschenfeindliche Architektur? Und zu guter Letzt: Stirbt der Handel in der City, weil man den Euro eben nur einmal ausgeben kann? Berechtigte Fragen, wichtige Fragen. Zumal etwa 60 Prozent aller Besucher die Attraktivität der Innenstadt nach deren Einkaufsmöglichkeiten bewerten. Oder wie Handelsverbands-Präsident Horst Lenk neulich sagte: Die Stadt findet nicht ohne den Handel statt. Nach neun Monaten Milaneo und Gerber steht aber fest: Stadt und Handel finden noch statt. Die City hat sich positioniert.

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Viele Stuttgarter plagen jedes mal wehmütige Gefühle, wenn ein Traditionsgeschäft wegen des wachsenden Onlinehandels oder der Filialisten-Macht die Segel streicht. Denn kaum ein inhabergeführtes Geschäft kann sich die exorbitanten Mieten in den 1a- oder 1b-Lagen noch leisten. Auf der Königstraße betragen die Spitzenmieten knapp 300 Euro pro Quadratmeter. Für Unternehmer, die keinen Konzern im Rücken haben, viel zu viel. Die Gier der Spekulanten und Immobilien-Haie zerstört damit die Vielfalt in der City. Gerade der Marktplatz zeigt dies exemplarisch. Hier herrscht Ödnis. Manche Stuttgarter nennen ihn daher schon einen Platz der Schande. Griffige Konzepte aus dem Rathaus gegen den Verlust an Urbanität gibt es bislang nicht.

Aber zurück auf Los. Und damit einer Bewertung der heutigen Situation. Und die lautet: Stuttgart verträgt beide Einkaufscenter. Die Befürchtungen der Pessimisten sind nicht eingetroffen. Das Milaneo brummt, die Plätze um das Center werden angenommen, die Innenstadt lebt, und das Gerber muss trotz eines mäßigen Starts auch nicht den Insolvenzverwalter fürchten. Selbst das Dorotheen-Quartier, das mit insgesamt 38 000 Quadratmeter Ende 2016 an den Start gehen soll, dürfte an dieser Lage nichts ändern. Auch weil der Handel derzeit von einer ungetrübten Konsumfreude beflügelt wird.

Doch bei aller Freude, wahrscheinlich wird es einen Verlierer geben. Handelsexperten erwarten, dass die Kaufkraft aus der Region noch stärker ins Zentrum abfließen wird. Metropolen haben in ganz Deutschland eine enorme Sogwirkung. Dank großer Mobilität und guter Infrastruktur verschiebt sich das Konsumverhalten hin zu den großen Städten. Sabine Hagmann vom Handelsverband sieht daher schon heute ein „Riesenproblem“ auf die Region zukommen. Städte wie Ludwigsburg, Sindelfingen, Böblingen, Waiblingen oder Esslingen müssten dringend in ihre Innenstädte investieren, um attraktiv zu bleiben. Sonst droht ihnen womöglich ein Szenario, das Esslingens OB Jürgen Zieger prophezeite. Er sprach vor dem Start des Gerber und des Milaneo von einer Kannibalisierung der Einzelhandelsstandorte. Aber vielleicht ist auch das wieder nur eines dieser Angstszenarien, das sich nicht bewahrheitet.