Mit ihrer Zinspolitik erklärt die Europäische Zentralbank das Sparen zur Untugend Foto: dpa

Erst Online-Krise, dann Immobilen-Krise: Längst ist der Beweis erbracht, dass man Schulden nicht mit Schulden bekämpfen kann. Die Zeit, um aus dieser Spirale herauszufinden, ist reif, kommentiert Klaus Köster.

Stuttgart - Anfang des Jahrtausends platzten an der Börse viele Träume von Internet-Unternehmen, dass sie selbst ohne Gewinne immer reicher würden. Viele Anleger hatten sogar einen Kredit aufgenommen, um möglichst viele Aktien zu bekommen, deren Gewinn locker für die Zinsen und ein unbeschwertes Leben ausreichen sollte.

Doch als sich zeigte, dass die Kreditzinsen sehr real waren, die erwarteten Riesengewinne aber eine Fata-Morgana, wollten immer mehr Menschen die Papiere loswerden. Die Kurse fielen ins Uferlose, die Schulden aber blieben. Um den wirtschaftlichen Einbruch abzufedern, der durch die Attentate vom 11. September 2001 noch verschärft wurde, pumpten die Notenbanken weltweit riesige Geldmengen in das Finanzsystem. Damit verschoben sie das Problem in eine ferne Zukunft, mit der wir heute zurechtkommen müssen.

Die Geldflut nach dem Platzen der Online-Blase an den Börsen führte zu einem starken Preisanstieg – nicht bei Konsumgütern, aber bei Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien, vor allem in den USA. Die Banken gaben Kredite selbst an Vermögenslose, weil die steigenden Hauspreise allemal ausreichen würden, um die Rückzahlung des Kredits zu sichern. Doch mit den Immobilien geschah das Gleiche wie zuvor mit den Online-Aktien: Der Euphorie folgte der Absturz. Banken gerieten ins Wanken und mit ihnen Staaten, die sich bei der Rettung verhoben. Die heutige Schuldenkrise ist nichts anderes als die Fortsetzung der Online- und der Immobilienkrise.

Eine Lehre lässt sich aus der Krisenkaskade immerhin ziehen: Jede weitere Stufe der Krise wurde durch überhöhte Schulden ausgelöst, die mit noch höheren Schulden bekämpft werden. Die Welt kauft Zeit – doch wird sie auch genutzt?

Um die Kreditvergabe anzukurbeln und Geld in die Wirtschaft zu pumpen, zieht die Europäische Zentralbank inzwischen alle Register. Sie senkt die Zinsen sogar in den negativen Bereich. Schon jetzt verlangt sie von Banken Geld dafür, dass sie von diesen überhaupt noch Guthaben entgegennimmt. Und diese tun einiges, um die Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. Da die Erhebung von Strafzinsen für Girokonten – noch? – ein Tabu ist, verteuern sie Konto- und Kreditkartengebühren oder bieten Leistungen wie Tagesgeld und kurzfristiges Festgeld einfach nicht mehr an.

Zug um Zug wird das Sparen zur Untugend erklärt, das Schuldenmachen dagegen wird belohnt – die Schuldenkrise verändert mit wachsender Dauer nicht nur die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, sondern auch die Moral der Bürger. Wer vorsorgt, wird bestraft – durch Zinsen unterhalb der Inflationsrate, durch wackelige Lebensversicherungen oder dadurch, dass ihm die Bausparkasse den Vertrag aus alten Normalzins-Zeiten kündigt. Je länger die Phase andauert, desto größer die Verluste. Und auch in der Politik wird die Moral verdorben. Länder wie Italien und Frankreich, die sich einst den EU-Schuldenregeln verpflichtet haben, können heute ungestraft erklären, dass sie das mit den Regeln doch nicht so gemeint haben; und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sekundiert, die Regierungen ließen sich eben ungern Vorschriften machen.

Im Jahr 15 nach dem Platzen der Online-Krise ist der Beweis erbracht, dass man Schulden nicht mit Schulden bekämpfen kann. Die Zeit ist reif, um aus dieser Spirale herauszufinden. Auf dem Spiel stehen nicht nur Billionen Euro, sondern – noch gewichtiger – das Vertrauen der Menschen in eine Wirtschaftsordnung, die durch eine erfolg- und prinzipienlose Rettungspolitik bis zur Unkenntlichkeit überlagert wird.

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