Im August war der Empfang, den der italienische Premier Matteo Renzi Kanzlerin Angela Merkel bereitete noch freundlich. Heute schlägt Renzi andere Töne an. Foto: ANSA

Italiens Premier Matteo Renzi wendet sich immer öfter gegen Kanzlerin Merkel und die EU. Das liegt vor allem am Druck, den er im eigenen Land zu spüren bekommt – Renzi braucht dringend einen Sündenbock. Ein Kommentar von Almut Siefert.

Die Ruhe war nur von kurzer Dauer. Nur wenige Tage konnte das Bild in den italienischen Medien von einer machtgeilen deutschen Kanzlerin dem einer menschlichen Machthaberin weichen. Das war Anfang September, als Angela Merkel in der Flüchtlingskrise auf die Solidarität Europas setzte und auf Grenzschließungen anderer Staaten mit offenen Armen für die Schutzsuchenden reagierte. Kein Wunder: Setzte sich die Kanzlerin doch nun endlich für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU ein. Etwas wofür Italien in Brüssel seit Jahren vergeblich kämpft. Dieser Menschlichkeitsbonus währte nicht lange. Umso heftiger wird nun wieder gegen die Kanzlerin gewettert. Das Neue: Nun kommen die Angriffe auch vonseiten des ihr einst so wohlgesinnten Matteo Renzi. Der italienische Premier fühlt sich von Merkel – und damit von der EU – bevormundet, missverstanden, unfair behandelt. Anlässe dafür hat er viele, auch wenn diese nur vordergründig sind. Denn Renzi steht selbst mächtig unter Druck – und braucht dringend einen Sündenbock.

Anlass Flüchtlingspolitik: Die EU-Kommission hat Italien verwarnt – das Land gehe nicht regelkonform vor und versage bei der Registrierung der Flüchtlinge. Purer Hohn, findet Renzi. Haben doch die Europäer Italien jahrelang mit den Flüchtlingen im Stich gelassen, das Problem nicht als europäisches erkannt, sondern sich auf die fragwürdige Dublin-Regelung zurückgezogen, nach der Menschen in dem Land der EU Asyl beantragen müssen, in dem sie die Union das erste Mal betreten.

In der EU wird mit zweierlei Maß gemessen, beschwert sich Renzi

Anlass Russlandpolitik: Entgegen der Einsprüche Italiens hat die EU ihre Sanktionen gegen Russland um ein weiteres halbes Jahr verlängert. Dass darunter die ohnehin schon fragile Wirtschaft Italiens, die sich gerade anfängt wieder zu berappeln, leidet, scheint in Brüssel niemanden zu interessieren. Auch die geplante South-Stream-Pipeline, die vor allem Italien Vorteile verschafft hätte, wurde von Brüssel wegen des Konfliktes mit dem Kreml gestoppt. Der Gipfel für Renzi: Die zweite Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee, von der vor allem Deutschland profitieren wird, wird weitergebaut. Hier werde mit zweierlei Maß gemessen, wettert Renzi. Die EU habe 28 Staaten zu dienen – nicht nur einem.

Auch in der Finanzpolitik gibt es Reibereien mit Brüssel – der Haushalt Italiens für 2016 plant mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent. Laut EU-Regeln dürften sie aber nicht höher als 1,8 Prozent liegen. Doch was Renzi eigentlich zittern lässt, sind die Wahlergebnisse in Griechenland und Spanien. Der Florentiner fürchtet das Erstarken populistischer Parteien auch in seinem Land. Italien wählt zwar planmäßig erst 2017 eine neue Regierung. Doch im Frühjahr dieses Jahres werden bereits neue Bürgermeister unter anderem in Rom, Mailand, Neapel und Turin gesucht. Und die einst von dem Ex-Komiker Beppe Grillo dominierte Fünf-Sterne-Bewegung ist Renzis Partito Democratico den aktuellsten Umfragen zufolge bereits dicht auf den Fersen. Im Dezember lag die aktuell bereits zweitstärkste Kraft im Parlament bei 29 Prozent. Auch die rechte Lega Nord legt in den Umfragen weiter zu. Der eigentliche Vorwurf Renzis an Merkel lautet daher: Mit ihrer Politik befeuere sie den Aufwind von Populisten in ganz Europa.

Mehr eine Botschaft an die Wähler zu Hause statt an Merkel und Co.

Aggressive Töne in Richtung Brüssel und Merkel sind wohl mehr eine Botschaft an die Wähler zu Hause als an die Regierungen der anderen Staaten. Dennoch: Der schon zur Tradition gewordene Osterurlaub auf Ischia von Kanzlerin Merkel und ihrem Ehemann könnte in diesem Jahr neben dem süßen Geschmack des Dolce Vita auch von einem sauren Beigeschmack dominiert sein.