Ist es ungeschickt von Volker Kauder oder hat er nur offen gesagt, was in allen Parteien üblich ist? Wer in wichtigen Fragen nicht der Mehrheit folgt, muss mit Folgen rechnen, droht der Unionsfraktionschef Foto: dpa

Beide, Fraktionschef Kauder und die Abweichler in der Union, haben sich in der Griechenland-Frage verrannt, meint unser Kommentator Markus Grabitz.

Berlin - Einen Tag bevor der Bundestag darüber abstimmte, ob die Euro-Gruppe mit der griechischen Regierung Verhandlungen über ein drittes Griechenland-Paket aufnehmen soll, gab der Bundesfinanzminister ein Interview im Radio. Live sagte er, dass eigentlich das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone die bessere Lösung sei und dass Griechenland einen Schuldenschnitt bräuchte. Dennoch hielt Wolfgang Schäuble etwa 24 Stunden später eine Rede im Bundestag und warb um das Mandat des Hohen Hauses für neue Gespräche mit Athen. Also kein Schuldenschnitt und kein Grexit auf Zeit.

Zwischen ihnen sind keine unüberbrückbaren Gräben

Das ist schon verwirrend. Es zeigt aber, dass jene 65 Abgeordneten in der Unionsfraktion, die in der Abstimmung am 17. Juli der Empfehlung der Fraktionsspitze nicht gefolgt sind und Nein gesagt haben zu neuen Gesprächen mit Athen, gar nicht so weit entfernt sind von Schäuble, von der Kanzlerin und von Fraktionschef Volker Kauder. Zwischen ihnen sind keine unüberbrückbaren Gräben. Auch die Abgeordneten, die zugestimmt haben, sind massiv verärgert über die Haltung der griechischen Regierung.

Auch sie können sich schwer vorstellen, dass die griechische Regierung und die Gesellschaft die Kraft zu einem Neuanfang und zur scharfen Kurskorrektur finden, die überfällig sind. Nur: Im Unterschied zu den Nein-Sagern wollte die Fraktionsspitze Athen noch eine allerletzte Chance geben. Sie – wie übrigens viele Abgeordnete beim Koalitionspartner SPD und bei den Grünen – ist zur Überzeugung gelangt, dass Griechenland nicht aus der Euro-Zone ausscheiden sollte, dass die poltischen Kosten eines Grexit höher wären. Sie hofft, dass sich vielleicht doch noch Einsicht breitmacht bei den Verhandlungspartnern.

Da die sogenannten Abweichler in der Sache gar nicht so weit weg sind, wäre Fraktionschef Kauder gut beraten gewesen, etwas mehr Fingerspitzengefühl zu zeigen. Mitten im Sommerloch den Dissidenten mit Rauswurf zu drohen, das ist nicht sonderlich geschickt. Zumal er seine Drohung durch eine Sprecherin gleich wieder relativieren ließ, als sich massiver Unmut regte. Der streitbare Abgeordnete Christian von Stetten aus Schwäbisch Hall-Hohenlohe witterte gleich Verfassungsbruch.

Entscheidungen, bei denen das Gewissen gefragt ist

In Artikel 38 des Grundgesetzes steht: Die Abgeordneten „sind (. . .) an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Damit hängt von Stetten die Geschichte aber etwas zu hoch. Es gibt im parlamentarischen Alltag immer wieder Entscheidungen, wo das Gewissen gefragt ist. Etwa bei Straffreiheit für Abtreibung, ethische Fragen im Zusammenhang mit Gendiagnostik in der Schwangerschaft oder bei der Sterbehilfe. In diesen Fällen entscheiden sich die Fraktionen im Bundestag regelmäßig, die Abstimmung freizugeben. Das heißt: Die Abgeordneten dürfen frei nach ihrem Gewissen entscheiden.

Dass es sich aber um eine Gewissensentscheidung handelt, wenn der Bundestag um das Mandat für Verhandlungen mit Athen gebeten wird, das ist abwegig. Das sollten auch die Euro-Rebellen in der Union nicht für sich in Anspruch nehmen, weil sie sonst wirklich existenzielle Fragen entwerten würden. Es liegt zudem auf der Hand, dass ein Fraktionschef seine Truppe zusammenhalten muss. Es gibt eben auch die Fraktionsdisziplin: Die Mitglieder der Fraktion streiten bei ihren Sitzungen in der Sache. Irgendwann wird abgestimmt . Und dann muss sich die Fraktionsführung auch darauf verlassen können, dass die Abgeordneten die Fraktionslinie in den Ausschüssen und im Parlament mittragen und entsprechend abstimmen. Ansonsten kann ein Fraktionschef einpacken.