Das Sondereinsatzkommando bei einer Übung Foto: SEK

Offiziell sind bislang 30 Islamisten aus Baden-Württemberg in den Mittleren Osten gereist, inoffiziell liegt die Zahl bei 100. Doch das Anti-Terror-Programm für den Südwesten ist nur halbherzig, analysiert Franz Feyder das grün-rote Konzept.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Kabinett reagierten schnell: Knapp einen Monat nach dem Blutbad von Paris legen sie ein Konzept vor, mit dem sie dem Terrorismus zu Leibe rücken wollen. Schneller war nur Nordrhein-Westfalens Regierungschefin Hannelore Kraft.

In sechs anderen Bundesländern rüsten die Innenminister ihre Sicherheitsbehörden nach oder auf. Die Maßnahmen von der Weser bis zum Neckar und vom Rhein bis zur Spree lassen keinen Zweifel an einer bemerkenswerten Tatsache aufkommen: Der Islamismus gehört ebenfalls zu Deutschland.

In Baden-Württemberg lag es vielleicht an der extrem kurzen Zeit zwischen Zeugung und Geburt, dass das „Sonderprogramm Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“ – diplomatisch ausgedrückt – halbherzig ausfällt. Während die landeseigenen Gesetze und Durchführungsverordnungen das Landeskriminalamt zur Zentralstelle für alle Ermittlungen machen, die mit Terrorismus zusammenhängen, werden die dortigen Ermittler nur durch sieben Beamte aus Kretschmanns Anti-Terror-Paket verstärkt.

Obwohl abzusehen ist, dass gegen die meisten der aus Syrien und dem Irak zurückkehrenden Dschihadisten Ermittlungsverfahren aufgenommen werden, weil sie sich Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat oder El Kaida angeschlossen haben. Alle diese Verfahren werden vom Landeskriminalamt geführt. Offiziell sind bislang 30 Islamisten aus Baden-Württemberg in den Mittleren Osten gereist, inoffiziell liegt die Zahl bei 100.

Ihre Kommunikation in den Weiten des Internets aufzuspüren, sie zu überwachen und für spätere Gerichtsverfahren zu sichern sollen Computerspezialisten erledigen. Wie die aber mit den Ermittlern in den Polizeipräsidien und im Landeskriminalamt, mit den Verfassungsschützern zusammenarbeiten sollen, darauf gibt Kretschmanns Sonderprogramm keine Antwort.

Darin liegt die zweite Schwäche des grün-roten Programms: Es kommt zwar vier Wochen nach den Anschlägen von Paris, aber es kommt um Jahre zu spät. Baden-württembergische Dschihadisten kämpfen spätestens seit 2013 in der Levante, seit Mitte 2000er Jahre am Hindukusch. Dass der in Teilzeit arbeitende Islamwissenschaftler der Landeskriminalen jetzt erst um einen zweiten Gelehrten verstärkt wird, war zumindest gedanken-, wenn nicht gar verantwortungslos.

Dabei können sich die Fahnder im Landeskriminalamt noch glücklich schätzen: Islamwissenschaftler müssen die Kommunikation von Islamisten für die Ermittler verstehen, übersetzen und bewerten. In den Polizeipräsidien des Landes sind sie gar nicht erst vorgesehen. Obwohl in Stuttgart eine bosnische Moschee als Durchlauferhitzer für Islamisten gilt, obwohl von hier aus bereits mindestens ein halbes Dutzend Muslime in den Krieg aufbrach, obwohl diese sich auf bosnisch-sprachigen Websites präsentierten, gibt es im zuständigen Polizeipräsidium keinen Ermittler, der bosnisch versteht – daran ändert auch das neue Programm der Landesregierung nichts.

Lobenswert schaufelt Grün-Rot alleine für Personalkosten in diesem Jahr 5,3 Millionen Euro aus dem laufenden Haushalt frei – endlich. Das Programm aber ist nur eines, mit dessen Hilfe an den Symptomen des islamistisch motivierten Terrorismus herumgedoktert wird. Den Kampf sagt die Landesregierung ihm damit nicht an. Vielleicht, weil dafür der Islamismus noch nicht genügend in Baden-Württemberg angekommen ist.